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Grenzüberschreitende Umwandlung einer Gesellschaft und die Niederlassungsfreiheit

3 Aug

Der Entscheidung des EuGH vom 12.07.2012 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine italienische Gesellschaft beantragte ihre Löschung aus dem Handelsregister in Rom, da sie ihren Sitz und ihre Geschäftstätigkeit nach Ungarn verlegen wollte. Nach Löschung in Rom und Neugründung einer Gesellschaft (in ungarischer Gesellschaftsform) beantragte der gesetzliche Vertreter beim ungarischen Handelsregister die Eintragung unter Hinweis der Rechtsvorgängerschaft. Dieser Antrag wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass eine in Italien gegründete und eingetragene Gesellschaft nicht nach Ungarn verlegt und als Rechtsvorgängerin in das ungarische Handelsregister eingetragen werden könne.

 Trotz der Tatsache, dass das Europarecht derzeit noch eher eine seltenere Materie des 1. Staatsexamens darstellt, kann die künftige Bedeutung dieses Rechtsgebiets kaum unterschätzt werden. Daher sollen die wesentlichen materiell-rechtlichen Punkte des Urteils im Folgenden kurz dargestellt werden.

1. Niederlassungsfreiheit Art. 49, 54 AEUV

Unter dem Begriff der Niederlassung versteht man grundsätzlich die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmemitgliedstaat auf unbestimmte Zeit.

Damit die Niederlassungsfreiheit in „persönlicher Hinsicht“ auch auf juristische Personen der Mitgliedstaaten angewandt werden kann, muss diese gemäß Art. 54 Abs. 1 AEUV ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben. Zudem muss es sich gemäß Art. 54 Abs. 2 AEUV um eine Gesellschaft handeln, die einen Erwerbszweck verfolgen.

In „sachlicher Hinsicht“ gewährleistet Art. 49 AEUV die sekundäre Niederlassungsfreiheit. Juristische Personen haben hiernach grundsätzlich das Recht, Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften zu gründen. Nicht vom Schutzbereich des Art. 49 AEUV erfasst ist die primäre Niederlassungsfreiheit in dem Sinne, dass jede beliebige, in einem Mitgliedsstaat der EU anerkannte Gesellschaftsform als Gründungsform in einem anderen Mitgliedstaat gewählt werden könne. Es sei insofern darauf hingewiesen, dass eine Gesellschaft nach der Rechtsprechung des EuGH nur vermittels der nationalen Rechtsvorschriften existiert, die für ihre Gründung und Funktionsweise maßgebend sind. Damit eine mitgliedstaatliche Gesellschaftsform in Deutschland anerkannt wird, muss diese Gesellschaft auch noch in dem entsprechenden Mitgliedstaat anerkannt sein.

Der vorliegende Fall tangierte diese Problematik jedoch nicht. Da es sich um die Umwandlung einer italienischen Gesellschaft in eine ungarische Gesellschaft handelte, wurde weder in die Befugnis des Aufnahmemitgliedstaats noch in die von ihm vorzunehmende Festlegung der Regeln für die Gründung und die Funktionsweise der aus einer grenzüberschreitenden Umwandlung hervorgehenden Gesellschaft eingegriffen. Die Gesellschaft unterliegt vielmehr allein dem innerstaatlichem Recht des Aufnahmemitgliedstaats (Ungarn), das die erforderliche Anknüpfung wie auch die Gründung und die Funktionsweise der Gesellschaft regelt.

Im Ergebnis handelt es sich daher bei Umwandlungen von Gesellschaften um derartige wirtschaftliche Tätigkeiten, hinsichtlich derer die Mitgliedstaaten die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV beachten müssen.

2. grenzüberschreitender Bezug

Es darf sich zudem nicht um einen rein nationalen Sachverhalt gehandelt haben, damit die Vorschriften der Art. 49 und 54 AEUV anwendbar sind. Dies könnte allein fraglich sein, wenn man bedenkt, dass es sich um die Gründung einer ungarischen Gesellschaft und der alleinigen Ausübung der Geschäftstätigkeit in Ungarn handelt. Zu beachten ist jedoch, dass der Sachverhalt insofern einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist, als dass es sich um eine Umwandlung von einer italienischen in eine ungarische Gesellschaft handelt und der Gesellschaft der Eintrag ins Handelsregister unter Vermerk der Rechtsvorgängerschaft verwehrt wird.

