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„Bring dich mal um!“ – Soll die Anstiftung zur Selbsttötung strafbar sein?

14 Mai

Sterbehilfe. Die letzten Jahren wurde extrem massiv über die Sterbehilfe in den Medien diskutiert, sei sie passiv oder aktiv. Begeisterung, Entsetzung, Verständnislosigkeit, Erleichterung. Mittlerweile ist sie entpönalisiert worden, natürlich unter strengen Voraussetzungen. Gemeinsam haben diese Fälle die Tatsache, dass der Betroffene sein Leben beenden möchte, aus welchen Gründen auch immer, der Entschluß kommt aus eigener Initiative. Bei der Diskussion ging es um die Frage, wie man dieser Person helfen kann, ohne sich selbst strafbar zu machen. In vielen Fällen aber bleibt die Strafbarkeit des Helfers bestehen. Es kommt für den Täter eine Privilegierung nach § 216 in Betracht. So viel aber zur Sterbehilfe, es ist hier nicht das eigentliche Thema.

Angesprochen soll hier nämlich eine andere – aber nicht so weit entfernte – Konstellation: die der Anstiftung zum Selbstmord. Wie ist der Fall zu behandeln, in welchem eine Person eine andere Person davon überzeugt, sich selbst umzubringen?

§ 26 StGB lautet:

Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.

Ganz eindeutig setzt die Vorschrift für die Strafbarkeit des Anstifters eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat voraus. Wer sich aber umbringt, begeht keine Straftat, und somit auch keine für den § 26 taugliche Haupttat. Keine Strafbarkeit. Dabei ist doch die kriminelle Energie des Hintermannes, der bei dem „Opfer“ diesen morbiden Tatentschluss hervorruft, doch viel höher, als die desjenigen, der einfach einem Sterbenden Hilfe leisten möchte, um ihm Schmerzen zu ersparen. Oder etwa nicht?

Dieses Thema war schon in der Vergangenheit wieder zu finden, denn Selbstmord und Teilnahme zum Selbstmord sollten in den 20er Jahren unter Strafe gesetzt werden. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, auf eine Pönalisierung doch zu verzichten, führt zu merkwürdigen Ergebnissen. Ein Beispiel davon ist die aus „nichts“ enstande Garantenpflicht des „Teilnehmers“, der beim Verlust des Bewusstseins beim Selbstschädigenden plötzlich verpflichtet ist, diesem zu helfen (§ 13 StGB). Dies widerspricht sowohl dem Willen des Opfers, als auch der Straflosigkeit der ursprünglichen Anstiftungshandlung.

Die umstrittenen Fälle werden bisher über die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft (§ 25 II StGB) gelöst, wenn der Selbstmörder ohne Vorsatz (Sirius-Fall) oder nicht freiverantwortlich (§§ 19, 20, 35 StGB u.a.) handelte. Und in den übrigen Fällen? Keine Strafbarkeit. Warum soll derjenige, der einem Dritten zur Verwirklichung eines eigenen Entschlusses beiwohnt, besser da stehen, als derjenige, der bei diesem Dritten den für ihn völlig fremden fatalen Entschluss selbst hervorruft? Dabei haben schon viele Länder eine spezielle Regelung eingefügt, die die Verleitung zur Selbsttötung unter Strafe stellt.

Darunter zum Beispiel das französische Strafrecht:

Art. 223-13 Code Pénal : Wer einen anderen zur Selbsttötung anstiftet, wird mit drei Jahren Gefängnis und 45.000 € Geldstrafe bestraft, wenn die Anstiftung eine Selbsttötung oder einen Selbsttötungsversuch zur Folge hatte.

Das Problem der Akzessorietät, das aufgrund der Straflosigkeit des Suizids einer Strafbarkeit des Anstifters entgegensteht, wäre somit umgangen. Eine ähnliche Lösung wurde unter anderen auch von Polen und Spanien bevorzugt.

Erniedrigungen zum Semesteranfang: strafbar?

