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Neue Ermittlungen zu NS-Verbrechen: drei Fragen

8 Apr

Die Bild titelt: ERMITTLER KENNEN NAMEN UND ADRESSEN – 20 Fahnder jagen 50 KZ-Aufseher. Kommt also noch der letzte große Prozess zu NS-Verbrechen?

Möglich ist es, da nicht nur in Ludwigsburg, sondern auch in diversen Staatsanwaltschaften zu NS-Verbrechen ermittelt wird, z.B. gegen J. Kalymon in München, oder J. Breyer in Weiden i.d. Oberpfalz. Bei der regen Berichterstattung der letzen Tage sind drei Kernfragen jedoch einwenig untergegangen.

1. neue Rechtslage?

Auch wenn seit dem Demjanjuk-Verfahren in der Presse immer wieder von „juristischem Novum“ (SZ Magazin, 23.4.2010, S. 15) die Rede ist, hätte man aus rechtlicher Sicht gegen Wachmänner aus Vernichtungs- und Konzentrationslagern auch früher ermitteln können. Subsumiert man den Sachverhalt eines Vernichtungslagers, liegen alle Voraussetzungen der Beihilfe vor: rechtswidrige Haupttat und eine Hilfeleistung, die für den Taterfolg förderlich ist. Alleine die Anwesenheit der Wachmänner im Lager, ermöglichte den Tatausführenden das tägliche Morden, was st. Rspr. des BGH ist (vgl. nur NStZ 1995, 490). Die Teilnahme des Lagerpersonals wurde entsprechend in Verfahren zu Sobibor (LG Hagen, 1966) oder Majdanek (LG Düsseldorf, 1981) treffend als funktionelle Mitwirkung bezeichnet:

„In den einzelnen Fällen haben die jeweils damit befassten Angeklagten durch ihre funktionelle Mitwirkung zusammen mit anderen SS-Angehörigen die Tötungen ursächlich ermöglicht. Keiner von ihnen war dabei überflüssig; alle waren auf dem Platz, auf den sie gestellt waren, notwendig, um als tatnahe Mitwirkende des betreffenden Geschehens das Funktionieren der „Mordmaschinerie“ zu gewährleisten. Jeder einzelne war zwar wie alle Angehörige des Kommandanturstabes, um bei dem Bild zu bleiben, nur „ein Rad im Getriebe“ des Lagers; die Auswechselbarkeit eines solchen „Rades“, d.h. die denkbare Ersetzung eines Angeklagten durch einen anderen SS-Angehörigen (…), vermag an der gegebenen Kausalkette aber nichts zu ändern.“ – LG Düsseldorf vom 30.06.1981, 8 Ks 1/75

Interessanter ist also die Frage, warum erst jetzt gegen diese „kleineren“ Teilnehmer von NS-Verbrechen ermittelt wird. Eine der Antworten ist die Ausgangslage nach dem Krieg, die typisch ist für Länder nach einen totalitären und verbrecherischen System. Bei konsequenter Anwendung des Strafrechts hätte die deutsche Justiz gegen tausende von Männern und Frauen ermitteln müssen, die Ende der 50er ansonsten nicht vorbestraft und in der Gesellschaft integriert waren…(siehe dazu das Schlussplädoyer von Cornelius Nester im Demjanjuk-Verfahren).

2. weitere Tätergruppen?

Neben Wachmännern in Vernichtungs- und Konzentrationslagern, kommen auch Mitglieder aller Einheiten (Einsatzgruppen, Waffen-SS, Ordnungspolizei, Wehrmacht, etc.) in Betracht, die bei Erschießungen oder Gaswageneinsätzen z.B. als Absperrposten eingesetzt worden sind. Bisher wurden gegen solche Personen nicht systematisch ermittelt, obwohl sie in vielen Verfahren als Belastungszeugen fungierten. Ebenfalls ist eine Ermittlung bei Teilnahmen an sog. „Ghetto-Liquidierungen“ und Zugtransporten in die Todeslager möglich, wenn Kenntnis über das weitere Schicksal der Opfer nachgewiesen werden kann.

