Archiv | April, 2013

Fall Hoeneß – Eine Begriffsklärung

29 Apr

Zur Selbstanzeige, Amnestie, Absehen von Strafverfolgung und Steuermoral

I. Selbstanzeige 

Die Selbstanzeige ist in § 371 AO I geregelt. Danach ist der Steuerpflichtige, der eine Steuerhinterziehung nach § 370 I begangen hat, straffrei, wenn er „unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt“. Das hat Hoeneß angeblich im Januar getan, so dass „grundsätzlich“ seine Strafbarkeit ausgeschlossen sein sollte. Vorausgesetzt er kommt seiner Nachentrichtungspflicht nach, § 371 III AO.

Großzügiger als die „goldene Brücke“ des Rücktritts, muss die Selbstanzeige nicht „freiwillig“ erfolgen, und findet Anwendung nach dem Vollendungszeitpunkt! Eine Art zwingende tätige Reue, um dem Steuerhinterzieher einen Anreiz zur Steuerehrlichkeit zu schaffen. Damit will der Staat unbekannte Steuerquellen erschließen, und ist dabei auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen. So wird die Existenz des sehr weit gehenden Aliuds gerechtfertigt. Der einfache Betrüger (§ 263 StGB) erweckt bei dem Staat ein geringeres Interesse, und bekommt nicht die Begünstigungen der Selbstanzeige – ihm bleibt lediglich der Trostpreis: Rücktrittsregelungen und die allgemeinen Strafzumessungsvorschriften.

So der Grundsatz. Damit die Selbstanzeigemöglichkeit aber nicht missbraucht wird, hat der Gesetzgeber Ausschlussgründe im § 371 II AO vorgesehen. In dem Fall Hoeneß laufen zwar Ermittlungen, sie stellen aber nur einen Ausschlussgrund für die Selbstanzeige dar, wenn der Steuerhinterzieher zum Zeitpunkt der Selbstanzeige von der Einleitung eines Strafverfahrens Kenntnis erlangt hatte (§ 371 II Nr. 1 b). Dazu sind aber keine genauen Informationen vorhanden, so dass erst mal keine Sperre der Selbstanzeige in Betracht käme.

Die Selbstanzeige könnte aber aufgrund des § 371 II Nr. 3 AO unwirksam gewesen sein. Dieser Sperrgrund bezieht sich auf Steuerhinterziehungen, die einen Betrag von 50.000 Euros (pro Tat) übersteigen. Es wurde beschlossen, dass bei solchen Beträgen (Anlehnung an die BGH-Rechtssprechung zum „großen Ausmaß“, s.  § 370 III, Nr. 1  AO) dem Steuerhinterzieher der Weg zur Steuerehrlichkeit versperrt wird. Im Fall Hoeneß wäre dies gegeben. Somit kann er auf keinen Fall Straffreiheit nach § 371 I AO erlangen.

II. Absehen von Strafverfolgung

Jedoch wäre seine Selbstanzeige nicht sinnlos geblieben, da der 2011 neu einführte § 398a AO zur Anwendung kommt. Diese Vorschrift wurde zeitgleich mit § 371 II Nr. 3 AO geschaffen. Bei Vorliegen der Nr. 3 wird von der Strafverfolgung abgesehen, wenn der Täter innerhalb einer bestimmten Frist die hinterzogenen Steuer zurückbezahlt und zusätzlich 5% dieser Summe der Staatskasse zahlt. Es handelt sich dabei nicht mehr um einen Strafaufhebungsgrund, wie bei der Selbstanzeige, sondern um ein Strafverfolgungshindernis. Vorbild für diese Norm ist § 153a StPO gewesen. Die Strafbarkeit bleibt, es wird lediglich auf die Verfolgung verzichtet. Wichtig bei § 398a AO ist, dass die Voraussetzungen einer Selbstanzeige vorliegen müssen und insbesondere kein Sperrgrund nach § 371 II Nr. 1 und 2 eingetreten ist. Für den vorliegenden Fall heißt es: stellt sich heraus, dass ein Strafverfahren gegen Hoeneß doch vor seiner Selbstanzeige eingeleitet wurde, und er dies wusste, kommt Hoeneß auch nicht mehr in die Begünstigung des § 398a AO, und dies unabhängig davon, ob und wie viel er an Steuerschulden beglichen hat. § 398a AO ermöglicht somit keine Umgehung der Sperrgründe des § 371 II AO und derjenige der mehr Steuer hinterzogen hat, wird somit nicht bevorzugt. Für ihn sind die Voraussetzungen zur Erlangung der „Straffreiheit“ strenger als bei einem „normalen Steuerhinterzieher“.