12 Apr

Das Sommersemester an der Uni Köln hat diese Woche begonnen. Für Erstsemestler bedeutet dies einen neuen Lebensabschnitt. Ab dem zweiten Semester fühlt man sich schon sicherer und kann es nicht lassen, ab und zu einem „Kleinen“ zu zeigen, wie unerfahren er noch ist. Ganz neu eben.

In Frankreich gehört es schon lange zur Tradition, insbesondere im elitären Hochschulmilieu, die neuen Jahrgänge mit einer Reihe von „Prüfungen“ zu begrüßen. Wer „dazu“ gehören will, muss da durch! Dabei kann es sich um harmlose Spielchen handeln, aber auch hin bis zu Beleidigungen, Körperverletzungen, Erpressungen. Einige aktuelle Beispiele aus dem vergangenen Oktober:

  • Militärschule Saint-Cyr: nächtliches Überqueren eines Weihers bei „Ausfall“ der Lichtanlage: ein Toter
  • Universität Poitiers: Studenten bedroht und gezwungen, nackt und vorher beschmutzt, den Kopf in einen Behälter mit ekelhaftem Inhalt zu halten
  • Universität Lille: Vergewaltigung (Vorliegen eines Einverständnisses des Opfers noch ungeklärt)

Um dieser Tendenz entgegenzuwirken wurde diese Art von Misshandlungen besonders pönalisiert. 1998 wurden Artikel 225-16-1 ff. in das französische Strafgesetzbuch eingefügt. Art. 225-16.1 Code Pénal lautet:

Hors les cas de violences, de menaces ou d’atteintes sexuelles, le fait pour une personne d’amener autrui, contre son gré ou non, à subir ou à commettre des actes humiliants ou dégradants lors de manifestations ou de réunions liées aux milieux scolaire et socio-éducatif est puni de six mois d’emprisonnement et de 7 500 euros d’amende.

Auf Deutsch etwa:

Soweit es sich nicht um die Fälle von Gewalttätigkeiten, Drohungen oder sexuellen Übergriffen handelt, wird derjenige, der einen anderen, gegen dessen Willen oder nicht, dazu veranlasst, sich bei Veranstaltungen oder Versammlungen in schulischen oder sozio-pädagogischen Kreisen erniedrigenden oder entwürdigenden Handlungen zu unterziehen oder diese zu begehen, mit sechs Monaten Gefängnis und 7.500 € Geldstrafe bestraft.

Eigentlich waren solche Handlungen schon seit dem 20. Oktober 1928 offiziell verboten, zumindest in den Schulen und Universitäten. Die Schul- bzw. Hochschuldirektoren wurden, mit Verweis auf ihre disziplinären Plichten damit beauftragt, für die Einhaltung dieses Verbots zu sorgen.

1994 wurde aber festgestellt, dass trotz dieses Verbots immer noch ein Viertel der Studenten (etwa 100.000 pro Jahr) misshandelt wurden.

Die Pönalisierung dieses Verhaltens sollte somit einen weiteren Schritt zur Vermeidung dieser Rituale darstellen. Mehr als eine symbolische Bedeutung ist aber der Vorschrift kaum zu entnehmen. Kommt es tatsächlich zu Gewalttätigkeiten, Drohungen oder sexuellen Übergriffen, so ist der Anwendungsbereich der Norm nicht eröffnet. Normtauglich sind lediglich „erniedrigende und entwürdigende Handlungen“. Was darunter zu verstehen ist bis heute noch unsicher. Die Tathandlung des „Veranlassens“ wird auch nicht näher definiert. Ist ein „Veranlassen“ weniger als eine „Verleitung“? Reicht die Schaffung einer Tatgelegenheit aus? Die Rechtsprechung liefert darauf keine Antworten, da die Norm in der Praxis kaum eine Rolle spielt.

