Archiv | Februar, 2012

AG Lübeck: Urt. v. 08.06.2011 – 746 Js 13196/11 – Bespritzen mit Sperma als Körperverletzung gem. § 223 StGB (BeckRS 2011, 19102)

29 Feb

Sachverhalt nach BeckRS 2011, 19102 (verkürzt)

Der A begab sich zu einem Supermarkt. Er führte ein Fläschchen gefüllt mit eigenem Sperma in der Absicht bei sich eine beliebige Frau bei geeigneter Gelegenheit mit dem Sperma zu bespritzen. Im Supermarkt angekommen, stellte er sich dort mit einigen Artikeln in eine Schlange im Kassenbereich. Vor ihm stand die M, der er das mit Sperma gefüllte Fläschchen auf die Kleidung spritzte. A kam es auf eine gedankliche Erregung während der Tat an, die aber ausblieb. M bemerkte dies, empfand starken Ekel und fühlte sich in ihrer Ehre herabgesetzt. Sie leidet seit ihrer Jugendzeit unter psychischen Problemen. Im Alter von 15 Jahren wurde sie zudem Opfer einer Vergewaltigung. M litt in der Folge unter erheblichen psychischen Belastungen und etwa eine Woche nach der Tat zudem unter massiven Schlafstörungen, die sich gegenüber den Schlafstörungen, die sie sonst zuweilen hat, verschlimmerten. Die Tat des A ließ die Erinnerung an die an ihr begangene Sexualstraftat wieder in ihr Bewusstsein treten. M leidet ferner an Multipler Sklerose, was sich beim Auftreten von Stress in Muskelkrämpfen äußert. Durch die durch die Tat des A ausgelösten Belastungen erlitt M wiederholt Krampfanfälle, was zu Schmerzen in Armen und Beinen führte. Der A nahm mögliche Folgeschäden der M über das unmittelbare Bespritzen mit Sperma hinaus, insbesondere Beeinträchtigungen des seelischen Wohlbefindens in Kauf. Es kam ihm zwar auf derartige Folgen nicht an, er fand sich aber mit ihnen ab. Mögliche Folgen für sein Opfer M waren ihm im Zeitpunkt der Tatbegehung egal, da er die M als Lust-/Sexualobjekt ansah, an dem er seine eigenen Fantasie freien Lauf lassen konnte. Davon, dass M oder andere anwesende Personen etwas bemerkten ging der A nicht aus. Er wollte vielmehr, dass die Tat selbst unbeobachtet bleibt.

Das AG hat den bereits einschlägig vorbestraften A wegen vorsätzlicher Körperverletzung gem. § 223 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt.

Anmerkung

Mag dieser Fall auch widerwärtig und gerade für das Opfer äußerst erniedrigend sein, soll dennoch hier auf ihn eingegangen werden, da er zum einen verdeutlicht, wann eine psychische Beeinträchtigung in eine Körperverletzung umschlägt und zum anderen wesentliche Probleme aus dem AT hinsichtlich der objektiven und subjektiven Zurechnung behandelt. Das AG subsumiert den oben dargestellten Sachverhalt geradezu in fast mustergültig schulmäßiger Form, weshalb die Lektüre der Entscheidungsgründe dringend zu empfehlen ist.

