Archiv | September, 2011

The final countdown

30 Sept

Am Montag dieser Woche habe ich eine Dokumentation über einen Haftrichter des AG Frankfurt/Main gesehen, die ich aus zweierlei Gründen jedem ans Herz legen möchte. Zum einen gehören Kenntnisse über die strafprozessualen Zwangsmittel (vorläufige Festnahme, Verhaftung) zumindest „im Überblick“ zum Pflichtfachstoff der ersten Prüfung in NRW (§ 11 Abs. 2 Nr. 8 JAG NRW). Insbesondere in der Mündlichen Prüfung kann dem Prüfling daher durchaus mal die Frage begegnen: „Was sind eigentlich die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls?“ Hier sollte ein Blick in § 112 StPO helfen (den sich jeder Student einmal durchlesen sollte). Kurz gesagt: Es bedarf eines dringenden Tatverdachts (= große Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist) und eines Haftgrundes. Haftgründe sind die Flucht, die Fluchtgefahr oder die Verdunkelungsgefahr. Zudem verlangt das Gesetz eine besonders gründliche Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgrund des grundrechtsintensiven Eingriffs des Staates. Für einige besonders schwere Delikte ergeben sich gewisse Besonderheiten (vgl. § 112 Abs. 3 StPO).

Der zweite Grund ist nun der, dass man als Student nicht allzu viele Gelegenheiten bekommt an derartigen Haftentscheidungen teilzunehmen. Die Dokumentation vermittelt, trotz der zeitlichen Straffung, doch einen guten Einblick in die Arbeit des Haftrichters. Nicht abschrecken lassen sollte man sich von dem recht martialischen Titel „Der Knast-Entscheider“. Ein letzter Hinweis: die Sendung ist ab 16 Jahren freigegeben und kann daher nur im Zeitraum von 22-6 Uhr gesehen werden.

http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=8315176

Besuch einer mündlichen Examensprüfung

29 Sept

Neben dem Semesterpensum einer AG, versuche ich den Teilnehmern zudem einen „Blick über den Tellerrand“ auf dem Weg durch das Studium nahe zulegen:

Zwar bietet der Beruf des Juristen unzählige Möglichkeiten sich persönlich zu entfalten – kaum ein anderes Profil ist derart vielgestaltig einsetzbar. Allerdings kann das Studium durchaus klischeehaft „trocken“ sein und sich als steiniger Weg bis zum Ziel „Jurist/in“ erweisen.

Gerade das Stadium „Grundstudium“ kann frustrieren: Die juristische Denkweise ist noch fremd – und was bitte ist ein gelungener Gutachtenstil? Zudem müssen alle drei Rechtsgebiete mit Klausuren abgedeckt werden. Eine Situation, die – verschärft – erst in der Examensvorbereitung wieder eintritt. Zwischendrin bleibt kurz Zeit um im Hauptstudium wahlweise eigene Interessen abzudecken oder sich mit der Wahl des Schwerpunktes für einen möglicherweise schon angepeilten Karriereweg zu rüsten. Kurzum, das Grundstudium ist für die meisten Jurastudenten ein Sprung ins kalte Wasser. Der – wie ich erfahren habe mittlerweile gut beworbene – Freischuss gibt zudem ein recht ordentliches Tempo vor. Um dabei nicht nur „Scheine“ abzuarbeiten, sondern auch die persönliche Entwicklung zu fördern, rate ich zum „Blick über den Tellerrand“. Dieser kann nicht pauschal verordnet werden, sondern variiert mit der Interessenlage des Einzelnen.

Da ich selbst schon von Beginn des Studiums an strafrechtlich interessiert war und fernab von jeglicher Vorstellung des Berufsbildes völlig unbedarft „auf jeden Fall“ zur StA wollte, habe ich im ersten Semester die Veranstaltung „Rechtsmedizin für Juristen“ besucht. Geleitet hat mich dabei vor allem der Gedanke, nicht unbedingt am Arbeitsplatz zum ersten Mal mit einem „richtigen Toten“ konfrontiert zu werden (bei regelmäßiger Teilnahme besteht die Möglichkeit bei einer äußeren Leichenschau zuzuschauen). „Rechtsmedizin für Juristen“ (alle zwei Wochen mittwochs) empfehle ich noch heute.
Daneben versuche auch ich ein paar außerlehrplanmäßige Aktivitäten anzubieten. Neben dem klassischen Strafrechtsprogramm „Besuch einer Gerichtsverhandlung“ hat sich das Angebot einer Führung durch die JVA Ossendorf etabliert. Persönlich verbinde ich damit den für Strafrechtler unverzichtbaren Eindruck von der tatsächlichen Bedeutung des Freiheitsentzugs als Kriminalstrafe zu bekommen.

