Archiv | Juni, 2012

How to… (III): Wie nutze ich ein Fallbuch richtig?

25 Jun

Da sich Literaturempfehlungen in Vorlesungen meist auf Lehrbücher beschränken, wird von Studenten in den begleitenden Arbeitsgemeinschaften oft nach einem „guten Fallbuch“ gefragt. Ich lasse mir vor einer Antwort grundsätzlich kurz die Erwartungen bzw. die Lerntaktik des AG-Teilnehmers schildern. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass die Arbeit mit bzw. das Lernen an Fällen nur dann zielführend ist, wenn die Übungsfälle auch richtig eingesetzt werden.

Der richtige Umgang beginnt mit der richtigen Herangehensweise. Ein Fallbuch sollte nicht als vergleichsweise unterhaltsames Lehrbuch verstanden werden. Die Anschaulichkeit der Fälle (gerade im Strafrecht) darf nicht dazu verleiten, das Buch wie einen Roman durchzuschmökern. In der Selbstkontrolle kann der Student meist den Sachverhalt wiedergeben, die rechtliche Bewertung erschöpft sich allerdings oft in der Benennung der Klausurprobleme – ohne diese hinterher selbstständig lösen zu können. Ergiebige Arbeit mit einem Fallbuch sollte sich aber nicht nur im Erkennen spezieller Probleme während der Lektüre erschöpfen, sondern gleichberechtigt auch eine gelungene Darstellungsweise vermitteln. Viele Studenten können Meinungsstreitigkeiten auswendig. Sollen diese aber in ein Gutachten selbstständig eingebunden werden, herrscht Unsicherheit (diese beginnt teilweise schon bei der Überlegung, an welchem Tatbestandsmerkmal eine Diskussion relevant wird). Deshalb sollte die Arbeit mit Fällen mit dem Lernen am Lehrbuch kombiniert werden: Das Fallbuch zeigt idealerweise die Darstellung des abstrakten Problems aus dem Lehrbuch im Ernstfall. Diese Leistung wird vom Bearbeiter schließlich auch in der Abschlussklausur gefordert. Das sollte bei der Arbeit mit dem Fallbuch immer im Kopf bleiben.

Sehr lehrreich ist – bezogen auf das Strafrecht – m.E. jedenfalls das Klausurtraining Strafrecht von Kindhäuser/Schumann/Lubig, das bald in der 2. Auflage erscheint. Nachteil für Studenten im Grundstudium: Der Prüfungsstoff wird kombiniert behandelt. So wird die Zurechnung nach § 25 Abs. 2 StGB etwa an den Raubdelikten erörtert. Wenn im zweiten Semester die Mittäterschaft besprochen wird, sind die Raubtatbestände den Studenten aber noch unbekannt.
Für das erste und zweite Semester kann ich Seier, Die Anfängerklausur im Strafrecht, 1. Aufl. 2010 empfehlen. Hier ist der Stoff auf den Allgemeinen Teil beschränkt und mit wertvollen Hinweisen versehen.
Umfassender ist dagegen Valerius, Einführung in den Gutachtenstil, 1. Aufl. 2005. Hier werden Fälle aus allen drei Rechtsgebieten bearbeitet und die Darstellungsweise steht im Vordergrung.

Bereits erschienen:
Wie kommuniziere ich mit einem Dozenten?
Wie reagiere ich auf die Frage „Du studierst doch Jura?!“
Themenvorschläge per Mail jederzeit gerne.

Der 17-jährige Ray heißt Robin und ist 20 Jahre alt

19 Jun

Zugegeben, die Überschrift ist etwas verwirrend, und genauso verwirrend war die Geschichte, die der sogenannte „Waldjunge“ den Berliner Behörden aufgetischt hat. Nachdem seine Mutter gestorben sei, habe er mit seinem Vater fünf Jahre lang im Wald gelebt, und nachdem sein Vater gestorben sei habe er ihn im Wald begraben und sei nach Berlin gewandert. Dort ist er dann im Roten Rathaus vorstellig geworden. Er kenne nur seinen Namen (Ray) und sein Alter (17) − und die genannte Geschichte. Deutsch konnte er nur bruchstückhaft und sprach fast ausschließlich Englisch. An der Klärung seiner Herkunft schien er kein Interesse zu haben. Nun hat sich aber ein früherer Freund gemeldet und Ray (17) aus ??? als Robin (20) aus Hengelo (NL) erkannt.