Das Gericht beginnt seine Prüfung mit den einschlägigen Definitionen zur körperlichen Misshandlung und zur Gesundheitsbeschädigung, lässt indes ausdrücklich offen unter welche Alternative es letztendlich subsumiert. Es stellt zunächst, basierend auf der hM., klar, dass allein der Ekel den M empfunden hat noch nicht unter die beiden Alternativen fällt und somit keine Körperverletzung darstellt, da der Ekel als solcher keine körperlichen Auswirkungen hat, weil eine Einwirkung, die lediglich das seelische Wohlbefinden beeinträchtigt, wie z.B. die Auslösung von Panik- und Angstgefühlen, den objektiven Tatbestand der Körperverletzung grundsätzlich nicht erfüllen. Ein Umschlagen in eine Körperverletzung setzt nach der Ansicht des Gerichts dann ein, wenn infolge von Abscheu und Ekel körperliche Wirkungen hinzutreten, wobei auch solche psychischen Beeinträchtigungen ausreichen, die den Körper im weitesten Sinne in einen pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand von nervlicher Art, versetzen, weshalb auch somatische Tatfolgen wie Schlaflosigkeit und Angstzustände zumindest dann als tatbestandliche Körperverletzung anzusehen sind, wenn sie nicht nur unerheblichen Ausmaßes sind. Konsequent bejaht das Gericht daher, das die Tat des A hier einen somatisch objektivierbaren Zustand hervorgerufen hat, weil die M nach der Tat eine Woche unter verschlimmerten Schlafstörungen litt und die Krampfanfälle, die zwar in der Vorerkrankung (MS) angelegt sind durch den durch die Tat ausgelösten Stress erneut aufgetreten sind. Nach der Ansicht des Gerichts sind diese somatischen körperlichen Auswirkungen sowohl subjektiv aus der Sicht der M als auch aus der objektiven Sicht eines Dritten als erheblich einzustufen.

Das Gericht rechnet mit überzeugender Begründung die Tatfolgen dem A auch objektiv zu. Es verneint insgesamt einen atypischen Kausalverlauf, da außergewöhnliche Tatfolgen, die A nicht hätte erkennen und mit diesen nicht hätte rechnen können nicht gegeben sind. Als Hauptargument führt das Gericht unter wörtlicher Zitierung einer Entscheidung des OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe NJW 2003, 1263, 1264) aus, dass dem A auch die Kenntnis zuzuschreiben ist, „dass sich Geschädigte in ihren psychischen Reaktionen auf an ihnen verübten Straftaten voneinander unterscheiden und eine besondere Anfälligkeit gerade von weiblichen Geschädigten dann besteht, wenn sie bereits früher – was nicht selten ist – Opfer einer Gewalttat geworden sind“. Das AG beendet nach weiteren Ausführungen zur Vorhersehbarkeit der konkreten Tatfolgen bei M die objektive Zurechnung mit dem treffenden Satz: „Der Angeklagte konnte schlichtweg nicht darauf vertrauen, nicht auf ein vorgeschädigtes Opfer treffen zu können, sondern musste jederzeit damit rechnen“.

Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes definiert das AG Lübeck diesen dann vorbildlich wie folgt: „Bedingter Vorsatz ist dann gegeben, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Körperverletzungserfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihr abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch unerwünscht sein. Ausreichend ist dabei, dass dem Täter der als möglich erkannte Erfolg gleichgültig ist.“ Das AG sieht diese Voraussetzungen mit zutreffender Begründung als erfüllt an, da dem A auf Grund seiner einschlägigen Vorbestrafungen in ähnlichen Fällen auch zum Tatzeitpunkt bekannt gewesen sei, dass Opfer über das unmittelbare Bespritzen hinaus auch körperlich in Anspruch genommen würden. Deshalb konnte er nicht auf ein Ausbleiben des Taterfolges vertrauen. Nach der überzeugenden Ansicht des Gerichts hat sich A über die als möglich erkannten Tatfolgen hinweggesetzt. Da dem A der Eintritt der von ihm erkannten Tatfolgen im Endeffekt gleichgültig war, rechnet ihm das AG diese subjektiv mit Eventualvorsatz auch zu. Interessant an dieser subjektiven Zurechnung des Gerichts ist, dass es neben der sog. „Billigungstheorie“ der Rechtsprechung für seine Argumentation, unter Berufung auf BGH NJW 1960, 1821, 1822; BGHSt 40, 304, 306, die auch heute noch vertretene „Gleichgültigkeitstheorie“ (siehe dazu eingehend Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930, S. 186 ff.) heranzieht. Hieran erkennt man, dass sich die Rechtsprechung nicht unbedingt auf eine der Theorien, die sowohl ein kognitives (Wissen) und ein voluntatives (Wollen) Element zur Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit enthalten, konkret festlegt, sondern diese zur Begründung ihrer Entscheidungen in „gemischter Form“ heranzieht.