III. Alternativen

SPD und Grünen nehmen die Affäre Hoeneß zum Anlass, um die Selbstanzeige in Frage zu stellen. Der Regierung wird vorgeworfen, die Steuerbetrüger zu schützen. In der Tat stehen Steuerhinterzieher besser dar, als einfache Betrüger. Welche Alternativen gibt es? Das Besondere an der Steuerhinterziehung ist, dass die Entdeckungschancen sehr gering sind, die Strafe also kaum ernst genommen werden kann und somit ihre Zwecke nicht zu erfüllen vermag. Dazu kommt auch in den meisten Fällen ein sehr kurzer Versuchsstadium, der keinen Rücktritt ermöglicht. Die Selbstanzeige ist zur Zeit die einzig brauchbare Lösung um diesen kaum existierenden Rücktritt zu ergänzen bzw. auszudehnen. Es ist richtig, dass die Selbstanzeigemöglichkeit die Begehung von Steuerhinterziehungen nicht verhindert, der Rücktritt aber auch nicht. Es geht dabei nur darum demjenigen, der die rote Linie überschritten hat eine Chance zu geben, den Schaden wieder gut zu machen.

Ganz anders wäre eine Amnestie zu beurteilen gewesen (ein Amnestie-Abkommen mit der Schweiz ist Ende 2012 gescheitert), denn geplant  war, dass die betroffenen Steuerhinterzieher von der Erhöhung der Aufdeckungschance benachrichtigt worden wären, und sich erst dann mit der Möglichkeit der Steuernachzahlung hätten auseinandersetzen müssen. Mit Steuerehrlichkeit hätte ein solches Verfahren nichts mehr zu tun.

Menschenrechte in Russland

25 Apr

Vortrag: Die aktuelle Rechtsentwicklung in Russland, Vortrag von Dr. Anton Burkov, Universität Jekaterinburg

Do., 02. Mai 2013, 19.00 Uhr im Lew Kopelew Forum, Neumarkt 18a, Köln

Einführung: Prof. Dr. Caroline von Gall, Institut für Ostrecht der Universität zu Köln
Moderation: Maria Birger, Lew Kopelew Forum-Beirat

Dr. Anton Burkov, Jg. 1976, ist Rechtsanwalt mit Spezialgebiet Menschenrechte. Er hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Fälle gegen Russland vertreten und streitet gegenwärtig vor dem russischen Verfassungsgericht über das Wahlgesetz. 1999 absolvierte er die Staatliche Juristische Hochschule im Ural, 2002 war er Stipendiat an der Columbia University, USA; 2004 an der University of Essex, UK. Promoviert hat er 2005 an der Staatlichen Universität in Tumen/Russland und 2009 an der Universität Cambridge. Heute ist er Leiter des Instituts für Europäisches und Vergleichendes Recht an der Geisteswissenschaftlichen Universität in Jekaterinburg, Direktor des Menschenrechtsprogramms „I’ve Got Rights“, Leiter des Russlandbüros von Management Systems International Inc. USA und juristischer Berater der NGO „Sutajnik“/Jekaterinburg. Dr. Burkov ist Autor von zahlreichen Artikeln und Büchern zum europäischen und russischen Menschenrechtsschutz.

Veranstaltung in russischer Sprache mit der Übersetzung von Nadja Simon

KC Rebell im LG Wuppertal – „Zukünftig will das Gericht auch die Drehbücher lesen“ (Bild)

18 Apr

Einer Quelle nach hätte das Gericht keine Kenntnis vom Songtext gehabt. Eine andere sagt, er wäre zur Abnahme vorgelegen. Um dieses Lied geht es: „Anhörung“ (Video/Text) des Rapper KC Rebell. Der im Video wegen schweren Raubs vorbestrafte Angeklagte wird vom Richter belehrt und sagt aus! Frauen („Meine Ex ist ‘ne Fotze“), Homosexuelle („Ich nehme kein Hintereingang, wenn es auch vorne geht“) und schließlich die Justiz („Fick den Richter“) werden beleidigt.