Ebenfalls anzumerken ist die Tatsache, dass sich die Vorschrift auf das „schulische oder sozialpädagogische“ Milieu beschränkt. Es mag sein, dass diese Tradition ihren Ursprung in diesen Kreisen findet, heutzutage ist aber diese Praxis auch in anderen Bereichen präsent (vor allem das Militär, Bsp. aus Deutschland: BVerwG NJW 2001, 2343).

In Deutschland wird das Problem der Mutprobe vor allem bei der objektiven Zurechnung im Rahmen der Selbstgefährdung des Opfers diskutiert, wobei dies in Frankreich für diesen Tatbestand gerade irrelevant ist.

Neue Ermittlungen zu NS-Verbrechen: drei Fragen

8 Apr

Die Bild titelt: ERMITTLER KENNEN NAMEN UND ADRESSEN – 20 Fahnder jagen 50 KZ-Aufseher. Kommt also noch der letzte große Prozess zu NS-Verbrechen?

Möglich ist es, da nicht nur in Ludwigsburg, sondern auch in diversen Staatsanwaltschaften zu NS-Verbrechen ermittelt wird, z.B. gegen J. Kalymon in München, oder J. Breyer in Weiden i.d. Oberpfalz. Bei der regen Berichterstattung der letzen Tage sind drei Kernfragen jedoch einwenig untergegangen.

1. neue Rechtslage?

Auch wenn seit dem Demjanjuk-Verfahren in der Presse immer wieder von „juristischem Novum“ (SZ Magazin, 23.4.2010, S. 15) die Rede ist, hätte man aus rechtlicher Sicht gegen Wachmänner aus Vernichtungs- und Konzentrationslagern auch früher ermitteln können. Subsumiert man den Sachverhalt eines Vernichtungslagers, liegen alle Voraussetzungen der Beihilfe vor: rechtswidrige Haupttat und eine Hilfeleistung, die für den Taterfolg förderlich ist. Alleine die Anwesenheit der Wachmänner im Lager, ermöglichte den Tatausführenden das tägliche Morden, was st. Rspr. des BGH ist (vgl. nur NStZ 1995, 490). Die Teilnahme des Lagerpersonals wurde entsprechend in Verfahren zu Sobibor (LG Hagen, 1966) oder Majdanek (LG Düsseldorf, 1981) treffend als funktionelle Mitwirkung bezeichnet:

„In den einzelnen Fällen haben die jeweils damit befassten Angeklagten durch ihre funktionelle Mitwirkung zusammen mit anderen SS-Angehörigen die Tötungen ursächlich ermöglicht. Keiner von ihnen war dabei überflüssig; alle waren auf dem Platz, auf den sie gestellt waren, notwendig, um als tatnahe Mitwirkende des betreffenden Geschehens das Funktionieren der „Mordmaschinerie“ zu gewährleisten. Jeder einzelne war zwar wie alle Angehörige des Kommandanturstabes, um bei dem Bild zu bleiben, nur „ein Rad im Getriebe“ des Lagers; die Auswechselbarkeit eines solchen „Rades“, d.h. die denkbare Ersetzung eines Angeklagten durch einen anderen SS-Angehörigen (…), vermag an der gegebenen Kausalkette aber nichts zu ändern.“ – LG Düsseldorf vom 30.06.1981, 8 Ks 1/75

Interessanter ist also die Frage, warum erst jetzt gegen diese „kleineren“ Teilnehmer von NS-Verbrechen ermittelt wird. Eine der Antworten ist die Ausgangslage nach dem Krieg, die typisch ist für Länder nach einen totalitären und verbrecherischen System. Bei konsequenter Anwendung des Strafrechts hätte die deutsche Justiz gegen tausende von Männern und Frauen ermitteln müssen, die Ende der 50er ansonsten nicht vorbestraft und in der Gesellschaft integriert waren…(siehe dazu das Schlussplädoyer von Cornelius Nester im Demjanjuk-Verfahren).

2. weitere Tätergruppen?