Einziger Kritikpunkt an der Entscheidung des AG Lübeck ist die Verneinung des Tatbestandes der Beleidigung gem. § 185 StGB. Das Bespritzen mit Sperma ist ganz offensichtlich eine degradierende Kundgabe der Nicht- und Missachtung der M als reines Lust- und Sexualobjekt, die den Geltungswert der M, d. h. ihre Geschlechtsehre völlig negiert (so auch Hecker, Jus 2012, 179, 181). Indes lässt das AG hier den Tatbestandsvorsatz hinsichtlich des Kundgabewillens entfallen, da A keinen Kundgabevorsatz gehabt habe, weil ihm nach seiner unwiderleglichen Einlassung, dass die Tat (zunächst) unbemerkt bleiben solle, ein Eventualvorsatz nicht nachzuweisen gewesen sei. Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden. A führte seine Tat in einer Schlange eines Supermarktes aus und konnte so sehr wohl erkennen und musste auch damit rechnen, dass die Möglichkeit bestand, dass seine Tat, wenn auch nicht unbedingt von M sondern von anderen Kunden im Kassenbereich entdeckt werden konnte. Dies nahm er auch billigend in Kauf bzw. ihm war dies im Endeffekt auch gleichgültig (ähnlich Hecker, Jus 2012, 179, 181).

Ergänzende Literatur: Hecker, Jus 2012, S. 179 ff.

Zur Kartellrechtswidrigkeit von Telefonaten zwischen Tankstellenbetreibern über aktuelle Preise

28 Feb

Jeder Autofahrer hat sich sicherlich schon einmal bei der Fahrt zur Tankstelle und einem entsprechenden Preisvergleich gefragt, ob die Preisbildung „rechtmäßig“ verläuft. Auch aktuell hat das Bundeskartellamt aufgrund der derzeit hohen Preise Untersuchungen vorgenommen, die jedoch keine kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen erkennen lassen. Im Juli 2009 lagen dem Bundeskartellamt jedoch Hinweise vor, dass mindestens drei große Tankstellenbetreiber Telefongespräche über aktuelle Preisstände an ihren Tankstellen führen. Nun mag der Laie dies selbstverständlich für zweifelhaft einstufen und das Verhalten als verwerflich erachten. Interessanter hingegen ist die Frage nach der kartellrechtlichen Zulässigkeit eines solchen Informationsaustauschs. Gemäß § 1 GWB bzw Art. 101 AEUV sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verboten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Auch der Informationasustausch als abgestimmte Verhaltensweise ist nach ständiger Rechtsprechung hierunter zu fassen.

Problematisch an dem Phänomen der Preisabsprache zwischen Tankstellenbetreibern ist, dass hier bereits grundsätzlich eine höhere Markttransparenz gegeben ist als in anderen Branchen. So besteht die Möglichkeit, die aktuellen Preis von Wettbewerbern in der Umgebung über die Preis-Monolithen zu erfahren. Auch das Internet beziehungsweise Apps für Mobiltelefone vereinfachen die Recherche aktueller Preise. Dass die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse keinen Kartellrechtsverstoß darstellen, erscheint unproblematisch. Die Informationen sind schließlich öffentlich zugänglich und haben keinen konkreten Adressaten. Es handelt sich um echte öffentliche Informationen, zu denen alle Wettbewerber und Kunden gleichermaßen leicht Zugang haben.

Wie sieht es aber nun mit Telefonaten zwischen Tankstellenbetreibern als Wettbewerber aus? Muss hier eine Kartellrechtswidrigkeit der Handlung ausscheiden, da die Daten de facto ohnehin öffentlich verfügbar sind? Die Leitlinien zur Anwendbarkeit des Artikels 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gehen davon aus, dass selbst im Falle der grundsätzlich öffentlichen Verfügbarkeit der Informationen ein Kartellrechtsverstoß im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV vorliegen kann, wenn dadurch die Ungewissheit auf dem Markt über künftige Entwicklungen verringert wird. Die Telefonate gewähren den beteiligten Mineralölgesellschaften den Vorteil, ihre Reaktionsmöglichkeiten im Hinblick auf Preisentwicklungen zu beschleunigen und eine Verhaltenskoordinierung mit geringeren Mitteln zu erzielen. Zudem können auch Tendenzen bezüglich künftiger Preisplanungen ausgetauscht werden, die unter normalen Umständen für den Kunden und andere Wettbewerber nicht ersichtlich wären. Die Kommision vertrtitt die Auffassung, dass es sich in diesem Fall nicht um echte öffentliche Informationen handle, weil beträchtliche Zeit- und Transportkosten aufgebracht werden müssten, um dieselben Informationen auf andere Art und Weise zu erhalten. Zudem schaffe der Informationsaustausch ein Klima gegenseitiger Sicherheit über die Preispolitik der Wettbewerber, wodurch ein Kollusionsergebnis begünstigt wird.