Laut Spiegel Online muss sich Robin deshalb unter Umständen strafrechtlich wegen „Erschleichens von sozialen Leistungen“ verantworten. Er war nämlich in den Genuss eines Betreuten Wohnens, eines Deutschkurses und 240 € „Taschengeld“ gekommen. Da es einen Tatbestand des „Erschleichens von sozialen Leistungen“ aber nicht gibt, kommt hier eine Strafbarkeit wegen Betrugs in Betracht. Wenn man die Tatbestandsvoraussetzungen einmal durchmustert, scheint sie unproblematisch gegeben. Doch stellt sich hier − einmal mehr − die Frage nach der „Opfer“mitverantwortung, also hier der Mitwirkung der zuständigen Behörde. Denn, dass die (im wahrsten Sinne des Wortes) abenteuerliche Geschichte höchtswahrschinlich nicht stimmt, drängt sich jedem sofort auf, zumal sich „Ray“ während Befragungen immer wieder in Widersprüche verstrickte. Man könnte deshalb argumentieren, dass sich hauptsächlich das Risiko realisiert hat, das die Behörden durch ihre Blauäugigkeit gesetzt haben. Sicher, der Betrugstatbestand soll auch den Naiven schützen, aber irgendwann muss auch für die naivste Behörde der Welt das Ende der Fahnenstange erreicht sein: Ray hatte, als er nach fünf Jahren aus dem Wald kam, gepflegte Fingernägel, geschnittene Haare und saubere Kleidung…

BKartA richtet anonymes Hinweisgebersystem – eine zusätzliche Aufdeckungsgefahr für Kartelle?

18 Jun

Auf einer eigens hierfür eingerichteten Seite wendet sich das BKartA an Personen, die in Kenntnis von Informationen sind, die der Aufdeckung bestehender Kartelle von Nutzen sein dürften. In einem entsprechenden Protokoll können die Informationen im Falle der Bereitschaft zur Preisgabe eingetragen und an das BKartA übermittelt werden. Das System unterscheidet hierbei zwischen vertikalen und horizontalen Kartellverstößen sowie Marktmachtmissbrauch. Um den entsprechenden Personen einen Anreiz zur Offenbarung zu schaffen, wurde das System so eingerichtet, dass der Betreffende anonym, ein Dialog zwischen Betroffenem und BKartA aber dennoch möglich bleibt. Die Furcht vor Repressalien soll damit als Asschlussgrund für eine Unterstützung bei der Aufdeckung von Kartellen beseitigt werden.

Ob das System wirklich in der Lage ist, die Wahrscheinlichkeit der Kartellaufdeckung zu steigern, wird sich noch zeigen. Ein vergleichbares System sei jedenfalls in langjähriger Praxis von Landeskriminalbehörden erprobt worden. Denkbar erscheint jedenfalls, dass die Implementierung dieses Systems zusätzlichen Druck auf bestehende Kartelle ausübt, sodass das Bonusprogramm des BKartA von Kartellanten unter Umständen in Zukunft häufiger in Anspruch genommen wird und über diesen Weg Kartelle aufgedeckt werden können.

siehe auch:

http://kartellblog.de/2012/06/03/anonyme-hinweise-beim-kartellamt/

http://www.juris.de/jportal/portal/t/1d1w/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA120601670&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

Im Übrigen sei auf einen Aufsatz von Dr. Silvelyn Wrase und Christoph Fabritius verwiesen, der sich mit der Gewährung von Prämien für Hinweisgeber bei Kartellrechtsverstößen befasst.

§ 46 Abs. 2 StGB und rassistische Beweggründe – Strafzumessung und Hasskriminalität

11 Jun

Der Bundesrat hat am 18.04.2012 einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches an den Präsidenten des Deutschen Bundestages adressiert. Nach dem Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondere Umstände der Strafzumessung (StRÄndG) – sollen menschenverachtende oder fremdenfeindliche Beweggründe und Ziele des Täters als Umstände in § 46 Abs. 2 StGB aufgenommen werden, die im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend zu berücksichtigen sind.

Damit reagiert der Bundesrat auf die Tatsache, dass die Anzahl politisch, rassistisch oder religiös motivierter Straftaten nach dem Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern für das Jahr 2010 mit bundesweit 762 Delikten eine erschreckende Tendenz aufweist, die durch die – nach Ansicht des Bundesrats – unbefriedigende Rechtslage nicht hinreichend gewürdigt wird. Die Reduktion des Menschen auf ein bloßes „Anderssein“ ohne persönliche Auseinandersetzung ebenso wie das Potential der Taten zur starken Verunsicherung von Bürgern und Bürgerinnen, die die gleichen Einstellungen und Eigenschaften wie die Opfer aufweisen, stellen vielmehr besondere Merkmale dieser sogenannten Hassdelikte dar und implizieren somit einen erhöhten Unrechtsgehalt, dem der Gesetzgeber gerecht werden müsse.