3. Bereichsausnahme gemäß Art. 51 AEUV

Da die von der Gesellschaft ausgeübte Tätigkeit nicht dauernd oder zumindest zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden war, griff die Bereichsausnahme des Art. 51 AEUV nicht ein.

4. Eingriff in den Schutzbereich

Bei der Verweigerung der Eintragung ins Handelsregister mit dem Vermerk der Rechtsvorgängerschaft der Gesellschaft müsste es sich zudem um einen Eingriff in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit handeln. Da die ungarische Gesetzeslage lediglich die Umwandlung nationaler Gesellschaften vorsieht, die ihren Sitz schon in Ungarn haben, begründet diese Regelung nach Ansicht des EuGH eine unterschiedliche Behandlung von Gesellschaften je nachdem, ob es sich um eine innerstaatliche oder grenzüberschreitende Umwandlung handelt. Dieser Eingriff ist auch grundsätzlich geeignet, Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten abzuhalten, von ihrer im AEUV verorteten Niederlassungsrecht Gebrauch zu machen.

5. Rechtfertigung

Der Eingriff könnte dadurch gerechtfertigt sein, dass die grenzüberschreitende Umwandlung spezifische Konsequenzen wie die sukzessive Anwendung von zwei nationalen Rechtsordnungen mit sich bringt. Dass eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Fehlens vereinheitlichten Unionsrechts gerechtfertigt sein soll, erscheint jedoch angesichts der Bedeutung der Niederlassungsfreiheit fraglich. Auch zwingende Gründe des Allgemeinwohls wie der Schutz der Gläubigerinteressen, Minderheitsgesellschafter oder Arbeitnehmer, die Wahrung der Wirksamkeit der steuerlichen Kontrollen oder die Lauterkeit des Handelsverkehrs kommen nur dann als Rechtfertigung in Betracht, wenn der Eingriff zur Erreichung der verfolgten Ziele geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was zur ihrer Erreichung erforderlich ist. Dies ist jedoch bereits vor dem Hintergrund abzulehnen, dass es einer generellen Ablehnung grenzüberschreitender Umwandlungen nicht bedurft hätte, sodass es an der Erforderlichkeit mangelt.

6.  Weiteres

Im Übrigen ist zu beachten, dass der Aufnahmemitgliedstaat grundsätzlich befugt ist, das für grenzüberschreitende Umwandlungen geltende Recht festzulegen und anzuwenden, dabei jedoch den Äquivalenzgrundsatz und den Effektivitätsgrundsatz zu beachten hat, nach denen grenzüberschreitende Umwandlungen nicht anders behandelt werden dürfen als innerstaatliche Umwandlungen („wenn eine solche Eintragung der Vorgängergesellschaft im Handelsregister bei innerstaatlichen Umwandlungen vorgesehen ist“).

BKartA richtet anonymes Hinweisgebersystem – eine zusätzliche Aufdeckungsgefahr für Kartelle?

18 Jun

Auf einer eigens hierfür eingerichteten Seite wendet sich das BKartA an Personen, die in Kenntnis von Informationen sind, die der Aufdeckung bestehender Kartelle von Nutzen sein dürften. In einem entsprechenden Protokoll können die Informationen im Falle der Bereitschaft zur Preisgabe eingetragen und an das BKartA übermittelt werden. Das System unterscheidet hierbei zwischen vertikalen und horizontalen Kartellverstößen sowie Marktmachtmissbrauch. Um den entsprechenden Personen einen Anreiz zur Offenbarung zu schaffen, wurde das System so eingerichtet, dass der Betreffende anonym, ein Dialog zwischen Betroffenem und BKartA aber dennoch möglich bleibt. Die Furcht vor Repressalien soll damit als Asschlussgrund für eine Unterstützung bei der Aufdeckung von Kartellen beseitigt werden.