Im Ergebnis ist damit jedenfalls festzuhalten, dass es einer Einzelfallbetrachtung bedarf und dass nur der Umstand, dass bestimmte Informationen öffentlich zugänglich sind, nicht ohne weiteres einn Kartellrechtsverstoß im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausschließt. Eine geringfügige Zusatzinformation beispielsweise kann ausreichend sein, um ein kartellrechtswidriges Kollusionsergebnis zu erzielen.

Misserfolgsquote 94%: Das „schaffen“ nicht einmal die Juristen!

24 Feb

Der Kölner Stadtanzeiger berichtet über eine Abschlussprüfung zur Veranstaltung „Einführung in die Mathematik“ an der Universität zu Köln. Von 368 Teilnehmern haben nur 21 die Klausur bestanden. Misserfolgsquote: 94%

Selbst für Juristen, die im Studium eine Misserfolgsquote (unschön auch „Durchfallquote“) von um die 30% gewohnt sind, ein trauriges Bild. Der Artikel spekuliert über die Ursachen; im Forum ist ein heftiger Streit zwischen unbeteiligten schadenfrohen Zaungästen, die sich über vermeintlich faule Lehramtsstudenten auslassen und Kandidaten dieser Prüfung, die sich über den Schwierigkeitsgrad nicht einig werden können, entbrannt.

94% nicht ausreichende Arbeiten. Das alleine kann m.E. nicht auf die Leistung der Teilnehmer zu schieben sein. Man darf gespannt sein, wie die – sicherlich eingehenden – Remonstrationen entschieden werden.

Ich zitiere: „…“

23 Feb

Gestern stellten mir ehemalige AG-Teilnehmer die Frage, was man in einer Hausarbeit eigentlich zitieren muss.

Ausgangspunkt ist zunächst, jeden Gedanken, der nicht dem eigenen Geist entsprungen ist, als solchen kenntlich zu machen, sich also – wie auch sonst im Leben – nicht mit fremden Federn zu schmücken. Die Quelle ist also nicht nur bei wörtlichen, sondern auch bei nichtwörtlichen Zitaten kenntlich zu machen! Auch wenn man nach den ersten Semestern schon alle erforderlichen Definitionen im Schlaf auswendig kann, darf man nicht vergessen, dass man sie sich nicht selbst ausgedacht – also: zitieren, woher man sie hat. Als Quellenangabe bieten sich hier einschlägige Lehrbücher oder Kommentare an, man muss sich also – zumindest meines Erachtens – nicht bis zu der Quelle wühlen, in der die Definition zum ersten Mal aufgetaucht ist.

Etwas aufwendiger wird es, wenn man auf umstrittene Probleme trifft. Hier genügt nicht der Hinweis auf eine Fundstelle in einem Lehrbuch, in dem alle Meinungen dargestellt werden. Hier muss man alles – zumindest aber das Wichtigste – lesen, was zu dem Problem geschrieben wurde, das heißt insbesondere Aufsätze und Gerichtsentscheidungen. Zugang zu diesen Quellen verschaffen einem wiederum Lehrbücher und Kommentare. Und sollte es zum jeweiligen Probleme eine solche Masse von Literatur geben, das sie in der Bearbeitungszeit schlicht nicht machbar ist, dann kann man hier auch eine Orientierung bekommen, welche Beiträge der jeweilige Autor wichtig hält.

Hier hatte ich mich schon einmal zur Verwendung aktueller Literatur in Hausarbeiten ausgelassen.

