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Fall Hoeneß – Eine Begriffsklärung

29 Apr

Zur Selbstanzeige, Amnestie, Absehen von Strafverfolgung und Steuermoral

I. Selbstanzeige 

Die Selbstanzeige ist in § 371 AO I geregelt. Danach ist der Steuerpflichtige, der eine Steuerhinterziehung nach § 370 I begangen hat, straffrei, wenn er „unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt“. Das hat Hoeneß angeblich im Januar getan, so dass „grundsätzlich“ seine Strafbarkeit ausgeschlossen sein sollte. Vorausgesetzt er kommt seiner Nachentrichtungspflicht nach, § 371 III AO.

Großzügiger als die „goldene Brücke“ des Rücktritts, muss die Selbstanzeige nicht „freiwillig“ erfolgen, und findet Anwendung nach dem Vollendungszeitpunkt! Eine Art zwingende tätige Reue, um dem Steuerhinterzieher einen Anreiz zur Steuerehrlichkeit zu schaffen. Damit will der Staat unbekannte Steuerquellen erschließen, und ist dabei auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen. So wird die Existenz des sehr weit gehenden Aliuds gerechtfertigt. Der einfache Betrüger (§ 263 StGB) erweckt bei dem Staat ein geringeres Interesse, und bekommt nicht die Begünstigungen der Selbstanzeige – ihm bleibt lediglich der Trostpreis: Rücktrittsregelungen und die allgemeinen Strafzumessungsvorschriften.

So der Grundsatz. Damit die Selbstanzeigemöglichkeit aber nicht missbraucht wird, hat der Gesetzgeber Ausschlussgründe im § 371 II AO vorgesehen. In dem Fall Hoeneß laufen zwar Ermittlungen, sie stellen aber nur einen Ausschlussgrund für die Selbstanzeige dar, wenn der Steuerhinterzieher zum Zeitpunkt der Selbstanzeige von der Einleitung eines Strafverfahrens Kenntnis erlangt hatte (§ 371 II Nr. 1 b). Dazu sind aber keine genauen Informationen vorhanden, so dass erst mal keine Sperre der Selbstanzeige in Betracht käme.

Die Selbstanzeige könnte aber aufgrund des § 371 II Nr. 3 AO unwirksam gewesen sein. Dieser Sperrgrund bezieht sich auf Steuerhinterziehungen, die einen Betrag von 50.000 Euros (pro Tat) übersteigen. Es wurde beschlossen, dass bei solchen Beträgen (Anlehnung an die BGH-Rechtssprechung zum „großen Ausmaß“, s.  § 370 III, Nr. 1  AO) dem Steuerhinterzieher der Weg zur Steuerehrlichkeit versperrt wird. Im Fall Hoeneß wäre dies gegeben. Somit kann er auf keinen Fall Straffreiheit nach § 371 I AO erlangen.

II. Absehen von Strafverfolgung

Jedoch wäre seine Selbstanzeige nicht sinnlos geblieben, da der 2011 neu einführte § 398a AO zur Anwendung kommt. Diese Vorschrift wurde zeitgleich mit § 371 II Nr. 3 AO geschaffen. Bei Vorliegen der Nr. 3 wird von der Strafverfolgung abgesehen, wenn der Täter innerhalb einer bestimmten Frist die hinterzogenen Steuer zurückbezahlt und zusätzlich 5% dieser Summe der Staatskasse zahlt. Es handelt sich dabei nicht mehr um einen Strafaufhebungsgrund, wie bei der Selbstanzeige, sondern um ein Strafverfolgungshindernis. Vorbild für diese Norm ist § 153a StPO gewesen. Die Strafbarkeit bleibt, es wird lediglich auf die Verfolgung verzichtet. Wichtig bei § 398a AO ist, dass die Voraussetzungen einer Selbstanzeige vorliegen müssen und insbesondere kein Sperrgrund nach § 371 II Nr. 1 und 2 eingetreten ist. Für den vorliegenden Fall heißt es: stellt sich heraus, dass ein Strafverfahren gegen Hoeneß doch vor seiner Selbstanzeige eingeleitet wurde, und er dies wusste, kommt Hoeneß auch nicht mehr in die Begünstigung des § 398a AO, und dies unabhängig davon, ob und wie viel er an Steuerschulden beglichen hat. § 398a AO ermöglicht somit keine Umgehung der Sperrgründe des § 371 II AO und derjenige der mehr Steuer hinterzogen hat, wird somit nicht bevorzugt. Für ihn sind die Voraussetzungen zur Erlangung der „Straffreiheit“ strenger als bei einem „normalen Steuerhinterzieher“.