KC Rebell bzw. die Produzenten haben es irgendwie geschafft, eine Genehmigung für den Dreh zu bekommen. Und da fragt man sich: Wenn man davon ausgeht, dass der Text dem Gericht tatsächlich unbekannt war, warum wurde er genehmigt? Die Gerichte üben bei der Erteilung solcher Genehmigungen ihr Hausrecht aus, und haben einen bestimmten Spielraum.

Gegenüber der Bild zeigte FDP-Sprecher Dirk Wedel sich entsetzt: „Es muss sichergestellt werden, dass sich das nicht wiederholt“. Auch NRW-Justizminister Thomas Kutschaty fordert mehr Kontrolle, auf jeden Fall die vorherige Kenntnisnahme des Drehbuchs oder Skriptes.

Schön und gut. Aber hatten wir nicht schon mal dieses Thema? Vor fast drei Jahren kam das OLG Köln mit einem ähnlichen Problem in die Schlagzeilen. Der Rapper Xatar hatte 2007 ebenfalls eine Genehmigung für Dreharbeiten im OLG zu seinem Lied „§ 31“ bekommen (Video), das sich um den Aufklärungsgehilfen im BtMG handelt. „(…) für Anwalt und Richter ich hab nichts zu berichten, denn nur Gott kann mich richten“, heisst es dort unter anderem.

Fehler wiederholen sich. In Gerichtsälen werden doch nicht ständig Videos gedreht, so dass man vielleicht ein Auge zudrücken könnte, und die Fehleinschätzung einfach einräumt. Gerade weil man mit solchen Genehmigungen sehr sparsam umgeht, sollte man besonders vorsichtig sein, und sich zumindest den Inhalt des in Betracht kommenden Videos zeigen lassen. Natürlich kann man auch nicht immer die ganze Tragweite eines Liedes nur aus dessen Text entnehmen, so dass eine regelmäßige Kontrolle der Dreharbeiten vor Ort auch wünschenswert wäre. Allerdings ist die Aussage, das Gericht hätte keine Kenntnis von dem Drehbuch gehabt, nur der Ausdruck eines grob fahrlässigen Verhaltens.

Erniedrigungen zum Semesteranfang: strafbar?

12 Apr

Das Sommersemester an der Uni Köln hat diese Woche begonnen. Für Erstsemestler bedeutet dies einen neuen Lebensabschnitt. Ab dem zweiten Semester fühlt man sich schon sicherer und kann es nicht lassen, ab und zu einem „Kleinen“ zu zeigen, wie unerfahren er noch ist. Ganz neu eben.

In Frankreich gehört es schon lange zur Tradition, insbesondere im elitären Hochschulmilieu, die neuen Jahrgänge mit einer Reihe von „Prüfungen“ zu begrüßen. Wer „dazu“ gehören will, muss da durch! Dabei kann es sich um harmlose Spielchen handeln, aber auch hin bis zu Beleidigungen, Körperverletzungen, Erpressungen. Einige aktuelle Beispiele aus dem vergangenen Oktober:

  • Militärschule Saint-Cyr: nächtliches Überqueren eines Weihers bei „Ausfall“ der Lichtanlage: ein Toter
  • Universität Poitiers: Studenten bedroht und gezwungen, nackt und vorher beschmutzt, den Kopf in einen Behälter mit ekelhaftem Inhalt zu halten
  • Universität Lille: Vergewaltigung (Vorliegen eines Einverständnisses des Opfers noch ungeklärt)

Um dieser Tendenz entgegenzuwirken wurde diese Art von Misshandlungen besonders pönalisiert. 1998 wurden Artikel 225-16-1 ff. in das französische Strafgesetzbuch eingefügt. Art. 225-16.1 Code Pénal lautet:

Hors les cas de violences, de menaces ou d’atteintes sexuelles, le fait pour une personne d’amener autrui, contre son gré ou non, à subir ou à commettre des actes humiliants ou dégradants lors de manifestations ou de réunions liées aux milieux scolaire et socio-éducatif est puni de six mois d’emprisonnement et de 7 500 euros d’amende.