Neulich in der BILD (II): Der Räuber aus dem Küchenschrank, seine Verlobte und die Strafvereitelung

13 Feb

Auf Bild.de ist heute morgen folgende Story zu lesen: „Mein Liebster verstecke sich in diesem Loch“.
Gegen Manuel N. besteht dringender Tatverdacht wegen Raubes. Da er flüchtig ist wurde ein Haftbefehl erlassen. N. befand sich allerdings in der Wohnung seiner Verlobten. Während der Durchsuchungen versteckte er sich in einem Hohlraum, den er aus Gipskarton gebastelt hatte. Zur (fast) perfekten Tarnung stieg er über eine „geheime Tür“ hinter einem Küchenoberschrank in sein Versteck.

Bei einer dritten – überraschenden – Durchsuchung wurde N allerdings angetroffen und in U-Haft verbracht.
Die Bildzeitung befürchtet nun ein Verfahren gegen die Verlobte Ns wegen Strafvereitelung.

Strafvereitelung, § 258 StGB, und Verlobung, da war doch was?
Persönlicher Strafausschließungsgrund: § 258 Abs. 6 StGB: Wer die Tat zugunsten eines Angehörigen begeht, ist straffrei.
Nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB sind Verlobte Angehörige.
Also: Nichts zu befürchten.

Die Reihe „Neulich in der BILD“ erscheint in losen Abständen.
Dazu bereits veröffentlicht:
„10 Urteile, die uns wütend machen“

Schwamm drüber! oder: der 2. Senat und das Recht auf den gesetzlichen Richter

10 Feb

„Der 2. Strafsenat [des BGH] hat in einer Strafsache, in der er am 11. Januar 2012 die Hauptverhandlung wegen Bedenken an der Ordnungsgemäßheit seiner Besetzung ausgesetzt hatte, am 8. Februar 2012 erneut verhandelt. Er hat nunmehr in der Sache entschieden und die von der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision verworfen. “ So  heißt es in einer Pressemitteilung des BGH vom 9.2.2012. Zurückzuführen sind die Bedeken bezüglich der ordnungsgemäßen Besetzung auf das Chaos bei der Neubesetzung des Vorsitzes des 2. Senats. Detlef Burhoff schreibt dazu in seinem Blog: „Die Fragen werden immer interessanter und sicherlich irgendwann vom BVerfG gelöst (hoffentlich).“

Zumindest dieses Verfahren aber dürfte das BVerfG kaum als verfassungswidrig ansehen, denn auch wenn ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter vorliegt, ist der Beschuldigte nicht belastet, denn die Revision ist schließlich schlecht für die Staatsanwaltschaft, also gut für ihn ausgegangen. Aber selbst wenn der BGH eine Entscheidung zuungunsten des Beschuldigten getroffen hätte, würde sich die Frage stellen, ob das BVerfG die von ihm selbst aufgestellte extrem hohe Hürde überschritten sehen würde. Nach dem Bundesverfassungsgericht muss nämlich „die Auslegung der Zuständigkeitsnorm bei verständiger Würdigung der Grundgedanken des Grundgesetzes nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen, die Auslegung schlechthin unvertretbar sein oder die Entscheidung die Tragweite des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG grundlegend verkennen.“ Bei verständiger Würdigung der Grundgedanken des Grundgesetzes könnte man aber auch zum Ergebnis kommen, dass die Funktionsfähigkeit der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung ein so hohes Gut ist, das letztlich doch kein Verstoß anzunehmen wäre. Phantasie hat das BVerfG ja schließlich…

Gewinnspiel endet heute

9 Feb

Heute endet unser Gewinnspiel, bei dem wir 5x 1 Buch aus dem Verlag Rolf Schmidt verlosen. Hier geht es zu dem ursprünglichen Beitrag.