Ob das System wirklich in der Lage ist, die Wahrscheinlichkeit der Kartellaufdeckung zu steigern, wird sich noch zeigen. Ein vergleichbares System sei jedenfalls in langjähriger Praxis von Landeskriminalbehörden erprobt worden. Denkbar erscheint jedenfalls, dass die Implementierung dieses Systems zusätzlichen Druck auf bestehende Kartelle ausübt, sodass das Bonusprogramm des BKartA von Kartellanten unter Umständen in Zukunft häufiger in Anspruch genommen wird und über diesen Weg Kartelle aufgedeckt werden können.

siehe auch:

http://kartellblog.de/2012/06/03/anonyme-hinweise-beim-kartellamt/

http://www.juris.de/jportal/portal/t/1d1w/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA120601670&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

Im Übrigen sei auf einen Aufsatz von Dr. Silvelyn Wrase und Christoph Fabritius verwiesen, der sich mit der Gewährung von Prämien für Hinweisgeber bei Kartellrechtsverstößen befasst.

§ 46 Abs. 2 StGB und rassistische Beweggründe – Strafzumessung und Hasskriminalität

11 Jun

Der Bundesrat hat am 18.04.2012 einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches an den Präsidenten des Deutschen Bundestages adressiert. Nach dem Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondere Umstände der Strafzumessung (StRÄndG) – sollen menschenverachtende oder fremdenfeindliche Beweggründe und Ziele des Täters als Umstände in § 46 Abs. 2 StGB aufgenommen werden, die im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend zu berücksichtigen sind.

Damit reagiert der Bundesrat auf die Tatsache, dass die Anzahl politisch, rassistisch oder religiös motivierter Straftaten nach dem Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern für das Jahr 2010 mit bundesweit 762 Delikten eine erschreckende Tendenz aufweist, die durch die – nach Ansicht des Bundesrats – unbefriedigende Rechtslage nicht hinreichend gewürdigt wird. Die Reduktion des Menschen auf ein bloßes „Anderssein“ ohne persönliche Auseinandersetzung ebenso wie das Potential der Taten zur starken Verunsicherung von Bürgern und Bürgerinnen, die die gleichen Einstellungen und Eigenschaften wie die Opfer aufweisen, stellen vielmehr besondere Merkmale dieser sogenannten Hassdelikte dar und implizieren somit einen erhöhten Unrechtsgehalt, dem der Gesetzgeber gerecht werden müsse.

Zuvor hatte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung in einem am 28.02.2012 gestellten Antrag aufgefordert,

1. gemeinsam mit den Ländern die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren vom 1. Januar 1977 (RiStBV) dahingehend zu ändern, dass klargestellt wird, dass bei Mischantragsdelikten, die durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit motiviert sind, das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in der Regel zu bejahen ist,

2. einen Entwurf für ein Gesetz vorzulegen, der in § 130 StGB (Volksverhetzung) alle Gruppen aufnimmt, deren Zugehörige davor geschützt werden sollen, insbesondere wegen ihrer sexuellen Identität, ihres Geschlechts, ihrer Weltanschauung, ihrer Behinderung oder ihres Alters zum Opfer volksverhetzender Handlungen zu werden und

3. eine Studie über die Anwendung des § 46 Absatz 2 StGB im Hinblick auf die durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit motivierten Delikte in Auftrag zu geben.

Bislang wurde lediglich durch einige wenige Urteile „bestätigt“, dass rassistische Motive bereits jetzt im Rahmen des § 46 Abs. 2 StGB Berücksichtigung finden. Höchstrichterliche Rechtsprechung ist hierzu bislang nicht ergangen, sodass eine allgemeine Praxis nicht angenommen werden kann. Zutreffend erscheint die Ansicht Stoltenbergs, der von Ermittlungsdefiziten ausgeht, die zu einer mangelnden Würdigung rassistischer Motive seitens der Gerichte führen. Eine ausdrückliche Nennung rassistischer Beweggründe in § 46 Abs. 2 StGB dürfte die Sensibilität der Gerichte steigern. Geht man aber wie Stoltenberg von erheblichen Defiziten im Ermittlungsverfahren aus, bedarf es zudem einer Vorschrift, die „vorschreibt, im Ermittlungsverfahren bei Vorliegen von entsprechenden Anhaltspunkten insbesondere rassistische Motive gezielt zu untersuchen“.