Auf Deutsch etwa:

Soweit es sich nicht um die Fälle von Gewalttätigkeiten, Drohungen oder sexuellen Übergriffen handelt, wird derjenige, der einen anderen, gegen dessen Willen oder nicht, dazu veranlasst, sich bei Veranstaltungen oder Versammlungen in schulischen oder sozio-pädagogischen Kreisen erniedrigenden oder entwürdigenden Handlungen zu unterziehen oder diese zu begehen, mit sechs Monaten Gefängnis und 7.500 € Geldstrafe bestraft.

Eigentlich waren solche Handlungen schon seit dem 20. Oktober 1928 offiziell verboten, zumindest in den Schulen und Universitäten. Die Schul- bzw. Hochschuldirektoren wurden, mit Verweis auf ihre disziplinären Plichten damit beauftragt, für die Einhaltung dieses Verbots zu sorgen.

1994 wurde aber festgestellt, dass trotz dieses Verbots immer noch ein Viertel der Studenten (etwa 100.000 pro Jahr) misshandelt wurden.

Die Pönalisierung dieses Verhaltens sollte somit einen weiteren Schritt zur Vermeidung dieser Rituale darstellen. Mehr als eine symbolische Bedeutung ist aber der Vorschrift kaum zu entnehmen. Kommt es tatsächlich zu Gewalttätigkeiten, Drohungen oder sexuellen Übergriffen, so ist der Anwendungsbereich der Norm nicht eröffnet. Normtauglich sind lediglich „erniedrigende und entwürdigende Handlungen“. Was darunter zu verstehen ist bis heute noch unsicher. Die Tathandlung des „Veranlassens“ wird auch nicht näher definiert. Ist ein „Veranlassen“ weniger als eine „Verleitung“? Reicht die Schaffung einer Tatgelegenheit aus? Die Rechtsprechung liefert darauf keine Antworten, da die Norm in der Praxis kaum eine Rolle spielt.

Ebenfalls anzumerken ist die Tatsache, dass sich die Vorschrift auf das „schulische oder sozialpädagogische“ Milieu beschränkt. Es mag sein, dass diese Tradition ihren Ursprung in diesen Kreisen findet, heutzutage ist aber diese Praxis auch in anderen Bereichen präsent (vor allem das Militär, Bsp. aus Deutschland: BVerwG NJW 2001, 2343).

In Deutschland wird das Problem der Mutprobe vor allem bei der objektiven Zurechnung im Rahmen der Selbstgefährdung des Opfers diskutiert, wobei dies in Frankreich für diesen Tatbestand gerade irrelevant ist.

Vorstellung der Kölner Repetitorien

11 Apr

Vorstellung der Kölner Repetitorien durch die ELSA Köln.

Datum: Mo, 29.04.2013
Uhrzeit: 19:30 Uhr
Treffpunkt: S11 (neues Seminargebäude)

Bei dieser Veranstaltung habt ihr die Gelegenheit, alle Repetitorien in Köln auf einen Blick kennenzulernen. Es berichten euch (ehemalige) Kursteilnehmer von ihren Erfahrungen mit den Kursen, Unterlagen und Dozenten.

Ihr bekommt Erfahrungen aus erster Hand von ehemaligen Kursteilnehmern von

  • Abels und Langels
  • Alpmann Schmidt
  • KISS Akademie
  • Hemmer
  • Jura Intensiv
  • Juriq
  • Uni Repetitorium

Ihr erfahrt von Kommilitonen was die Angebote und Besonderheiten der einzelnen Repetitorien sind und könnt Fragen an die ehemaligen Teilnehmer stellen. Neben den offenen Kursstunden der jeweiligen Repetitorien ist dies eine gute Möglichkeit sich einen Überblick über die Möglichkeiten zur Examensvorbereitung zu gewinnen.

Wenn ihr im September/Oktober mit der gezielten Examensvorbereitung starten wollt, solltet ihr diese Veranstaltung nutzen, um euch bereits Vorabinformationen zu sichern.