III. Alternativen

SPD und Grünen nehmen die Affäre Hoeneß zum Anlass, um die Selbstanzeige in Frage zu stellen. Der Regierung wird vorgeworfen, die Steuerbetrüger zu schützen. In der Tat stehen Steuerhinterzieher besser dar, als einfache Betrüger. Welche Alternativen gibt es? Das Besondere an der Steuerhinterziehung ist, dass die Entdeckungschancen sehr gering sind, die Strafe also kaum ernst genommen werden kann und somit ihre Zwecke nicht zu erfüllen vermag. Dazu kommt auch in den meisten Fällen ein sehr kurzer Versuchsstadium, der keinen Rücktritt ermöglicht. Die Selbstanzeige ist zur Zeit die einzig brauchbare Lösung um diesen kaum existierenden Rücktritt zu ergänzen bzw. auszudehnen. Es ist richtig, dass die Selbstanzeigemöglichkeit die Begehung von Steuerhinterziehungen nicht verhindert, der Rücktritt aber auch nicht. Es geht dabei nur darum demjenigen, der die rote Linie überschritten hat eine Chance zu geben, den Schaden wieder gut zu machen.

Ganz anders wäre eine Amnestie zu beurteilen gewesen (ein Amnestie-Abkommen mit der Schweiz ist Ende 2012 gescheitert), denn geplant  war, dass die betroffenen Steuerhinterzieher von der Erhöhung der Aufdeckungschance benachrichtigt worden wären, und sich erst dann mit der Möglichkeit der Steuernachzahlung hätten auseinandersetzen müssen. Mit Steuerehrlichkeit hätte ein solches Verfahren nichts mehr zu tun.

Neue Ermittlungen zu NS-Verbrechen: drei Fragen

8 Apr

Die Bild titelt: ERMITTLER KENNEN NAMEN UND ADRESSEN – 20 Fahnder jagen 50 KZ-Aufseher. Kommt also noch der letzte große Prozess zu NS-Verbrechen?

Möglich ist es, da nicht nur in Ludwigsburg, sondern auch in diversen Staatsanwaltschaften zu NS-Verbrechen ermittelt wird, z.B. gegen J. Kalymon in München, oder J. Breyer in Weiden i.d. Oberpfalz. Bei der regen Berichterstattung der letzen Tage sind drei Kernfragen jedoch einwenig untergegangen.

1. neue Rechtslage?

Auch wenn seit dem Demjanjuk-Verfahren in der Presse immer wieder von „juristischem Novum“ (SZ Magazin, 23.4.2010, S. 15) die Rede ist, hätte man aus rechtlicher Sicht gegen Wachmänner aus Vernichtungs- und Konzentrationslagern auch früher ermitteln können. Subsumiert man den Sachverhalt eines Vernichtungslagers, liegen alle Voraussetzungen der Beihilfe vor: rechtswidrige Haupttat und eine Hilfeleistung, die für den Taterfolg förderlich ist. Alleine die Anwesenheit der Wachmänner im Lager, ermöglichte den Tatausführenden das tägliche Morden, was st. Rspr. des BGH ist (vgl. nur NStZ 1995, 490). Die Teilnahme des Lagerpersonals wurde entsprechend in Verfahren zu Sobibor (LG Hagen, 1966) oder Majdanek (LG Düsseldorf, 1981) treffend als funktionelle Mitwirkung bezeichnet:

„In den einzelnen Fällen haben die jeweils damit befassten Angeklagten durch ihre funktionelle Mitwirkung zusammen mit anderen SS-Angehörigen die Tötungen ursächlich ermöglicht. Keiner von ihnen war dabei überflüssig; alle waren auf dem Platz, auf den sie gestellt waren, notwendig, um als tatnahe Mitwirkende des betreffenden Geschehens das Funktionieren der „Mordmaschinerie“ zu gewährleisten. Jeder einzelne war zwar wie alle Angehörige des Kommandanturstabes, um bei dem Bild zu bleiben, nur „ein Rad im Getriebe“ des Lagers; die Auswechselbarkeit eines solchen „Rades“, d.h. die denkbare Ersetzung eines Angeklagten durch einen anderen SS-Angehörigen (…), vermag an der gegebenen Kausalkette aber nichts zu ändern.“ – LG Düsseldorf vom 30.06.1981, 8 Ks 1/75

Interessanter ist also die Frage, warum erst jetzt gegen diese „kleineren“ Teilnehmer von NS-Verbrechen ermittelt wird. Eine der Antworten ist die Ausgangslage nach dem Krieg, die typisch ist für Länder nach einen totalitären und verbrecherischen System. Bei konsequenter Anwendung des Strafrechts hätte die deutsche Justiz gegen tausende von Männern und Frauen ermitteln müssen, die Ende der 50er ansonsten nicht vorbestraft und in der Gesellschaft integriert waren…(siehe dazu das Schlussplädoyer von Cornelius Nester im Demjanjuk-Verfahren).

2. weitere Tätergruppen?