„bewusstes Ausnutzen“ im Rahmen der Heimtücke, § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB – BGH 5 StR 65/11

9 Feb

Ein aktueller Beschluss des BGH (v. 4.5.2011 – 5 StR 65/11; abgedr. in NStZ 2011, 634f., vgl. dazu auch HRRS 2011 Nr. 621) zeigt die Notwendigkeit der konsequenten Berücksichtigung der Definition zur Heimtücke bei der Betrachtung des Tatgeschehens.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt (vereinfacht) zugrunde:
Vorgeschichte: Die 15 Jahre jüngere Ehefrau (E) des Angeklagten fühlte sich in ihrer Ehe unglücklich und versuchte seither, sich aus dieser zu lösen. Sie ging mit dem späteren Tatopfer O eine Beziehung ein. Als sie zu ihrem neuen Freund zog, reagierte der Angeklagte darauf sehr gekränkt. Zwei Tage nach ihrem Umzug kam es zu einer heftigen körperlichen Auseinandersetzung zwischen E und dem Angeklagten, die aber von der Polizei aufgelöst werden konnte.

Tatgeschehen: Der Angeklagte entwickelte zunehmend die Vorstellung, dass O es tatsächlich gar nicht auf seine Ehefrau, sondern – zumindest auch – auf seine minderjährige Tochter „abgesehen“ hätte. Da die Sorgerechtssituation ungeklärt war und der Angeklagte seine Befürchtung mit E im Beisein von O ausdiskutieren wollte, vereinbarte er telefonisch ein Treffen. Der Angeklagte begab sich mit Kuchen zur Wohnung der E. Dabei führte er auch ein aus seiner Wohnung stammendes einseitig geschliffenes Messer mit einer Gesamtlänge von ca. 33 cm, einer Klingenlänge von ca. 20 cm und einer maximalen Klingenbreite von 3 cm unter seiner Kleidung verborgen mit sich. Ob er bereits zu diesem Zeitpunkt den Entschluss gefasst hatte, den O mit dem Messer zu töten oder auch nur zu verletzen, ist nicht sicher festzustellen. Im Wohnzimmer der Ehefrau kam es zu einer Auseinandersetzung in teils angespannter Atmosphäre. Als sich die Stimmung erneut zu verschlechtern begann, brachte die E ihren Sohn unter einem Vorwand aus dem Zimmer. Kurz nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, vernahm sie „komische Geräusche“ und Schreie von O aus dem Wohnzimmer. Sie begab sich unverzüglich zurück ins Wohnzimmer, wo sie den Angeklagten mit einem Messer auf der Couch stehend erblickte, während O versuchte, sich mit den Füßen gegen den Angeklagten zu wehren, und sich dabei den Bauch hielt. Der Angeklagte hatte O mit dem mitgebrachten Messer eine mindestens 25 cm tief in den Oberkörper eindringende kombinierte Schnitt-Stich-Verletzung zugefügt, in deren Folge es zu massiven inneren Verletzungen (auch der Schlagader) kam. Aufgrund der schweren Verletzungen verstarb O am folgenden Morgen im Krankenhaus.

Vorinstanz: Die Vorinstanz (LG Kiel) verurteilte den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Sein Revision hatte mit der Sachrüge erfolg. Sie betrifft die fehlerhafte Anwendung des Heimtückemerkmals, dessen Vorliegen die Feststellungen des Urteils zur Tatsituation nicht tragen.

Die Entscheidung des BGH: Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen, noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Wehrlos ist das Opfer, wenn es sich bedingt durch seine Arglosigkeit des Angriffs nicht zu erwehren vermag.

Auf subjektiver Seite muss der Täter über den Vorsatz hinaus zumindest die Arglosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzen (ob darüber hinaus ein Handeln in „feindlicher Willensrichtung“ erforderlich ist – so die Rechtsprechung – ist streitig).
Die hiesige Entscheidung des BGH zeigt, dass dem Bewusstseinsmerkmal durchaus eigenständige Bedeutung zukommt, die sich keinesfalls im bloßen Eventualvorsatz erschöpft.

Für das Ausnutzungsbewusstsein sei erforderlich, dass der Täter die Umstände, welche die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.
Im Tatgeschehen sei eine solche innere Einstellung des T jedenfalls nicht erkennbar gewesen.