Um vorherige Anmeldung wird gebeten (aber spontanes Vorbeikommen ist auch möglich).

Gericht und Verteidigung – Konflikte in der Hauptverhandlung

10 Apr

Hörsaal A2 im Hörsaalgebäude (Uni Köln), 16. April 2013, 19.00 Uhr

Für die nächste Diskussionsveranstaltung des Vereins zur Förderung des ISS zum Thema „Gericht und Verteidigung – Konflikte in der Hauptverhandlung“ sind als Referenten der ehemalige Vorsitzender Richter des Staatsschutzsenates am OLG Düsseldorf, Ottmar Breidling, und Strafverteidiger Prof. Norbert Gatzweiler eingeladen (zum Thema schon beide Referenten in StraFo 2010, 397 ff.).

Kostenlose Probeexemplare von Zeitschriften zum Semesterbeginn

10 Apr

Die Fachbuchhandlungen haben, wie immer zu Semesterbeginn, eine große Anzahl von kostenlosen Probeexemplaren der gängigen juristischen Zeitschriften bekommen. Als Beispiel kann man die VUB und Witsch+Behrendt in Köln nennen. Dort gibt es u.a. folgende brandaktuelle Zeitschriften zum mitnehmen: JuS 04/2013, , JA 04/2013 und RÜ 04/2013.

Ein Besuch in den nächsten Tagen lohnt sich also!

Neue Ermittlungen zu NS-Verbrechen: drei Fragen

8 Apr

Die Bild titelt: ERMITTLER KENNEN NAMEN UND ADRESSEN – 20 Fahnder jagen 50 KZ-Aufseher. Kommt also noch der letzte große Prozess zu NS-Verbrechen?

Möglich ist es, da nicht nur in Ludwigsburg, sondern auch in diversen Staatsanwaltschaften zu NS-Verbrechen ermittelt wird, z.B. gegen J. Kalymon in München, oder J. Breyer in Weiden i.d. Oberpfalz. Bei der regen Berichterstattung der letzen Tage sind drei Kernfragen jedoch einwenig untergegangen.

1. neue Rechtslage?

Auch wenn seit dem Demjanjuk-Verfahren in der Presse immer wieder von „juristischem Novum“ (SZ Magazin, 23.4.2010, S. 15) die Rede ist, hätte man aus rechtlicher Sicht gegen Wachmänner aus Vernichtungs- und Konzentrationslagern auch früher ermitteln können. Subsumiert man den Sachverhalt eines Vernichtungslagers, liegen alle Voraussetzungen der Beihilfe vor: rechtswidrige Haupttat und eine Hilfeleistung, die für den Taterfolg förderlich ist. Alleine die Anwesenheit der Wachmänner im Lager, ermöglichte den Tatausführenden das tägliche Morden, was st. Rspr. des BGH ist (vgl. nur NStZ 1995, 490). Die Teilnahme des Lagerpersonals wurde entsprechend in Verfahren zu Sobibor (LG Hagen, 1966) oder Majdanek (LG Düsseldorf, 1981) treffend als funktionelle Mitwirkung bezeichnet:

„In den einzelnen Fällen haben die jeweils damit befassten Angeklagten durch ihre funktionelle Mitwirkung zusammen mit anderen SS-Angehörigen die Tötungen ursächlich ermöglicht. Keiner von ihnen war dabei überflüssig; alle waren auf dem Platz, auf den sie gestellt waren, notwendig, um als tatnahe Mitwirkende des betreffenden Geschehens das Funktionieren der „Mordmaschinerie“ zu gewährleisten. Jeder einzelne war zwar wie alle Angehörige des Kommandanturstabes, um bei dem Bild zu bleiben, nur „ein Rad im Getriebe“ des Lagers; die Auswechselbarkeit eines solchen „Rades“, d.h. die denkbare Ersetzung eines Angeklagten durch einen anderen SS-Angehörigen (…), vermag an der gegebenen Kausalkette aber nichts zu ändern.“ – LG Düsseldorf vom 30.06.1981, 8 Ks 1/75

Interessanter ist also die Frage, warum erst jetzt gegen diese „kleineren“ Teilnehmer von NS-Verbrechen ermittelt wird. Eine der Antworten ist die Ausgangslage nach dem Krieg, die typisch ist für Länder nach einen totalitären und verbrecherischen System. Bei konsequenter Anwendung des Strafrechts hätte die deutsche Justiz gegen tausende von Männern und Frauen ermitteln müssen, die Ende der 50er ansonsten nicht vorbestraft und in der Gesellschaft integriert waren…(siehe dazu das Schlussplädoyer von Cornelius Nester im Demjanjuk-Verfahren).