Neben Wachmännern in Vernichtungs- und Konzentrationslagern, kommen auch Mitglieder aller Einheiten (Einsatzgruppen, Waffen-SS, Ordnungspolizei, Wehrmacht, etc.) in Betracht, die bei Erschießungen oder Gaswageneinsätzen z.B. als Absperrposten eingesetzt worden sind. Bisher wurden gegen solche Personen nicht systematisch ermittelt, obwohl sie in vielen Verfahren als Belastungszeugen fungierten. Ebenfalls ist eine Ermittlung bei Teilnahmen an sog. „Ghetto-Liquidierungen“ und Zugtransporten in die Todeslager möglich, wenn Kenntnis über das weitere Schicksal der Opfer nachgewiesen werden kann.

3. viele Verfahren?

50 Verfahren nur für Auschwitz? Wohl kaum. Neben Sachverhaltsfragen (Wurden Menschen in KZ’s genau so systematisch wie in Vernichtungslagern getötet?) und materiell-rechtlichen Problemen, die sowohl Ermittlungen, als auch Prozess verlangsamen, oder gar stoppen könnten (bsp. doppelter Gehilfenvorsatz, eventuelle Mordmerkmale, Überprüfung eines sog. Befehlsnotstandes), kommen noch rein praktische dazu. Die Beschuldigten sind potentiell verhandlungsunfähig, ja sogar das hohe Alter an sich kann in einem solchen Fall ein Verfahrenshindernis sein (BGHSt. 49, 189). Schließlich ist regelmäßig ein Sachverständigengutachten anzufordern, was das Verfahren deutlich verlangsamt.

Fazit

Auch wenn es heute (leider) nicht 20 Fahnder sind, so ist die neuste Aktivität der Ludwigsburger Behörde erfreulich. Als Providurium, Übergangslösung für ein vermeintlich schnell zu lösendes Problem eingerichtet, hat die „Zentrale Stelle“, obwohl keine Staatsanwaltschaft, durch ihre Ermittlungsarbeit für Achtungserfolge gesorgt. Schon immer schwamm man gegen den Strom, früher gegen die Gesellschaft, die die Verbrechen vergessen wollte, heute gegen die übrige Justiz, die den Sinn von NS-Verfahren immer häufiger bezweifelt. Ohne ihre Ermittlungsergebnisse in Form von Vernehmungen, Gutachten und Vemerken wäre die historische Erfassung von NS- und Kriegsverbrechen in ihrer Form nie möglich gewesen.

Zum weiterlesen: Umansky, Geschichtsschreiber wider Willen? Einblick in die Quellen der „Außerordentlichen Staatlichen Kommission“ und der „Zentralen Stelle“, in: Nußberger/von Gall, Bewusstes Erinnern und bewusstes Vergessen, Tübingen 2011, S. 347ff.

Klarstellung unerwünscht: Pjöngjang, Washington und der Erstschlag

20 Mär

Gastbeitrag von Dr. Björn Schiffbauer

Nordkorea beherrschte wieder einmal die Schlagzeilen der Weltnachrichten. Es begann an einem Donnerstag Anfang März. Der Zeitpunkt könnte mit Bedacht gewählt worden sein, denn die Welt blickte noch nicht auf die Papstwahl, sondern war für düstere Nachrichten empfänglich. Eine dieser Nachrichten am 7. März 2013 war: Pjöngjang hat den USA einen atomaren Erstschlag angedroht. „Solange die USA einen Atomkrieg anstreben, haben unsere revolutionären Streitkräfte das Recht auf einen präventiven Atomschlag“, wird eine Sprecherin des nordkoreanischen Außenministeriums von der Nachrichtenagentur KCNA zitiert. Offenbar zur Stützung dieser Drohung sprach das Regime Presseberichten zufolge einen Tag später die Kündigung eines Nichtangriffspaktes mit Südkorea aus. (Es ist allerdings unklar, ob damit die wichtige Waffenstillstandsvereinbarung zur Beendigung des Korea-Krieges von 1953 oder – wahrscheinlicher – ein weniger prominentes Abkommen aus dem Jahr 1991 gemeint war.) Zudem kappte der Norden Kommunikationslinien mit dem Süden und forciert nun nach eigenen Angaben den Ausbau seines Atomprogramms umso dringlicher. All diese Gebärden fallen in eine Zeit, in welcher der UN-Sicherheitsrat seine Sanktionen gegen den kommunistischen Staat verschärft hat. Dies mag der politische Grund für solches Säbelrasseln sein; ob Nordkorea allerdings tatsächlich das Potential für einen Atomschlag besitzt, ist nach derzeitigem Kenntnisstand zweifelhaft. Gleichwohl hat dessen unverblümte Androhung weltweit für Unruhe gesorgt.