Zum ersten Mal habe ich zudem in den vergangenen Semesterferien den Besuch einer mündlichen Prüfung des ersten Staatsexamens vor dem OLG Köln organisiert. Fünf Studenten haben sich letztendlich „getraut“. Da ich selbst nicht mehr berechtigt bin, als Zuhörer teilzunehmen, hat eine studentische Kollegin die „Betreuung“ der Teilnehmer übernommen. Ich habe mich darauf beschränkt, vor dem Einlass etwas zum Examen im Allgemeinen und meinen persönlichen Erfahrungen im Besonderen zu berichten. Mit der Bitte um Feedback habe ich mich verabschiedet und muss gestehen schon ein bisschen gehofft, dass der „Schuss nicht nach hinten losgeht“. Vermitteln wollte ich den Eindruck „die anderen kochen auch nur mit Wasser“ (das beschreibt meinen eigenes Fazit nach dem ersten Zuhören kurz vor meiner Freischussprüfung); vermeiden in jedem Fall aber Resignation im Sinne von „das schaffe ich nie“.

Noch am gleichen Tag bekam ich positive Rückmeldungen: Eine gute Erfahrung sei es gewesen. Und machbar. Fast noch mehr freute mich der Bericht meiner Kollegin „die (Studenten 2. Semester, Anm. d. Verf.) wussten ja teilweise mehr als die Prüflinge“. Mir fiel ein Stein vom Herzen: Gewünschter Effekt – Abmildern der Examensangst – erzielt! Ich kann es nur jedem Studenten schon im Grundstudium empfehlen, sich eine mündliche Prüfung anzusehen. Achja, Platzkarten gibt es ab 9:30 in Zimmer 201 nach Vorlage von Studenten- und Personalausweis.

Die wundersame Auferstehung der actio libera in causa

28 Sept

Zwei Dinge fallen bei der actio libera in causa ein. Zunächst ist sie ein typisches Beispiel für den sog. Akademikerstreit: große Diskussion, die bei weitem nicht dieselbe Bedeutung in der Praxis hat (3 Promille müssen erstmal ohne schwere gesundheitliche Folgen erreicht werden!). Dazu handelte es sich um eines der Themen, die vor zehn Jahren sehr „examensrelevant“ waren. Nach der Leitentscheidung BGHSt 42, 235 (1996) war die alic sowohl in den Examensklausuren als auch in der mündlichen Prüfung ein Renner. In den 00′-Jahren war das Thema jedoch „out“. So sehr, dass der eine oder andere private Repetitor sagte: „da können Sie ruhig auf Lücke lernen“. Ein Fehler für manchen Examenskandidaten in 2011…wenn er sich denn nicht darauf vorbereitet hatte. Sowohl im Juni (vorsätzliche alic) als auch im August (fahrlässige alic im Straßenverkehr) war die alic ein gewichtiger Bestandteil der Examensklausur im Strafrecht. Dabei gab es keine besonderen Rechtsprechungsänderungen oder wissenschaftlichen Neuerungen zu dem Thema. Das Thema kam quasi aus dem Nichts…

Fazit: solche „Klassiker“ sollten nie vernachlässigt werden, da sie zum Standardrepertoire der Prüfer gehören. Es wird vorausgesetzt, dass einem Examenskandidaten zumindest die Grundzüge der alic, die schon im ersten (!) Semester behandelt wird, bekannt sind…

Für alle, die ihre Kenntnisse auffrischen wollen, sei als Einstieg der Aufsatz von Thomas Rönnau (JuS 2010, 300ff.) ans Herz gelegt.