3. viele Verfahren?

50 Verfahren nur für Auschwitz? Wohl kaum. Neben Sachverhaltsfragen (Wurden Menschen in KZ’s genau so systematisch wie in Vernichtungslagern getötet?) und materiell-rechtlichen Problemen, die sowohl Ermittlungen, als auch Prozess verlangsamen, oder gar stoppen könnten (bsp. doppelter Gehilfenvorsatz, eventuelle Mordmerkmale, Überprüfung eines sog. Befehlsnotstandes), kommen noch rein praktische dazu. Die Beschuldigten sind potentiell verhandlungsunfähig, ja sogar das hohe Alter an sich kann in einem solchen Fall ein Verfahrenshindernis sein (BGHSt. 49, 189). Schließlich ist regelmäßig ein Sachverständigengutachten anzufordern, was das Verfahren deutlich verlangsamt.

Fazit

Auch wenn es heute (leider) nicht 20 Fahnder sind, so ist die neuste Aktivität der Ludwigsburger Behörde erfreulich. Als Providurium, Übergangslösung für ein vermeintlich schnell zu lösendes Problem eingerichtet, hat die „Zentrale Stelle“, obwohl keine Staatsanwaltschaft, durch ihre Ermittlungsarbeit für Achtungserfolge gesorgt. Schon immer schwamm man gegen den Strom, früher gegen die Gesellschaft, die die Verbrechen vergessen wollte, heute gegen die übrige Justiz, die den Sinn von NS-Verfahren immer häufiger bezweifelt. Ohne ihre Ermittlungsergebnisse in Form von Vernehmungen, Gutachten und Vemerken wäre die historische Erfassung von NS- und Kriegsverbrechen in ihrer Form nie möglich gewesen.

Zum weiterlesen: Umansky, Geschichtsschreiber wider Willen? Einblick in die Quellen der „Außerordentlichen Staatlichen Kommission“ und der „Zentralen Stelle“, in: Nußberger/von Gall, Bewusstes Erinnern und bewusstes Vergessen, Tübingen 2011, S. 347ff.

Ankündigung – Vortrag von Prof. Dr. Cornelius Nestler: Das Strafverfahren gegen John Demjanjuk: Rückblick und Ausblick, 22.11.2011, 19.15h

11 Nov

Terminhinweis: Das Strafverfahren gegen John Demjanjuk: Rückblick und Ausblick – Ein Vortrag von Prof. Dr. C. Nestler; Dienstag 22. November 2011, 19:15 Uhr in Hörsaal II der Universität zu Köln

An dieser Stelle möchten wir auf einen Vortrag von Herrn Prof. Dr. Nestler zum Strafverfahren gegen John Demjanjuk, im Rahmen der jährlichen Herbstveranstaltung des Vereins zur Förderung des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität zu Köln, hinweisen. Herr Prof. Dr. Nestler ist ein ausgewiesener Kenner dieses Strafverfahrens, da er als Nebenklägervertreter zwölf Nebenkläger aus den Niederlanden, den USA und Israel, deren direkte Angehörige im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurden, in diesem Verfahren betreut und vor dem Landgericht München II vertreten hat. Im Mai 2011 wurde John Demjanjuk nach 18 Monaten Hauptverhandlung wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Juden im Vernichtungslager Sobibor zu 5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Prof. Dr. Nestler schildert in einem Rückblick unter Verwendung von Bildsequenzen und Dokumenten und des nunmehr vorliegenden schriftlichen Urteils die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Verfahren gegen John Demjanjuk und erläutert, welche Ansätze für eine weitere Verfolgung von NS-­Verbrechen es noch gibt.