Südkorea zeigt sich zwar nach außen hin unbeeindruckt; an lautes Gepolter aus Pjöngjang hat man sich längst gewöhnt. Die ungewöhnliche Schärfe der Drohung indes dürfte man registriert haben, die Alarmbereitschaft im Süden ist wohl kaum gesunken. Auch die USA geben sich offiziell gelassen, werden aber dennoch ihr Raketenabwehrsystem an der gesamten Westküste mit nicht geringem Aufwand verstärken. Nordkorea, so scheint es, darf sich wohl doch ein wenig ernstgenommen fühlen.

Unabhängig von alldem ruft die vordergründig politische Polemik Nordkoreas in einem größeren Kontext aber vor allem das Völkerrecht auf den Plan. Immerhin wird ausdrücklich „das Recht auf einen präventiven Atomschlag“ beansprucht! Dem Wortlaut dieser staatlich zurechenbaren Äußerung ist zu entnehmen, dass Nordkorea glaubt, sich innerhalb der Grenzen völkerrechtlich legaler Gewaltanwendung zu bewegen, wenn es mit Atomwaffen gegen die USA vorgeht, ohne dass das Land selbst bereits Opfer eines bewaffneten Angriffs geworden wäre. Dies verlangt nach einer genaueren Betrachtung. Denn das Völkerrecht ist eine Rechtsmaterie, die sich ständig im Fluss befindet und durch von Rechtsüberzeugung getragener Staatenpraxis bestätigt, verändert und erweitert werden kann. Dies ist das Prinzip von Völkergewohnheitsrecht. Doch auch völkerrechtliche Verträge wie etwa die UN-Charta werden durch spätere Staatenpraxis in ihrer Auslegung häufig konkretisiert. Zu beidem könnte Nordkorea – womöglich ungewollt – durch seine jüngste Rhetorik beigetragen haben.

Die Erklärung des Außenministeriums liest sich vereinfacht so: „Wir dürfen die USA mit Atomwaffen angreifen, bevor sie das gleiche mit uns tun.“ Obwohl schlagzeilenträchtig, ist der nukleare Zusammenhang hier eher zweitrangig. Denn die Frage, ob Nordkorea „präventiv“ gegen die USA Gewalt anwenden darf, hat grundsätzlich nichts mit der Art und Beschaffenheit der eingesetzten Waffen zu tun. Zweifellos sind Atomwaffen das größte von Menschen geschaffene Übel; die ganze Welt könnte durch die Kraft der existierenden Nuklearsprengsätze pulverisiert werden. Jedoch stellte der Internationale Gerichtshof bereits 1996 in seinem Gutachten zur Legalität der Anwendung von Atomwaffen fest, dass deren Einsatz im Falle von Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta nicht prinzipiell untersagt ist. Vielmehr unterliegt die Form der Gewaltanwendung immer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zumindest wenn die Existenz eines Staates bedroht ist, könnten deshalb auch Atomwaffen zum Einsatz kommen. Ob dies auch im Falle Nordkoreas in Frage käme, darf stark bezweifelt werden. Die Erklärung des Außenministeriums impliziert dies allerdings, immerhin bemüht sie einen drohenden „Atomkrieg“. Einen solchen horribile dictu unterstellt, dürften wohl auch Atomwaffen zur Verteidigung eingesetzt werden.

Doch zurück zum zwischenstaatlichen Selbstverteidigungsrecht. Darf Nordkorea einer kolportierten amerikanischen Gewalthandlung mit eigener Gewalt zuvorkommen? Die völkerrechtliche Antwort auf diese Frage verbirgt sich im umstrittenen Institut der sogenannten „vorbeugenden Selbstverteidigung“. Seinen Ursprung hat dieses in einer anderen Zeit, gleichwohl aber an einem bekannten Ort: den USA. Im Jahre 1837 kam es zwischen dem noch jungen amerikanischen Staat und der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien zu einem gewaltsamen Zwischenfall auf dem Niagara-Fluss. Das Dampfschiff „Caroline“ wurde von britischen Truppen in Brand gesteckt und in den Niagara-Fällen versenkt, weil sich US-amerikanische Aufständische im Begriff befunden haben sollen, die damals britische Provinz Oberkanada anzugreifen. Die diplomatische Aufarbeitung dieses Vorfalls brachte eine nach dem US-Außenminister Daniel Webster benannte Formel hervor, nach der vorbeugende Gewaltanwendung legal ist im Falle einer „necessity of self-defense, instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment for deliberation“. Dieses Zitat hat Zeitwenden und Kriege überlebt. Noch heute wird es in Verbindung mit dem Selbstverteidigungsrecht aus Artikel 51 der UN-Charta wiedergegeben. Die heute herrschende Meinung im Völkerrecht erkennt demnach ein Recht zu vorbeugender Selbstverteidigung an, wenn ein Angriff zeitlich unmittelbar bevorsteht oder aber es höchst wahrscheinlich ist, dass ein Angriff in jedem Moment stattfinden kann. Einfach ausgedrückt: Ein Angriffsobjekt muss nicht auf eine Verletzung warten, sondern darf den Auslöser eines ansonsten eintretenden Schadens gewaltsam beseitigen, wenn andere Mittel nicht in Betracht kommen.