Wider salvatorische Klauseln in Hausarbeiten

28 Sept

„Zur Zeit der Bearbeitung waren die aktuellen Auflagen der zitierten Werke teilweise nicht verfügbar.“ Dieser Satz findet sich in einer im Internet kursierenden Vorlage für Hausarbeiten und taucht auch (nicht weiter verwunderlich) in vielen Hausarbeiten unter dem Literaturverzeichnis auf – besonders kurios wird es, wenn dennoch nur aktuelle Auflagen verwendet werden. Von der Verwendung dieser Formulierung möchte ich dringend abraten. Denn die Hoffnung, dass der Korrektor Verständnis für die vermeintlich missliche Lage des Bearbeiters aufbringt, wird in den wenigsten Fällen erfüllt werden. Im Gegenteil: Die Formulierung deutet auf ein falsches Verständnis von wissenschaftlichem Arbeiten hin.

Denn die Regel, aktuelle Literatur zu verwenden, dient nicht dazu, Studenten zu ärgern und ihnen unlösbare Aufgaben zu stellen, sondern den aktuellsten Stand der Forschung zu berücksichtigen. Und hierfür ist Voraussetzung, aktuelle Literatur zu verwenden. Man stelle sich nur vor, ein Arzt behandelt seinen Patienten nicht entsprechend aktueller medizinischer Erkenntnisse, sondern auf dem Wissensstand von vor zehn Jahren. Nun wird das Ergebnis in der Hausarbeit wohl nicht solch dramatische Folgen haben, wie eine nicht zeitgemäße Behandlung einer schweren Krankheit. Aber es ist doch misslich, wenn gerade die Neuauflage eine Rechtsprechungsänderung oder neue Strömungen in der Literatur berücksichtigt und man diese übersieht. Darüber hinaus scheint die Verwendung veralteter Literatur häufig auch gar nicht darauf zurück zu führen zu sein, dass in der Bibliothek alle aktuellen Exemplare vergriffen sind. Vielmehr dürfte das Phänomen häufig derBequemlichkeit des Bearbeiters geschuldet sein: Warum in die Bib fahren, wenn ich die vorletzte Auflage doch zu Hause habe? Warum? Weil wissenschaftliche Arbeit nur so funktioniert.

Über das Wesen einer AG

27 Sept

Zu Beginn der ersten AG-Stunde des Semesters versuche ich meinen Teilnehmern näher zu bringen, worin ich den Sinn einer AG sehe und wie sie ablaufen sollte. Zuerst was eine AG nicht kann: Sie kann und soll keine Vorlesung ersetzen. Wer nicht zur Vorlesung geht, wird in der AG kaum mitarbeiten und dort etwas lernen können. In der Vorlesung, die idealerweise durch Vor- und Nachbereitung ergänzt wird, geht es um umfassende Stoffvermittlung. In der AG dagegen kann ich schon aus zeitlichen Gründen nur bestimmte Probleme, die besonders wichtig und/oder klausurrelevant erscheinen, behandeln.

Was die AG jedoch kann, ist eine Gelegenheit bieten, aktiv Fälle zu lösen, dabei zu lernen, wie man sich unbekannter Probleme annimmt und die Klausurtechnik, also den Gutachtenstil einzuüben. Mein Ziel ist es dabei, dass die Teilnehmer auch dann, wenn sie nicht wissen, wie ein Problem von der herrschenden Meinung und/oder der Rechtsprechung gelöst wird, eine vertretbare Lösung finden. Dies setzt aber vor allen Dingen eins voraus: aktive Mitarbeit! Natürlich hat jeder seine eigene Lerntechnik, und manch einer mag auch schon dadurch lernen, dass er einer Diskussion zuhört und möglichst viel mitschreibt. Aber meine Erfahrung zeigt, dass diejenigen, die sich in der Stunde beteiligen meist auch gute Klausuren schreiben, während diejenigen die wegen pausenlosen Mitschreibens während der Stunde nicht ansprechbar sind, in den Klausuren eher bescheidene Ergebnisse einfahren – dass dies kein Naturgesetz ist, versteht sich von selbst und sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Natürlich ist das alles eine Typ-Frage, und in gewisser Weise ist es natürlich nachvollziehbar, Angst davon zu haben, etwas Falsches zu sagen, aber bisher ist bei mir noch kein Teilnehmer wegen einer „dummen“ Frage oder Antwort ausgelacht worden. Im Gegenteil: Meistens stellt sich heraus, dass auch andere dieselben Fragen haben, sich aber nicht trauen, sie zu stellen.