2. weitere Tätergruppen?

Neben Wachmännern in Vernichtungs- und Konzentrationslagern, kommen auch Mitglieder aller Einheiten (Einsatzgruppen, Waffen-SS, Ordnungspolizei, Wehrmacht, etc.) in Betracht, die bei Erschießungen oder Gaswageneinsätzen z.B. als Absperrposten eingesetzt worden sind. Bisher wurden gegen solche Personen nicht systematisch ermittelt, obwohl sie in vielen Verfahren als Belastungszeugen fungierten. Ebenfalls ist eine Ermittlung bei Teilnahmen an sog. „Ghetto-Liquidierungen“ und Zugtransporten in die Todeslager möglich, wenn Kenntnis über das weitere Schicksal der Opfer nachgewiesen werden kann.

3. viele Verfahren?

50 Verfahren nur für Auschwitz? Wohl kaum. Neben Sachverhaltsfragen (Wurden Menschen in KZ’s genau so systematisch wie in Vernichtungslagern getötet?) und materiell-rechtlichen Problemen, die sowohl Ermittlungen, als auch Prozess verlangsamen, oder gar stoppen könnten (bsp. doppelter Gehilfenvorsatz, eventuelle Mordmerkmale, Überprüfung eines sog. Befehlsnotstandes), kommen noch rein praktische dazu. Die Beschuldigten sind potentiell verhandlungsunfähig, ja sogar das hohe Alter an sich kann in einem solchen Fall ein Verfahrenshindernis sein (BGHSt. 49, 189). Schließlich ist regelmäßig ein Sachverständigengutachten anzufordern, was das Verfahren deutlich verlangsamt.

Fazit

Auch wenn es heute (leider) nicht 20 Fahnder sind, so ist die neuste Aktivität der Ludwigsburger Behörde erfreulich. Als Providurium, Übergangslösung für ein vermeintlich schnell zu lösendes Problem eingerichtet, hat die „Zentrale Stelle“, obwohl keine Staatsanwaltschaft, durch ihre Ermittlungsarbeit für Achtungserfolge gesorgt. Schon immer schwamm man gegen den Strom, früher gegen die Gesellschaft, die die Verbrechen vergessen wollte, heute gegen die übrige Justiz, die den Sinn von NS-Verfahren immer häufiger bezweifelt. Ohne ihre Ermittlungsergebnisse in Form von Vernehmungen, Gutachten und Vemerken wäre die historische Erfassung von NS- und Kriegsverbrechen in ihrer Form nie möglich gewesen.

Zum weiterlesen: Umansky, Geschichtsschreiber wider Willen? Einblick in die Quellen der „Außerordentlichen Staatlichen Kommission“ und der „Zentralen Stelle“, in: Nußberger/von Gall, Bewusstes Erinnern und bewusstes Vergessen, Tübingen 2011, S. 347ff.

Schatzfund: Diebstahl, Unterschlagung oder Betrug?

4 Apr

Amüsant auf den ersten Blick regelt § 984 BGB den sog. Schatzfund wie folgt:

Wird eine Sache, die so lange verborgen gelegen hat, dass der Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist (Schatz), entdeckt und infolge der Entdeckung in Besitz genommen, so wird das Eigentum zur Hälfte von dem Entdecker, zur Hälfte von dem Eigentümer der Sache erworben, in welcher der Schatz verborgen war.

Der deutsche Gesetzgeber hat ihn, wie der französische Nachbar (Art. 716 C. civ.) aus dem römischen Recht übernommen (Hadrianische Teilung). §984 wird von landesrechtlichen Regelungen zu den Regalien (Art. 73 i.V. mit Art. 1 II EGBGB) verdrängt (außer in NW, Bayern und Hessen) und gilt verständlicher Weise nicht für wissenschaftlich oder historisch bedeutende Artefakte. Der Strafrechtler wird sich aber nun fragen, wie der Entdecker sich strafbar machen würde, wenn er den Schatz (legaldefiniert!) für sich alleine behält oder gar ohne Wissen des Miteigentümers veräußert.