Doch was bedeutet dies für Nordkorea? Wenn das Land von den Waffen der USA anvisiert wird, dürfen die Generäle um Kim Jong Un zuschlagen. Danach sieht es aber zur Zeit nicht aus. Obwohl die USA gemeinsam mit Südkorea regelmäßig Seemanöver an der koreanischen Halbinsel vollziehen, gibt es keine Anzeichen dafür, dass die USA – zumal in Eigenregie – Nordkorea attackieren würden. Dagegen spricht allein die in diesem Fall recht gute Kooperation mit den übrigen Vetomächten im UN-Sicherheitsrat, die man im Falle eines Alleingangs aufs Spiel setzen würde. Der Sicherheitsrat selbst dürfte hier eher das Zünglein an der Waage spielen: Bleiben seine Sanktionen weiterhin wirkungslos, könnte er zu noch härteren Mitteln greifen. Kapitel VII der UN-Charta ermächtigt ihn nämlich, eine Resolution zu erlassen, die zu einem gewaltsamen Eingreifen in Nordkorea ermächtigt. Käme es dazu, stünde zweifellos fest, dass Nordkorea mit einem Eingreifen fremder Staaten zu rechnen hat. Doch hätte es dann kein Selbstverteidigungsrecht, weil Resolutionen des Sicherheitsrats stets Vorrang haben.

Was auch kommen mag, die sachlichen Voraussetzungen für einen völkerrechtskonformen Erstschlag Nordkoreas liegen in diesen Tagen nicht vor. Da aber die Erklärung Nordkoreas dennoch rechtlich relevant ist und mit der herrschenden Meinung im Völkerrecht übereinstimmt, wird diese dadurch bestärkt. Denn, wie oben erwähnt, ist dies beachtliche Staatenpraxis für die Entwicklung (oder Festigung) einzelner völkerrechtlicher Institute.

Nun lohnt es sich, noch einen Schritt weiter zu denken. Denn nach der gegenwärtigen Tatsachenlage könnte das Pendel des vorbeugenden Selbstverteidigungsrechts nämlich in Richtung USA hinüberschwingen. Nimmt man die Erklärung Nordkoreas ernst, so ist deren Staatsführung jederzeit willens und bereit, einen (atomaren) Schlag gegen die USA einzuleiten. Ein solcher wäre eine völkerrechtswidrige Gewaltanwendung, nämlich ein klassischer bewaffneter Angriff nach Artikel 51 der UN-Charta. In diesem Fall stünde den USA das Recht auf vorbeugende Selbstverteidigung unter den eben genannten Voraussetzungen zu. Die USA müssten also nachweisen, dass Nordkorea (entgegen bisheriger Erkenntnisse) das Potential für einen solchen Angriff besitzt und tatsächlich hinreichend konkretisierte Vorbereitungen getroffen hat, die nur in einen Angriff münden können. Die bisherige Kriegsrhetorik genügt für eine solche Annahme freilich nicht. Spannender würde es allerdings, wenn Nordkorea tatsächlich sein Atomprogramm nennenswert und schlagkräftig fortentwickelt sowie seine Feindseligkeit nach Außen unmissverständlich (etwa durch Abbruch bedeutsamer diplomatischer Beziehungen und sämtlicher Verhandlungen mit Drittstaaten) zum Ausdruck bringt. Käme es dazu, müsste die Sachlage wohl insgesamt noch einmal neu bewertet werden. Jedenfalls wäre ein amerikanischer Schlag (nur!) als letzter Ausweg rechtmäßig und dann gerade kein – völkerrechtswidriger – „preemptive strike“ gegen eine bloß potentielle Gefahr, wie man ihn aus den Doktrinen des Ex-Präsidenten Bush jun. kennt.

Nicht nur für Völkerrechtler wäre eine Reaktion der USA mit Spannung zu erwarten. Denn zwischen legaler vorbeugender Selbstverteidigung bei einem unmittelbar bevorstehenden Angriff und illegaler Gewalt gegen eine nur potentielle Gefahr besteht eine völkerrechtliche Grauzone, die durch Staatenpraxis einen entsprechenden Anstrich erfahren könnte. Entschließen sich die USA nämlich für ein gewaltsames Vorgehen gegen Nordkorea, ohne dass dessen Generäle die letzten Angriffsvorbereitungen getroffen hätten, würden sie dies gewiss mit dem besonderen Gefährdungs- und Schadenspotential von Atomwaffen begründen. In einem solchen Fall könnte das bisher gültige vorbeugende Selbstverteidigungsrecht nachhaltig ausgedehnt werden, indem die Legalität einer Intervention zusätzlich an dem Ausmaß des sonst zu erwartenden Schadens bemessen wird. Die anschließende Reaktion der Staatenwelt wird dann über die Rechtsentwicklung entscheiden. Zu befürchten ist allerdings, dass dies unter dem Eindruck – rechtswidriger, aber womöglich nuklearer – Vergeltungsschläge Nordkoreas geschehen könnte. Sogar die Völkerrechtler würden auf eine solche Rechtsklarstellung gerne verzichten.