Zuvor hatte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung in einem am 28.02.2012 gestellten Antrag aufgefordert,

1. gemeinsam mit den Ländern die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren vom 1. Januar 1977 (RiStBV) dahingehend zu ändern, dass klargestellt wird, dass bei Mischantragsdelikten, die durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit motiviert sind, das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in der Regel zu bejahen ist,

2. einen Entwurf für ein Gesetz vorzulegen, der in § 130 StGB (Volksverhetzung) alle Gruppen aufnimmt, deren Zugehörige davor geschützt werden sollen, insbesondere wegen ihrer sexuellen Identität, ihres Geschlechts, ihrer Weltanschauung, ihrer Behinderung oder ihres Alters zum Opfer volksverhetzender Handlungen zu werden und

3. eine Studie über die Anwendung des § 46 Absatz 2 StGB im Hinblick auf die durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit motivierten Delikte in Auftrag zu geben.

Bislang wurde lediglich durch einige wenige Urteile „bestätigt“, dass rassistische Motive bereits jetzt im Rahmen des § 46 Abs. 2 StGB Berücksichtigung finden. Höchstrichterliche Rechtsprechung ist hierzu bislang nicht ergangen, sodass eine allgemeine Praxis nicht angenommen werden kann. Zutreffend erscheint die Ansicht Stoltenbergs, der von Ermittlungsdefiziten ausgeht, die zu einer mangelnden Würdigung rassistischer Motive seitens der Gerichte führen. Eine ausdrückliche Nennung rassistischer Beweggründe in § 46 Abs. 2 StGB dürfte die Sensibilität der Gerichte steigern. Geht man aber wie Stoltenberg von erheblichen Defiziten im Ermittlungsverfahren aus, bedarf es zudem einer Vorschrift, die „vorschreibt, im Ermittlungsverfahren bei Vorliegen von entsprechenden Anhaltspunkten insbesondere rassistische Motive gezielt zu untersuchen“.

Französische Imker sind durch Burkaverbot besonders hart getroffen

10 Jun

…berichtete „Der Postillon“ bereits im April:

Imker durch Burkaverbot in Frankreich besonders hart getroffen

Paris (dpo) – Das kürzlich in Frankreich in Kraft getretene Burkaverbot trifft Imker besonders hart und könnte schon bald für leere Honigregale in den Supermärkten sorgen. Das erklärte heute der Zentralverband der französischen Bienenzüchter auf einer Pressekonferenz.

„Seit Einführung des Burkaverbots in Frankreich wurden bereits Dutzende Imker zu einer Strafe von 150 Euro verurteilt, nur weil sie einen Schutzanzug trugen“, so ein Sprecher des Verbandes. „Wobei auch einige der Betroffenen auf die Möglichkeit zurückgegriffen haben, an einem Integrationskurs teilzunehmen anstatt zu bezahlen.“ Zwei Bienenzüchter aus der Normandie stünden seitdem allerdings kurz vor der Abschiebung.
Ein Großteil der französischen Imker wiederum hält sich an das Burkaverbot und zahlt dafür einen hohen Preis: „Ich wurde in den letzten Tagen mehrfach im Gesicht gestochen“, klagt etwa Charles Abeille, ein Bienenzüchter aus dem Limousin. „Sehen sie sich meine Oberlippe an. Wenn das Burkaverbot nicht aufgehoben wird, dann gibt es bald Tote!“

Weiterlesen unter http://www.der-postillon.com/2011/04/franzosische-imker-durch-burkaverbot.html

Gerichte im Internetzeitalter

7 Jun

Beim Verfassen meines letzten Blogeintrags zur Aufhebung der sexuellen Nötigung in Frankreich war ich über die Informationsvielfalt auf der Seite des französischen Verfassungshofes höchst erstaunt. In der von mir besprochenen Entscheidung findet man nicht nur ein Unterlagendossier zum Verfahren (Werdegang des Gesetztes sowie verschiedenen Stellungnahmen). Nein, es liegt sogar ein wissenschaftlicher Kommentar vor und als Highlight die öffentliche Verhandlung als Video:

Bei den Entscheidungen zur Verfassungsmäßigkeit von Gesetzesentwürfen (das frz. Verfassungsrecht kennt nur die präventive Verfassunungskontrolle von Gesetzten) findet man eine ähnliche Vielfalt von Dokumenten. In einigen Fällen finden sich neben einer englischen (das kennen wir ja vom BVerfG auch) sogar eine deutsche und spanische Übersetzung der Entscheidung wieder, wie z.B. beim Gesetzesentwurf zum Schutz der Indentität.

Solch eine Informationsvielfalt und Transparenz wünscht man sich bei unseren Bundesgerichten und dem Bundesverfassungsgericht auch!