In Frage käme Diebstahl (§ 242 StGB). Damit die Sache fremd ist, müsste der Schatz auf fremden Grund und Boden gefunden werden (bei Herrenlosigkeit scheidet § 242 StGB aus). Problematisch ist hier aber der Bruch fremden Gewahrsams. Die gängige Definition lautet:

Wegnahme ist der Bruch fremden Gewahrsams und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Fremder Gewahrsam ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis, von einem Herrschaftswillen getragen, unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung.

Da der Schatz aber verschollen war, muss man typischerweise von seiner Gewahrsamslosigkeit ausgehen. § 242 StGB ist damit nicht einschlägig. Anders ist aber bei der Unterschlagung (§ 246 StGB), bei der ein Gewahrsamsbruch nicht vorliegen muss. Es reicht die rechtswidrige Zueignung der fremden Sache. Nach h.M. reicht die Mitnahme des Schatzes oder die unterlassene Fundanzeige nicht aus, um einen Zueignungswillen beim Täter zu vermuten. Vielmehr erwartet man eine Verwendung, Veräußerung oder zumindest ein Verkaufsangebot der Sache.

Zurecht wird wegen diese unbefriedigende Lösung kritisiert (Koch, NJW 2006, 557, 560). Wie machen es aber andere Rechtsordnungen?

In Frankreich wird aufgrund einer anderen Konzeption des Diebstahl, letzterer stets beim Grabräuber angenommen (st. Rspr. der Cour de Cassation seit 1827). Spannender war 1991 für den Kassationshof die Frage ob der Arbeitgeber eines Handwerkers, der Schätze bei einer Hausrenovierung entwendet, als Nebenkläger auftreten kann (Nein, da nur der tatsächliche „Entdecker“ durch die Vorschrift gemeint ist).

Was wäre aber die einfachste Lösung? Richtig, ein eigener Tatbestand. So hat es sich auch der argentinische Gesetzgeber gedacht, der den Schatzraub als qualifizierten Betrug ansieht und mit Geldstrafe von bis zu 15.000 arg. $ ahndet (Art. 175 1º c. pen.).

Zur Rechtslage in Deutschland: Koch: Schatzsuche, Archäologie und Strafrecht – Strafrechtliche Aspekte so genannter „Raubgräberei”, NJW 2006, 557.

Was hat die Weimarer Verfassung gegen das Tanzen?

2 Apr

Die Frage ist berechtigt, denn es heißt, man dürfe am Feiertag-Wochenende nicht tanzen! Ostern, und insbesondere der Karfreitag gilt als Tag der Trauer, und somit der Stille. An diesem Tag wird an Jesus Tod am Kreuz auf dem Hügel Golgatha vor den Toren Jerusalems gedacht. Dafür gibt es sogar eine gesetzliche Grundlage. Im Art. 140 GG wird auf die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 verwiesen, die damit Bestandteil des Grundgesetzes sind. Der hier zu beachtende Art. 139, lautet:

Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.

Die Meinungen, ob dieses Tanzverbot noch zeitgemäß ist, sind gespalten. Es wird sogar über eine mögliche Abschaffung des Verbots diskutiert. Für die einen sollten die sich nach Ruhe sehnenden Christen einfach dafür Urlaub nehmen, die Religionsfreiheit würde ein solches Verbot nicht rechtfertigen, da es für die Atheisten eine Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit darstelle. Für anderen sollte dieser Tag respektiert werden, Christentum sei immerhin in Deutschland die Hauptreligion. Mehrere Petitionen für die Abschaffung des Verbots sind sogar im Internet zu finden.