Dr. Björn Schiffbauer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. Claus Kreß LL.M. (Cambridge) am Institute for International Peace and Security Law der Universität zu Köln. Seine 2012 erschienene Dissertation trägt den Titel „Vorbeugende Selbstverteidigung im Völkerrecht“.

Märchenmootcourt „Rotkäppchen“ an der Uni Köln

19 Dez
ELSA Köln hat auch dieses Jahr ein Märchenmootcourt veranstaltet.
Datum: 19.12.12
Uhrzeit: 19:00
Ort: Hörsaal A2, Hörsaalgebäude

Bericht aus der Märchenwald-Rundschau vom 3. Dezember 2012

„Held oder Verbrecher?

Am 19.12. beginnt vor der großen  Strafkammer des Amtsgerichts Märchenwald der Prozess in einem der mysteriösesten Fälle der letzten Jahre.

Mitte November wurde Herr W. mit lebensgefährlichen Verletzungen im Bauchraum  ins Krankenhaus eingeliefert. Ihm war mit einem Messer der Bauch aufgeschlitzt, anschließend mit Steinen gefüllt und wieder zugenäht worden.  Die Ermittlungen  ergaben, dass die Tat von Herrn J. im Haus von Rotkäppchens Großmutter begangen wurde.

Es konnte aber bisher noch kein Motiv ermittelt werden, da J. bisher jede Aussage verweigert hat. Es ist zu hoffen, dass die Verhandlung näheres ergibt.
Auch die Aussagen von Rotkäppchen und ihrer Großmutter geben Anlass für Unklarheiten, die noch in der Verhandlung erörtert werden müssen. Diese bezichtigen den Herrn W., gewaltsam in das Haus eingedrungen zu sein und sie gefangen gehalten zu haben.

Es ist zu hoffen, dass aufgeklärt wird, wer nun tatsächlich der Täter und wer das Opfer ist.“

Weitere Infos hier und hier.

Podiumsdiskussion zur Beschneidung

27 Nov

Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Reinhard Merkel, Prof. Dr. Wolfram Höfling, M.A., Dr. Gil Yaron und Dr. Michael Schmidt-Salomon in Köln, im Rahmen der „Kölner Diskurse zum Rechtspluralismus“.

Moderation: Prof. Dr. Dan Wielsch, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtstheorie

Universität zu Köln, Hörsaal II, Hauptgebäude, Do. 6. Dez 2012, 19:30

Weitere Informationen hier.

Repetitoren jagen Wissenschaftliche Mitarbeiter

26 Nov

LTO berichtete kürzlich über Einzelrepetitorien und deren angeblichen Erfolg (der Artikel liest sich stellenweise wie eine Werbung). Nur acht Tage später bekomme ich eine Mail eines Berliner Repetitoriums, das sich im Raum Köln/Bonn erweitern möchte. Die E-mail ist nicht personalisiert, jedoch an wissenschaftliche Mitarbeiter gerichtet:

„Die Tätigkeit ist auf 6 Std./Woche beschränkt und daher gut neben Ihrer wiss. Mit.-Stelle zu realisieren. Eine leistungsgerechte überdurchschnittliche Vergütung ist selbstverständlich.“

Es geht um Einzelunterricht. Laut Internetseite des Repetitors zahlt der Kunde 69 Euro stündlich. Keine schlechter Lohn auf den ersten Blick. Aber… Der Repetitor möchte ja auch etwas davon haben, manchmal bis zu 50 %: für Vermittlung des Kunden, Materialien und das Totschlagargument „bezahltes Lernen“. Man wiederholt schon mal für das Zweite.

Angenommen Berliner sind großzügig und wollen mich tatsächlich „überdurchschnittlich“ entlohnen. Gehen wir also von 40-45 Euro aus. Immer noch sehr ordentlich, oder? Aber…die Vorbereitung der Unterrichtsstunde? In 30 Minuten ist es nicht getan. Eventuelle Fragen müssen nachgeschlagen und vorbereitet werden. Einem AG-Teilnehmer könnte man noch eventuell sagen: „Das weiß ich gerade nicht. Ich schau bis zum nächsten mal nach.“ Aber einem Examenskandidaten, der 69 Euro bezahlt hat? Also schmälert sich der Stundenlohn und bei den sechs Wochenstunden bleibt es sicherlich auch nicht. Und versteuern muss man das Ganze auch. Bei einer halben WissMit-Stelle aufwärts ist der Richtwert bei 30 %.