Bereits im Oktober 2009, kurz vor Beginn der Hauptverhandlung, hat Herr Prof. Dr. Nestler einen sehr interessanten Vortrag über die rechtlichen Probleme des Verfahrens gehalten. Über den ersten Vortrag von Herrn Prof. Dr. Nestler können Sie sich informieren durch einen Bericht, den unser Mitautor Michael Schieder für den Newsletter der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, Dritte Ausgabe April 2010 (S. 9-13), verfasst hat.

Alle Interessierte sind herzlich, auch zu dem anschließenden geselligen Beisammensein, eingeladen.

So vieles ganz falsch! (Gastbeitrag Prof. Dr. Cornelius Nestler)

26 Okt
Kommentar von Prof. Dr. Nestler zu einem Interview in der Zeit vom 1. September 2011 mit dem Strafverteidiger und bekannten Buchautor Ferdinand von Schirach

Cornelius Nestler

In diesem Interview versucht die Redaktion der ZEIT eine Brücke zwischen dem neuen Roman von von Schirach und der Reaktion der Justiz der BRD auf die NS-Verbrechen zu schlagen. Dabei ist einiges erstaunlich daneben geraten:

„Warum kamen die meisten NS-Verbrecher straffrei davon?“ Auf diese Frage wollte die ZEIT mit Hilfe des Strafverteidigers und Bestsellerautors Ferdinand von Schirach eine Antwort finden. Das sog. Dreher-Gesetz, nach dem langjährigen Autor des über Jahrzehnte am meisten genutzten Kommentars zum StGB genannt (Nachfolger ist der „Fischer“), das mit kräftiger Unterstützung einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 22, 375) ab 1969 zur Straflosigkeit vieler NS-Täter wegen Verjährung führte, ist Gegenstand seines neuen Romans. Leider gerät die Antwort ziemlich daneben.

So heißt es in dem Infokasten, den die Redaktion dem Interview beigefügt hat: Mit dem Gesetz gelang es, „sämtliche Nazi-Verbrechen verjähren zu lassen, indem sie als Mittäterschaft eingestuft werden konnten.“ Ich denke, dass die aufmerksamen Leser sich gewundert haben, selbst die ohne juristische Vorkenntnisse: Verjährung für „sämtliche“ Naziverbrechen? – es gab doch auch nach 1969 noch Strafverfahren gegen NS-Täter. Und wie hat denn bitte ein Gesetz, dass alle Nazi-Verbrecher auf eine Ebene MIT den Tätern Hitler und Himmler stellt, ausgerechnet zur Straflosigkeit führen können? Es war natürlich ganz anders: In den 60ger Jahren hatte sich eine Rechtsprechung etabliert, die nahezu alle NS-Täter nur als Helfer der eigentlichen Täter Hitler und Himmler definierte und bei den Helfern dann auch nur  Gehorsam sah, aber keinen eigenen Rassenhass. Das Dreher-Gesetz führte für diese Beschuldigten zur Verjährung der Beihilfe zum Mord und damit zur Straflosigkeit.

Von Schirach sagt dann im Interview, auch der Prozeß gegen Täter wie Demjanuk sei noch wegen dieses Gesetzes „enorm schwierig. Man muss beweisen, dass sie keine Gehilfen waren, sondern Mörder.“ Hat der erfahrene Strafverteidiger das wirklich so gesagt? Demjanjuk wurde als Hilfswilliger der SS angeklagt und verurteilt, wegen Beihilfe zum Massenmord in Sobibor. Den Nachweis, er sei Täter = Mörder gewesen, wollte, konnte und musste die Staatsanwaltschaft niemals führen. Und die Verurteilung von Demjanjuk wegen Beihilfe war möglich, weil der Massenmord in Sobibor auf grausame Weise oder heimtückisch durchgeführt wurde. Auf diese Mordmerkmale ist das Dreher-Gesetz gerade nicht anwendbar.

Prof. Dr. Cornelius Nester, Universität zu Köln, hat 12 Nebenkläger im Strafverfahren gegen Demjanjuk vor dem LG München vertreten.