Außerordentliche Kündigung bei Schwarzarbeit im Dienst?

12 Apr

In zwei aktuellen Verfahren (3 Ca 3495/11 und 3 Ca 3566/11) hatte sich das Arbeitsgericht Mönchengladbach mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit die Durchführung von Schwarzarbeit während der eigentlichen Dienstzeit eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB rechtfertigen kann.

Zwei Arbeiter der Grünpflegekolonne – einer von Ihnen war Vorarbeiter – hatten gegen Zahlung von 300 Euro versprochen, privat vier Bäume zu beseitigen, was jedoch nur teilweise erfolgte. Daraufhin beschwerte sich die Grundstückseigentümerin bei der Stadt, die so von der Vereinbarung der Schwarzarbeit erfuhr und den beiden Arbeitnehmern gemäß § 626 Abs. 1 BGB fristlos kündigte. Die Kläger des Kündigungsschutzverfahrens gemäß § 4 S. 1 KSchG beriefen sich darauf, dass sie jedenfalls kein Entgelt gefordert hätten und das Geld einer Sparkasse der Grünpflegekolonne zugeführt wurde.

1. Kündigungsschutzklage des Vorarbeiters

Die Kündigungsschutzklage hatte Erfolg, da die Stadt versäumte, die fristlose Kündigung innerhalb der Ausschlussfrist des § 626 Abs. II BGB zu erklären. Anknüpfungspunkt des Fristbeginns ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den kündigungsrelevanten Umständen Kenntnis erlangt hat. Zwar können im Einzelfall weitere Aufklärungsmaßnahmen des Arbeitgebers dazu führen, dass der Zeitpunkt nicht unmittelbar an die erstmalige Kenntniserlangung anknüpft (so etwa bei Verdacht einer Straftat und internen Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts, um den Verdacht zu entkräften oder ein solides Fundament für eine Kündigung zu erhalten). Im vorliegenden Fall lag jedoch keine entsprechende Sachlage vor, sodass das Arbeitsgericht von einem Fristversäumnis ausgehen konnte. Insbesondere bestritten die Kläger nicht, dass es zu einer entsprechenden vereinbarung gekommen war.

2. Kündigungschutzklage des anderen Arbeitnehmers

Auch die Kündigungsschutzklage des anderen Arbeitnehmers hatte Erfolg. In diesem Fall wurde zwar die Ausschlussfrist des § 626 Abs. II BGB gewahrt. Die fristlose Kündigung ist jedoch nur dann rechtmäßig, wenn der Kündigungsgrund gemäß § 626 Abs. 1 BGB 1. an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen und 2. auch im Einzelfall eine Abwägung der widerstreitenden Interessen im konkreten Fall ergibt, dass der außerordentlichen Kündigung keine Einwände entgegen stehen. Das Arbeitsgericht Mönchengladbach vertrat hierzu den Standpunkt, dass zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sei, dass dieser bereits viele Jahre in dem Betrieb tätig war und er letztlich auf Anweisung des Vorarbeiters tätig geworden sei, sodass dessen Schuld jedenfalls schwerer wiege.

Zur Kartellrechtswidrigkeit von Telefonaten zwischen Tankstellenbetreibern über aktuelle Preise

28 Feb

Jeder Autofahrer hat sich sicherlich schon einmal bei der Fahrt zur Tankstelle und einem entsprechenden Preisvergleich gefragt, ob die Preisbildung „rechtmäßig“ verläuft. Auch aktuell hat das Bundeskartellamt aufgrund der derzeit hohen Preise Untersuchungen vorgenommen, die jedoch keine kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen erkennen lassen. Im Juli 2009 lagen dem Bundeskartellamt jedoch Hinweise vor, dass mindestens drei große Tankstellenbetreiber Telefongespräche über aktuelle Preisstände an ihren Tankstellen führen. Nun mag der Laie dies selbstverständlich für zweifelhaft einstufen und das Verhalten als verwerflich erachten. Interessanter hingegen ist die Frage nach der kartellrechtlichen Zulässigkeit eines solchen Informationsaustauschs. Gemäß § 1 GWB bzw Art. 101 AEUV sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verboten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Auch der Informationasustausch als abgestimmte Verhaltensweise ist nach ständiger Rechtsprechung hierunter zu fassen.