Schließlich muss man jede Nebentätigkeit der Universität anzeigen gem. § 3 Abs. 4 TV-L i.V.m. § 40 Nr. 2 Ziff. 2 TV-L. Sie kann es kaum verhindern (potentielle Beeinträchtigung der Arbeitsleistung notwendig), aber ob der Professor darüber glücklich sein wird, dass man für einen Repetitor tätig ist?

Immer noch interessiert?

Die „frewillig“ abgegebene Speichelprobe

23 Nov

Laut Spiegel-Online sollen nach der Vergewaltigung einer Soldatin in einer niedersächsischen Kaserne 500 Soldaten – das gesamte männliche Personal der Kaserne – zum freiwilligen Speicheltest zwecks Bestimmung des sogenannten „genetischen Fingerabdrucks“ antreten. Ihre rechtliche Grundlage findet eine solche Maßnahme in § 81h StPO. Sie bedarf der richterlichen Anordnung und ist nur mit schriftlicher Zustimmung des Betroffenen zulässig. Zwangsweise darf der Test nicht durchgeführt werden, denn schließlich besteht gegen keinen der zum Test aufgerufenen ein Verdacht.

Was aber tun, wenn ein Aufgerufener nicht zum Test erscheint? Die Antwort des BVerfG (NJW 1996, 1587, 1588)  ist klar: Die Verweigerung der Probe darf „nicht als ein den Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer begründendes oder bestärkendes Indiz gewertet werden […]; das ergibt sich aus dem allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatz, dass das Gebrauchmachen von einem gesetzlich eingeräumten Rechtsbehelf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf.“ Entsprechend heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 15/5674 S. 13 f.): „Aus der Ausgestaltung der Regelung als Befugnisnorm für eine Maßnahme auf der Basis freiwilliger Mitwirkung der Betroffenen folgt [], dass allein die Verweigerung der Teilnahme am Reihengentest für sich betrachtet keinen Anfangsverdacht begründen kann.“

Nimmt man dies ernst, wird § 81h StPO eigentlich überflüssig, denn das Ziel eines Reihengentests ist es ja gerade, möglichst viele Unschuldige zum DNA-Test zu bewegen, um dann durch das Ausschlussverfahren auf den Täter zu kommen. Darf man den Anfangsverdacht also nicht aus dem Fernbleiben vom DNA-Test folgern, stellt sich die Frage, wie man überhaupt an ihn kommen soll.

Laut der Gesetzesbegründung darf man deshalb hierfür auf „sonstige Umstände, zu denen auch die Prüfmerkmale nach Absatz 1 zählen,“ zurückgreifen. Dem fernbleiben kommt für einen so gefundenen Anfangsverdacht – entgegen der Vorgabe des BVerfG – eine „verdachtsverstärkende Wirkung“ zu.

Im Klartext: Aus der Tatsache, dass man nicht zum Gentest erscheint, darf kein Verdacht geschlossen werden, wohl aber daraus, dass man zu der Gruppe, die für den Test ausgewählt wurde. Dieser Verdacht wird dann dadurch verstärkt, dass man nicht zum Test erschienen ist. Von der Freiwilligkeit bleibt damit nichts mehr übrig.

Der NSU und der Verfassungsschutz

6 Nov

250 Zuhörer fanden sich letzten Mittwoch zur Veranstaltung NSU und der Verfassungsschutz im Hörsaal B der Uni Köln wieder. Die beiden Referenten, Dr. Eva Högl, MdB und Sprecherin der SPD-Bundesfraktion im Untersuchungsausschuss „Terrorgruppe NSU“ und Hans Leyendecker, Journalist von der SZ wurden vom Förderverein des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Uni Köln und dem Kölner Anwaltsverein zu einer Diskussionsrunde geladen. Frau Högl gab einen knappen, aber hoch interessanten Einblick in die Arbeit des Untersuchungsausschusses und beantworteten Fragen von Studenten und Strafverteidiger zum Sinn des Verfassungsschutzes und dessen Arbeitsmethoden. Herr Leyendecker demonstrierte an mehreren Beispielen aus den Ermittlungen, warum es kaum nachvollziehbar ist, wie schlecht und blind Strafverfolgungsbehörden und Verfassungsschutz gearbeitet haben. Ein ausführlicher Bericht findet sich bei der Legal Tribune Online.