Neben Wachmännern in Vernichtungs- und Konzentrationslagern, kommen auch Mitglieder aller Einheiten (Einsatzgruppen, Waffen-SS, Ordnungspolizei, Wehrmacht, etc.) in Betracht, die bei Erschießungen oder Gaswageneinsätzen z.B. als Absperrposten eingesetzt worden sind. Bisher wurden gegen solche Personen nicht systematisch ermittelt, obwohl sie in vielen Verfahren als Belastungszeugen fungierten. Ebenfalls ist eine Ermittlung bei Teilnahmen an sog. „Ghetto-Liquidierungen“ und Zugtransporten in die Todeslager möglich, wenn Kenntnis über das weitere Schicksal der Opfer nachgewiesen werden kann.

3. viele Verfahren?

50 Verfahren nur für Auschwitz? Wohl kaum. Neben Sachverhaltsfragen (Wurden Menschen in KZ’s genau so systematisch wie in Vernichtungslagern getötet?) und materiell-rechtlichen Problemen, die sowohl Ermittlungen, als auch Prozess verlangsamen, oder gar stoppen könnten (bsp. doppelter Gehilfenvorsatz, eventuelle Mordmerkmale, Überprüfung eines sog. Befehlsnotstandes), kommen noch rein praktische dazu. Die Beschuldigten sind potentiell verhandlungsunfähig, ja sogar das hohe Alter an sich kann in einem solchen Fall ein Verfahrenshindernis sein (BGHSt. 49, 189). Schließlich ist regelmäßig ein Sachverständigengutachten anzufordern, was das Verfahren deutlich verlangsamt.

Fazit

Auch wenn es heute (leider) nicht 20 Fahnder sind, so ist die neuste Aktivität der Ludwigsburger Behörde erfreulich. Als Providurium, Übergangslösung für ein vermeintlich schnell zu lösendes Problem eingerichtet, hat die „Zentrale Stelle“, obwohl keine Staatsanwaltschaft, durch ihre Ermittlungsarbeit für Achtungserfolge gesorgt. Schon immer schwamm man gegen den Strom, früher gegen die Gesellschaft, die die Verbrechen vergessen wollte, heute gegen die übrige Justiz, die den Sinn von NS-Verfahren immer häufiger bezweifelt. Ohne ihre Ermittlungsergebnisse in Form von Vernehmungen, Gutachten und Vemerken wäre die historische Erfassung von NS- und Kriegsverbrechen in ihrer Form nie möglich gewesen.

Zum weiterlesen: Umansky, Geschichtsschreiber wider Willen? Einblick in die Quellen der „Außerordentlichen Staatlichen Kommission“ und der „Zentralen Stelle“, in: Nußberger/von Gall, Bewusstes Erinnern und bewusstes Vergessen, Tübingen 2011, S. 347ff.

Schatzfund: Diebstahl, Unterschlagung oder Betrug?

4 Apr

Amüsant auf den ersten Blick regelt § 984 BGB den sog. Schatzfund wie folgt:

Wird eine Sache, die so lange verborgen gelegen hat, dass der Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist (Schatz), entdeckt und infolge der Entdeckung in Besitz genommen, so wird das Eigentum zur Hälfte von dem Entdecker, zur Hälfte von dem Eigentümer der Sache erworben, in welcher der Schatz verborgen war.

Der deutsche Gesetzgeber hat ihn, wie der französische Nachbar (Art. 716 C. civ.) aus dem römischen Recht übernommen (Hadrianische Teilung). §984 wird von landesrechtlichen Regelungen zu den Regalien (Art. 73 i.V. mit Art. 1 II EGBGB) verdrängt (außer in NW, Bayern und Hessen) und gilt verständlicher Weise nicht für wissenschaftlich oder historisch bedeutende Artefakte. Der Strafrechtler wird sich aber nun fragen, wie der Entdecker sich strafbar machen würde, wenn er den Schatz (legaldefiniert!) für sich alleine behält oder gar ohne Wissen des Miteigentümers veräußert.