Das BVerfG gibt in seiner Entscheidung von 2009 (1 BvR 2857/07 und 1 BvR 2858/07) zur Ladenöffnung an Adventssonntagen eine lesenswerte Erläuterung zum Art. 139 WRV:

„Art. 139 WRV hat nach seiner Entstehungsgeschichte, seiner systemischen Verankerung in den Kirchenartikeln und seinen Regelungszwecken neben seiner weltlich-sozialen auch eine religiös-christliche Bedeutung. Er sichert mit seinem Schutz eine wesentliche Grundlage für die Rekreationsmöglichkeiten des Menschen und zugleich für ein soziales Zusammenleben und ist damit auch Garant für die Wahrnehmung von Grundrechten, die der Persönlichkeitsentfaltung dienen. Er erweist sich so als verfassungsverankertes Grundelement sozialen Zusammenlebens und staatlicher Ordnung und ist als Konnexgarantie zu verschiedenen Grundrechten zu begreifen. Die Gewährleistung von Tagen der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung ist darauf ausgerichtet, den Grundrechtschutz – auch im Sinne eines Grundrechtsvoraussetzungsschutzes – zu stärken und konkretisiert insofern die aus den jeweils einschlägigen Grundrechten folgenden staatlichen Schutzpflichten (vgl. Häberle, Der Sonntag als Verfassungsprinzip, 2. Aufl. 2006, S. 63 f., 70).

Schon die Entstehungsgeschichte der Vorschrift lässt die Verknüpfung der tradierten religiösen und sozialen Aspekte des Sonn- und Feiertagsschutzes zutage treten. Bei der Einbringung in der Weimarer Nationalversammlung hob der Berichterstatter, der Abgeordnete Mausbach (Zentrumspartei), hervor, die Bestimmung schütze die „öffentliche Sitte“ und die christliche Tradition und Religionsausübung. Die großen geschichtlichen Bestandteile der Kultusausübung enthielten aber auch wertvolle Freiheitsrechte für die Einzelnen; und gerade diese Seite der Sonntagsruhe, die „Schonung der Freiheit“ und der „sozialen Gleichwertigkeit aller Klassen“, sei darin angesprochen (vgl. Heilfron, Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919, 6. Band, 1920, S. 4007). Der Religionsbezug des Art. 139 WRV wird bestätigt durch seine Stellung im Grundrechtsteil der Weimarer Reichsverfassung unter der Abschnittsüberschrift „Religion und Religionsgesellschaften“. Die Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel in das Grundgesetz war letztlich ein Kompromiss, bei dessen Findung der überkommene Gewährleistungsgehalt des Art. 139 WRV nicht mehr zur Debatte stand. Damit setzte sich im Ergebnis die motivische Allianz zwischen religions- und arbeitsverfassungspolitischen Bestrebungen fort, die schon das Zustandekommen des Art. 139 WRV bestimmt hatte (vgl. Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 139 WRV Rn. 9 f.).“

Ob dies auch für das Tanzverbot in gleichem Maße anwendbar ist, ist umstritten. Die Gerichte bestätigen bis heute das Tanzverbot, wie z.B. das VG Gießen (Beschluss vom 05.04.2012 – 4 L 745/12.GI):

„Auch wenn dem Tanz gesellschaftlich verschiedene Funktionen zuzubilligen sind, überwiegt doch typischerweise eine ausgelassene, freudige Grundeinstellung (…). Diese Grundeinstellung ist typischerweise mit dem ernsten Charakter des Karfreitags (…) nicht in Einklang zu bringen.“

Andererseits finden immer wieder Abschaffungsinitiativen statt. Im Saarland wurde ein Antrag zur Aufhebung des Verbots von den Koalitionsfraktionen der CDU und SPD mit der Begründung abgelehnt, dass 82% der Saarländer Mitglieder einer der großen christlichen Kirchen sind. Auf die Rechtfertigung eines solchen Verbots wurde aber nicht eingegangen. 2012 wurden Eilanträge der Piratenpartei vor dem BVerfG als unzulässig verworfen.

Bemerkenswert ist auch, dass die Durchsetzung des Verbots von Land zu Land unterschiedlich ist! Das Bundesland Bremen zum Beispiel hat sein Feiertagsgesetz zuletzt geändert, so dass das bisher ab 4 Uhr geltende Tanzverbot, jetzt erst ab 6 Uhr gilt. In Bayern ist es nur noch an 6 Tagen im Jahr ganztägig verboten organisiert zu tanzen (früher 8).

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