Fotos: Markus Dinkelbach

Der NSU und der Verfassungsschutz (Veranstaltungshinweis)

30 Okt

Hörsaal B im Hörsaalgebäude (Uni Köln), 31. Oktober 2012, 19.30 – 21.30 Uhr

Referenten:
  • Dr. Eva Högl, MdB und Sprecherin der SPD-Bundesfraktion im Untersuchungsausschuss „Terrorgruppe NSU“
  • Hans Leyendecker, Journalist (Süddeutsche Zeitung)

Die rechtsextreme-terroristische Vereinigung NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) wird verdächtigt, die Neonazi-Mordserie in den Jahren 2000 – 2006 an ausländischen Gewerbetreibenden, das Nagelbomben-Attentat in Köln im Jahre 2004 sowie den Polizistenmord in Heilbronn im Jahre 2007 begangen zu haben. Bei einem Polizeieinsatz im November 2011 kamen die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ums Leben. Ein weiteres NSU-Mitglied Beate Zschäpe stellte sich Tage später der Polizei. Das Terror-Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe steht somit im Verdacht, mehr als zehn Jahre ungehindert durch die Bundesrepublik gezogen und zahlreiche Verbrechen ausgeübt zu haben. Immer wieder berichten Medien, die Verfassungsschutzbehörden hätten in dieser Zeit zumindest über V-Spitzel Kontakt zu den NSU-Mitgliedern gehabt. Was war bei der NSU die Rolle des Verfassungsschutzes? Was war die Rolle der V- Spitzel? Welche „Beihilfe“-handlungen von V-Spitzeln/des Verfassungsschutzes gegenüber der NSU sind bekannt? Wo liegen die rechtlichen Grenzen für V-Spitzel und für den Verfassungsschutz? Haben sich V- Spitzel und Verfassungsschutz strafbar gemacht? Hätten die NSU-Straftaten verhindert werden können?

Beide Referenten beschäftigen sich intensiv mit den Themen Rechtsextremismus und Verfassungsschutz.

Kontakt: Frau Swetlana Vogel, 0221-470-4284

Herr Jäger und der Blutalkohol

18 Jul

Nach einem Bericht von Spiegel-Online fordert der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) eine Absenkung der absoluten Fahruntüchtigkeit für Fahrradfahrer von derzeit 1,6 Promille auf 1,1 Promille. Dabei offenbart Jäger beträchtliche Wissenslücken, was § 316 StGB angeht.

Bei der Trunkenheitsfahrt wird zwischen der relativen und der absoluten Fahruntüchtigkeit unterschieden. Die relative beginnt bei 0,3 Promille Blutalkoholkonzentration (BAK) und die absolute beim Auto bei 1,1 Promille BAK und beim Fahrrad bei 1,6 Promille BAK. Herr Jäger stellt es sich nun so vor, dass man diesen letzteren Wert einfach absenken kann – aber so einfach ist das nicht. Das zeigen die medizinischen Erkenntnisse, die hinter den beiden Begriffen stehen. Danach wird nämlich davon ausgegangen, dass ab 0,3 Promille BAK eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit möglich ist. Das bedeutet aber (natürlich) nicht, dass derjenige, der 0,3 Promille Alkohol im Blut hat, tatsächlich fahruntüchtig und damit strafbar ist, sondern man muss nachweisen, dass er tatsächlich nicht im Stande ist, ein entsprechendes Gefährt zu führen. Wie macht man das? Indem man prüft, ob er Ausfallerscheinungen zeigt – etwa die berühmten Schlangenlinien. § 316 StGB ist also erfüllt, wenn man ein bisschen Alkohol (0,3 Promille BAK) getrunken hat und das Gefährt nicht mehr sicher steuern kann (Ausfallerscheinungen). Neben dieser relativen Fahruntüchtigkeit gibt es aber auch noch die absolute. Dabei ist der Fahrer nicht „fahruntüchtiger“ als bei der relativen, sondern es werden nur andere Anforderungen an den Nachweis gestellt. Hier kommt wieder die Medizin ins Spiel: Es ist wissenschaftlich gesichert, dass ab 1,1 Promille BAK niemand, aber wirklich niemand mehr ein Auto auf Dauer sicher führen kann – beim Fahrrad ist das ab 1,6 Promille BAK der Fall. Wenn dieser Wert erreicht ist, ist völlig egal, ob der Fahrer in der konkreten Situation Fehler gemacht hat oder nicht, weil es ihm aus medizinischer Sicht unmöglich ist, sicher zu fahren.

Weil diese absolute Fahruntüchtigkeit bei Radfahrern aber erst bei 1,6 Promille BAK erreicht ist, kann Herr Jäger den Grenzwert nicht einfach absenken. Dafür bräuchte man vielmehr neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Erkenntnisse des Innenministers stützen. Der andere Weg wäre, § 316 StGB zu ändern und dort starre Grenzen einzuführen. Aber dafür sind erstens nicht die Länder zuständig, und zweitens mag der Gesetzgeber im Strafrecht keine konkreten Zahlen und belässt es lieber bei abstrakten Formulierungen. Alles in allem: Schön, dass Herr Jäger darüber geredet hat.