In Frage käme Diebstahl (§ 242 StGB). Damit die Sache fremd ist, müsste der Schatz auf fremden Grund und Boden gefunden werden (bei Herrenlosigkeit scheidet § 242 StGB aus). Problematisch ist hier aber der Bruch fremden Gewahrsams. Die gängige Definition lautet:

Wegnahme ist der Bruch fremden Gewahrsams und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Fremder Gewahrsam ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis, von einem Herrschaftswillen getragen, unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung.

Da der Schatz aber verschollen war, muss man typischerweise von seiner Gewahrsamslosigkeit ausgehen. § 242 StGB ist damit nicht einschlägig. Anders ist aber bei der Unterschlagung (§ 246 StGB), bei der ein Gewahrsamsbruch nicht vorliegen muss. Es reicht die rechtswidrige Zueignung der fremden Sache. Nach h.M. reicht die Mitnahme des Schatzes oder die unterlassene Fundanzeige nicht aus, um einen Zueignungswillen beim Täter zu vermuten. Vielmehr erwartet man eine Verwendung, Veräußerung oder zumindest ein Verkaufsangebot der Sache.

Zurecht wird wegen diese unbefriedigende Lösung kritisiert (Koch, NJW 2006, 557, 560). Wie machen es aber andere Rechtsordnungen?

In Frankreich wird aufgrund einer anderen Konzeption des Diebstahl, letzterer stets beim Grabräuber angenommen (st. Rspr. der Cour de Cassation seit 1827). Spannender war 1991 für den Kassationshof die Frage ob der Arbeitgeber eines Handwerkers, der Schätze bei einer Hausrenovierung entwendet, als Nebenkläger auftreten kann (Nein, da nur der tatsächliche „Entdecker“ durch die Vorschrift gemeint ist).

Was wäre aber die einfachste Lösung? Richtig, ein eigener Tatbestand. So hat es sich auch der argentinische Gesetzgeber gedacht, der den Schatzraub als qualifizierten Betrug ansieht und mit Geldstrafe von bis zu 15.000 arg. $ ahndet (Art. 175 1º c. pen.).

Zur Rechtslage in Deutschland: Koch: Schatzsuche, Archäologie und Strafrecht – Strafrechtliche Aspekte so genannter „Raubgräberei”, NJW 2006, 557.

Irene-Fall und § 228 StGB mal anders erklärt (IUREO)

29 Nov

Diesmal geht es um die Sittenwidrigkeit nach § 228 StGB und deren Darstellung anhand BGHSt. 49, 166 (Irene-Fall).

Wir sind wie immer auf Eure Reaktionen gespannt. Hier, auf Facebook oder bei iureo.de!

Die vorherigen Folgen des Podcasts finden sich hier.

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Podiumsdiskussion zur Beschneidung

27 Nov

Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Reinhard Merkel, Prof. Dr. Wolfram Höfling, M.A., Dr. Gil Yaron und Dr. Michael Schmidt-Salomon in Köln, im Rahmen der „Kölner Diskurse zum Rechtspluralismus“.

Moderation: Prof. Dr. Dan Wielsch, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtstheorie

Universität zu Köln, Hörsaal II, Hauptgebäude, Do. 6. Dez 2012, 19:30

Weitere Informationen hier.

Warum Homosexualität nur bei Männern strafbar war

21 Nov

Vor 55 Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der damaligen Vorschrift „Unzucht zwischen Männern“ (§ 175 StGB a.F.) zu entscheiden. Auf 55 Seiten argumentierten die Richter im Jahre 1957 gegen die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde (BVerfGE 6, 389): Einerseits verstoßen die §§ 175 ff. nicht gegen den speziellen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, weil der biologische Geschlechtsunterschied den Sachverhalt hier so entscheidend prägt, dass etwa vergleichbare Elemente daneben vollkommen zurücktreten. Zudem liegt auch keine Verletzung gegen das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) vor, da homosexuelle Betätigung gegen das Sittengesetz verstößt und nicht eindeutig festgestellt werden kann, dass jedes öffentliche Interesse an ihrer Bestrafung fehlt. Wie das Gericht zu diesem Ergebnis kommt, soll anhand einiger Auszüge aus der Entscheidung dargestellt werden:

1. Zu Art. 3 Abs. 2 und 3 GG

(…)

Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weist für den Mann auf eine mehr drängende und fordernde, für die Frau auf eine mehr hinnehmende und zur Hingabe bereite Funktion hin. Dieser Unterschied der physiologischen Funktion läßt sich aus dem Zusammenhang des geschlechtlichen Seins nicht ausgliedern, er ist mit konstituierend für Mann und Frau als Geschlechtswesen (Gutachter Kroh). Der entscheidende Unterschied zwischen Mann und Frau – der alle übrigen Unterschiede im Keim in sich schließt – ist aber unter dem generativ-vegetativen Aspekt die Tatsache, daß sich das Vatersein an den kurzen Zeugungsvorgang nicht über weitere generativ-vegetative Leistungen, sondern nur durch zeitlich davon getrennte soziale Leistungen anschließt, während die sozialen Leistungen des Mutterseins mit dem Vorgang des Empfangens über die generativ-vegetativen Leistungen der Schwangerschaft, der Geburt und des Stillens, also durch einen langdauernden natürlichen Prozeß, unmittelbar verknüpft sind. Anders als der Mann wird die Frau unwillkürlich schon durch ihren Körper daran erinnert, daß das Sexualleben mit Lasten verbunden ist. Damit mag es zusammenhängen, daß bei der Frau körperliche Begierde (Sexualität) und zärtliche Empfindungsfähigkeit (Erotik) fast immer miteinander verschmolzen sind, während beim Manne, und zwar gerade beim Homosexuellen, beide Komponenten vielfach getrennt bleiben (Gutachter Wiethold-Hallermann). Die Gefahr einer Akzentverschiebung zu Lasten der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, und zugunsten des bloßen Lustgewinnes ist daher eine besondere Gefahr der männlichen Sexualität. Die kulturelle Aufgabe, Lustgewinn und Bereitschaft zur Verantwortung zu verbinden, wird von „dem männlichen Sexualverhalten extrem häufiger … verfehlt“ als von dem weiblichen (Gutachter Giese).

(…)

2. Zu Art. 2 Abs. 1 GG

(Ferner) trägt der Beschwerdeführer vor, die Bestrafung der einfachen Homosexualität (§ 175 StGB) verletze das in Art. 2 Abs. 1 GG jedem gewährleistete Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dieses Recht umfasse auch die freie geschlechtliche Betätigung des Individuums. (…)

1. Zu dem Bereich der in Art. 2 Abs. 1 GG als Grundrecht gewährleisteten freien Entfaltung der Persönlichkeit gehört auch das Gebiet des Geschlechtlichen. Dieses Grundrecht ist aber durch die verfassungsmäßige Ordnung begrenzt. (…) Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz. Auch auf dem Gebiet des geschlechtlichen Lebens fordert die Gesellschaft von ihren Mitgliedern die Einhaltung bestimmter Regeln; Verstöße hiergegen werden als unsittlich empfunden und mißbilligt. Allerdings bestehen Schwierigkeiten, die Geltung eines Sittengesetzes festzustellen. (…) Ein Anhalt dafür, daß die Homosexualität als unsittlich angesehen wird, ergibt sich daraus, daß die Gesetzgebung in Deutschland sich zur Rechtfertigung der Bestrafung der gleichgeschlechtlichen Unzucht stets auf die sittlichen Anschauungen des Volkes berufen hat. Schon die Motive zu dem Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund von 1869 führen aus:

 „Der § 173 hält die auf Sodomie und Päderastie im Preußischen Strafgesetzbuche angedrohte Strafe aufrecht. Denn selbst, wenn man den Wegfall dieser Strafbestimmungen vom Standpunkte der Medizin, wie durch manche der, gewissen Theorien des Strafrechts entnommenen Gründe rechtfertigen könnte; das Rechtsbewußtsein im Volke beurteilt diese Handlungen nicht bloß als Laster, sondern als Verbrechen, und der Gesetzgeber wird billig Bedenken tragen müssen, diesen Rechtsanschauungen entgegen Handlungen für straffrei zu erklären, die in der öffentlichen Meinung als strafwürdige gelten. Die Beurteilung solcher Personen, welche in dieser Weise gegen das Naturgesetz gesündigt, dem bürgerlichen Strafgesetze zu entziehen und dem Moralgesetze anheim zu geben, würde als ein gesetzgeberischer Mißgriff getadelt werden.“

An dieser sittlichen Wertung hat sich in der Folgezeit nichts geändert. So sagt die Begründung zu § 325 des Entwurfs von 1919:

Der Forderung, die Unzucht zwischen Männern an sich straflos zu lassen, gibt der Entwurf ebenso wie die früheren Entwürfe nicht nach. Verfehlungen dieser Art erscheinen dem gesunden Empfinden des Volkes verwerflich und strafwürdig …;“

In ähnlicher Weise begründen der amtliche Entwurf eines allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1925 und der am 14. Mai 1927 dem Reichstag vorgelegte Entwurf (RT III/1924 Drucks. Nr. 3390) die Beibehaltung einer dem § 175 (aF) StGB entsprechenden Strafvorschrift wie folgt:

„… Der Gesetzgeber muß sich die Frage vorlegen, ob der § 175 nicht trotz der Härten, zu denen seine Anwendung führen kann, und trotz seiner beschränkten praktischen Durchführbarkeit eine Schranke bedeutet, die man nicht ohne Schaden für die Gesundheit und Reinheit unseres Volkslebens hinwegziehen darf. Dabei ist davon auszugehen, daß der deutschen Auffassung die geschlechtliche Beziehung von Mann zu Mann als eine Verirrung erscheint, die geeignet ist, den Charakter zu zerrütten und das sittliche Gefühl zu zerstören. Greift diese Verirrung weiter um sich, so führt sie zur Entartung des Volkes und zum Verfall seiner Kraft …“

Diese Umstände rechtfertigen die Feststellung, daß auch heute noch das sittliche Empfinden die Homosexualität verurteilt. Einzelne gegenteilige Äußerungen, vorwiegend aus interessierten Kreisen, kommen demgegenüber nicht in Betracht, jedenfalls haben sie eine Änderung des allgemeinen sittlichen Urteils nicht durchsetzen können. (…)

Noch 1966 wurde einem bayerischer Staatssekretär, der 1944 wg. § 175 StGB verurteilt wurde, die Berufung zum Beamten wiederrufen und vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt (MDR 1966, 615). Erst 1969 wurde § 175 StGB a.F. mit dem ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts entschärft und 1994 gestrichen.

Herr Jäger und der Blutalkohol

18 Jul

Nach einem Bericht von Spiegel-Online fordert der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) eine Absenkung der absoluten Fahruntüchtigkeit für Fahrradfahrer von derzeit 1,6 Promille auf 1,1 Promille. Dabei offenbart Jäger beträchtliche Wissenslücken, was § 316 StGB angeht.