Problematisch an dem Phänomen der Preisabsprache zwischen Tankstellenbetreibern ist, dass hier bereits grundsätzlich eine höhere Markttransparenz gegeben ist als in anderen Branchen. So besteht die Möglichkeit, die aktuellen Preis von Wettbewerbern in der Umgebung über die Preis-Monolithen zu erfahren. Auch das Internet beziehungsweise Apps für Mobiltelefone vereinfachen die Recherche aktueller Preise. Dass die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse keinen Kartellrechtsverstoß darstellen, erscheint unproblematisch. Die Informationen sind schließlich öffentlich zugänglich und haben keinen konkreten Adressaten. Es handelt sich um echte öffentliche Informationen, zu denen alle Wettbewerber und Kunden gleichermaßen leicht Zugang haben.

Wie sieht es aber nun mit Telefonaten zwischen Tankstellenbetreibern als Wettbewerber aus? Muss hier eine Kartellrechtswidrigkeit der Handlung ausscheiden, da die Daten de facto ohnehin öffentlich verfügbar sind? Die Leitlinien zur Anwendbarkeit des Artikels 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gehen davon aus, dass selbst im Falle der grundsätzlich öffentlichen Verfügbarkeit der Informationen ein Kartellrechtsverstoß im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV vorliegen kann, wenn dadurch die Ungewissheit auf dem Markt über künftige Entwicklungen verringert wird. Die Telefonate gewähren den beteiligten Mineralölgesellschaften den Vorteil, ihre Reaktionsmöglichkeiten im Hinblick auf Preisentwicklungen zu beschleunigen und eine Verhaltenskoordinierung mit geringeren Mitteln zu erzielen. Zudem können auch Tendenzen bezüglich künftiger Preisplanungen ausgetauscht werden, die unter normalen Umständen für den Kunden und andere Wettbewerber nicht ersichtlich wären. Die Kommision vertrtitt die Auffassung, dass es sich in diesem Fall nicht um echte öffentliche Informationen handle, weil beträchtliche Zeit- und Transportkosten aufgebracht werden müssten, um dieselben Informationen auf andere Art und Weise zu erhalten. Zudem schaffe der Informationsaustausch ein Klima gegenseitiger Sicherheit über die Preispolitik der Wettbewerber, wodurch ein Kollusionsergebnis begünstigt wird.

Im Ergebnis ist damit jedenfalls festzuhalten, dass es einer Einzelfallbetrachtung bedarf und dass nur der Umstand, dass bestimmte Informationen öffentlich zugänglich sind, nicht ohne weiteres einn Kartellrechtsverstoß im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausschließt. Eine geringfügige Zusatzinformation beispielsweise kann ausreichend sein, um ein kartellrechtswidriges Kollusionsergebnis zu erzielen.

Solarienverbot für Minderjährige verfassungsgemäß

30 Jan

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom  21.12.2011 (1 BvR 2007/10) entschieden, dass die am 04.08.2009 in Kraft getretene Vorschrift des § 4 des Gesetzes zum Schutz vor nichtionisierter Strahlung bei der Anwendung am Menschen (NiSG) verfassungsgemäß ist.

Die Benutzung von Anlagen nach § 3 zur Bestrahlung der Haut mit künstlicher ultravioletter Strahlung in Sonnenstudios, ähnlichen Einrichtungen oder sonst öffentlich zugänglichen Räumen darf Minderjährigen nicht gestattet werden.

Gegen die Verfassungsmäßigkeit des Verbots wurde vorgebracht, dass es Minderjährige in ihrer aus Art. 2 Abs. 1 resultierenden Handlungsfreiheit,  die Eltern in ihrem Erziehungsecht aus Art. 6 Abs. 2 GG und die Solarienbetreiber in Art. 12 Abs. 1 GG verletzte.