Fazit: Zu subsumieren gilt im Rahmen der Heimtückeprüfung die Sponaneität des Tatentschlusses sowie die Vorgeschichte zum Tatgeschehen. Auch der psychische Ausnahmezustand kann – auch unter der Schwelle des § 21 StGB – dem Bewusstsein des Ausnutzens grundsätzlich entgegenstehen.
Zwar hindere nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Arg und Wehrlosigkeit des Opfers daran, die Bedeutung der Situation für das Opfer zu erkennen, es handele sich vielmehr um eine Tatfrage.

Dem Klausurbearbeiter verdeutlicht diese Feststellung allerdings einmal mehr, wie wichtig eine genaue Auswertung des Sachverhalts – und die darauf basierende Subsumtion – für den Lösungsweg ist.

Ein Traum von einer Bibliothek…

8 Feb

Vor kurzem war ich in Amsterdam, um in der Juristischen Bibliothek der Universiteit van Amsterdam zu recherchieren. Die dortigen Arbeitsbedingungen fand ich absolut vorbildlich. Es stehen zum Beispiel jede Menge Kartenkopierer zur Verfügung, mit denen man auch scannen kann ‑ das ist ja noch nichts Besonderes. Aber besonders finde ich, dass man von den Mitarbeitern extra darauf hingewiesen wird, dass man mit den Geräten auch kostenlos auf einen USB-Stick scannen kann. Und wenn man keinen hat? Dann kann man einen 4 GB-Stick für mehr als faire 4 € kaufen. Arbeitsplätze, die nicht über einen PC verfügen, gibt es in der Bibliothek gar nicht. Eine gute Idee finde ich auch die riesige Pinnwand, an der aktuelle Zeitungsausrisse mit Jura-Bezug hängen. Und auch die Mitarbeiter der Bibliothek sind perfekt geschult und helfen einem in jeder Hinsicht weiter. Ob man ein Buch sucht, von dem man nicht so recht weiß, wie es heißt oder man einfach wissen möchte, wo man gut essen gehen kann: hier kümmert man sich vorbildlich um die Studenten. Kein Wunder, dass ein großer Teil der Studenten nicht aus den Niederlanden, sondern aus dem Ausland kommt und man fast mehr Englisch als Niederländisch hört. Die Bibliothek versteht sich – nach meinem Eindruck im Gegensatz zu mancher Einrichtung bei uns – als Service-Angebot und versucht, den Studenten so weit wie möglich entgegenzukommen. Dass es auch bei uns engagierte Mitarbeiter gibt, steht natürlich außer Frage, aber meistens scheint mir das eher auf persönliches Engagement, als auf eine gute Struktur und ein gutes Konzept zurückzuführen zu sein. Vielleicht können wir in dieser Hinsicht von unseren Nachbarn etwas lernen…

10.000 Euro für jedes Jahr Freiheitsstrafe – BnO (IV)

6 Feb

Es drohen Ihnen 10 Jahre Gefägnis? Kein Problem, falls sie die nötigen 100.000 Euro (auch in Dollar zahlbar) aufbringen können. Das ist der gängige Tarif bei manchen ukrainischen Staatsanwälten und Richtern.

Während einer Geschäftsreise letzten Herbst war ich Zeuge eines bizzaren Gesprächs zwischen zwei Ukrainern irgendwo tief in den südlichen Steppen am schwarzen Meer. Das Thema war Gefägnis. Dazu meinte einer der beiden, dass er ja eigentlich jetzt eine Haftstrafe absitzen müsste. Vor drei Jahren hatte er auf der Straße zwei Frauen mit seinem Fahrzeug erfasst. Natürlich fuhr er mit überhöhter Geschwindigkeit. Es drohten ihm, nach wohlwollender Interpretation der Rechtsprechung, mindestens zwei Jahre Gefängnis. Ohne Bewährung. 30.000 Dollar habe er einem westukrainischen Staatsanwalt zahlen müssen. Danach war das Problem aus der Welt: Verfahren eingestellt… Schockiert hatte mich vor allem die Selbstverständlichkeit mit der darüber gesprochen wurde.

Ach und im Zivilverfahren gilt oft: der Meistbietende gewinnt.

Der Blick nach Osten berichtet in unregelmäßigen Abständen zu Rechts- und Politikentwicklungen in Osteuropa.