Bei der Trunkenheitsfahrt wird zwischen der relativen und der absoluten Fahruntüchtigkeit unterschieden. Die relative beginnt bei 0,3 Promille Blutalkoholkonzentration (BAK) und die absolute beim Auto bei 1,1 Promille BAK und beim Fahrrad bei 1,6 Promille BAK. Herr Jäger stellt es sich nun so vor, dass man diesen letzteren Wert einfach absenken kann – aber so einfach ist das nicht. Das zeigen die medizinischen Erkenntnisse, die hinter den beiden Begriffen stehen. Danach wird nämlich davon ausgegangen, dass ab 0,3 Promille BAK eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit möglich ist. Das bedeutet aber (natürlich) nicht, dass derjenige, der 0,3 Promille Alkohol im Blut hat, tatsächlich fahruntüchtig und damit strafbar ist, sondern man muss nachweisen, dass er tatsächlich nicht im Stande ist, ein entsprechendes Gefährt zu führen. Wie macht man das? Indem man prüft, ob er Ausfallerscheinungen zeigt – etwa die berühmten Schlangenlinien. § 316 StGB ist also erfüllt, wenn man ein bisschen Alkohol (0,3 Promille BAK) getrunken hat und das Gefährt nicht mehr sicher steuern kann (Ausfallerscheinungen). Neben dieser relativen Fahruntüchtigkeit gibt es aber auch noch die absolute. Dabei ist der Fahrer nicht „fahruntüchtiger“ als bei der relativen, sondern es werden nur andere Anforderungen an den Nachweis gestellt. Hier kommt wieder die Medizin ins Spiel: Es ist wissenschaftlich gesichert, dass ab 1,1 Promille BAK niemand, aber wirklich niemand mehr ein Auto auf Dauer sicher führen kann – beim Fahrrad ist das ab 1,6 Promille BAK der Fall. Wenn dieser Wert erreicht ist, ist völlig egal, ob der Fahrer in der konkreten Situation Fehler gemacht hat oder nicht, weil es ihm aus medizinischer Sicht unmöglich ist, sicher zu fahren.

Weil diese absolute Fahruntüchtigkeit bei Radfahrern aber erst bei 1,6 Promille BAK erreicht ist, kann Herr Jäger den Grenzwert nicht einfach absenken. Dafür bräuchte man vielmehr neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Erkenntnisse des Innenministers stützen. Der andere Weg wäre, § 316 StGB zu ändern und dort starre Grenzen einzuführen. Aber dafür sind erstens nicht die Länder zuständig, und zweitens mag der Gesetzgeber im Strafrecht keine konkreten Zahlen und belässt es lieber bei abstrakten Formulierungen. Alles in allem: Schön, dass Herr Jäger darüber geredet hat.

Hakenkreuz = Nazi?

3 Apr

Der Kölner Stadtanzeiger (KStA) berichtet von einem Abendschüler, der in der Schule Hakenkreuze zur Schau trägt. An sich ein klarer Fall des § 86a StGB, des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen – wäre da nicht die Tatsache, dass der Betreffende Hinduist ist und das Hakenkreuz in dieser Religion als Glückssymbol gilt. Der Schuldirektorin ist das egal: „Für mich ist das eindeutig. Das Hakenkreuz ist ein verfassungsfeindliches Symbol. Das Tragen ist strafbar.“ So zitiert der KStA die Schulleiterin, über deren juristische Qualifikation nichts Näheres bekannt ist. Den Hinweis, dass das was man als eindeutig bezeichnet, häufig doch nicht so eindeutig ist, spare ich mir mal.

§ 86a schützt als abstraktes Gefährdungsdelikt den demokratischen Rechtsstaat und den politischen Frieden. Wenn eine Handlung aber von vornherein überhaupt nicht dazu geeignet ist, diese Rechtsgüter zu beeinträchtigen, dann kann sie meines Erachtens auch nicht dem Tatbestand unterfallen. Bedenkt man das Argument der Schulleiterin, dass das Tragen der Hakenkreuze den Schulfrieden beeinträchtige, könnte dies dem Schüler aber wohl tatsächlich untersagt werden, ist das Bundesverfassungsgericht doch bedauerlicherweise der Auffassung, dass das verfassungsrechtliche geschützte Gut des „Schulfriedens“ (wo steht das eigentlich?) die Religionsausübungsfreiheit einschränken kann…

Edit: Jetzt auch bei lto.de.

§ 227 StGB – Körperverletzung mit Todesfolge (IUREO)

31 Mär

Diesmal geht es um die Problemfelder des § 227 StGB und die Entwicklung der BGH-Rechtsprechung.

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Die vorherigen Folgen des Podcasts finden sich hier.

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