Zu Art. 2 Abs. 1 GG:

Das Bundesverfassungsgericht vertritt die Ansicht, dass der Eingriff in die aus Art. 2 Abs. 1 resultierende allgemeine Handlungsfreiheit der Betroffenen zwar keineswegs belanglos sei, da dieser die Dispositionsbefugnis über ihre Freizeitaktivitäten und Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes genommen werde, ohne dass sie sich selbst gemeinschädlich verhalten würde. Auch habe jeder Mensch grundsätzlich die Möglichkeit, selbstbestimmt Handlungen vorzunehmen, die ein gesundheitliches Risiko aufweisen. Der mit dem Verbot verfolgte Jugendschutz ist hingegen als Rechtfertigungsgrund im Grundgesetz anerkannt (vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG beispielsweise) und kann ausnahmsweise Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit rechtfertigen. Im Hinblick auf die Vermeidung oder Verminderung des Risikos von Hautkrebs und anderen Schäden erscheint das Verbot nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes verhältnismäßig. Gerade die Angemessenheit wird dadurch gewährleistet, dass der Minderjährige nach wie vor „Sonnenbaden“ oder private Solarien nutzen kann.

Zu Art. 6 Abs. 2 GG:

Der Einwand der Eltern, durch das Sonnenstudio-Verbot werde das Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG verletzt, wurde ebenfalls mit der Begründung verneint, dass der Eingriff vor dem Hintergrund des Jugendschutzes gerechtfertigt sei und den Eltern genügend andere Möglichkeiten ließe, dem Kind UV-Strahlung zuzuführen.

Zu Art. 12 Abs. 1 GG:

Auch hier vertrat das Bundesverfassungsgericht, dass der Betreiber nicht in seinem Recht auf freie Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 GG verletzt sei. Insofern erweist sich auch hier der Eingriff vor dem Hintergrund des Jugendschutzes und der mit der UV-Strahlung verbundenen Gefahren als verhältnismäßig.

Arbeitgeber kann auf Wunsch ärztliches Attest bereits am ersten Krankheitstag verlangen

3 Jan

Nach einem aktuellen Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln kann der Arbeitgeber von seinem Arbeitnehmer bereits am ersten Krankheitstag ein ärztliches Attest ohne Angabe eines Grundes verlangen, vgl. § 5 Abs.1 S.3 EFZG. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen, vgl § 72 Abs. 2 Nr.1 ArbGG.

Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer spätestens am dritten Tag nach Krankheitsfall eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemäß § 5 Abs.1 S.2 EFZG beim Arbeitgeber vorlegen. Gesetzlich vorgesehen war bereits die Möglichkeit, dass der Arbeitgeber die Bescheinigung früher verlangen kann, vgl. § 5 Abs.1 S.3 EFZG. Umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden ist bislang jedoch die Frage, ob der Arbeitgeber hierfür sachliche Gründe anführen muss. Das Landesarbeitsgericht Köln hat dies nunmehr verneint und zudem festgestellt, dass die Entscheidung des Arbeitgebers keiner Ermessensüberprüfung seitens des Gerichts unterliegt.

Im vorliegenden Fall hatte die Arbeitnehmerin vergeblich eine Dienstreise beantragt und sich anschließend für den gleichen Tag krank gemeldet. Daraufhin sprach der Arbeitgeber die Verpflichtung aus, künftig bereits am ersten Tag der Krankmeldung eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen.

Kommt der Arbeitnehmer der Vorlagepflicht nicht nach, hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Fortzahlung des Entgelts gemäß §§ 7 Abs. 1 Nr. 1, § 7 II EFZG verweigern.

Weihnachtsgeschenk gesucht? Wünscht euch doch ein Zeitschriften-Abo !

23 Dez

Vielleicht geht es einigen von euch genauso wie mir. Weihnachten steht vor der Tür, aber eigentlich seid ihr mit allem recht zufrieden und habt keine allzu großen Wünsche (oder ihr seid sogar Idealisten und legt keinen allzu großen Wert auf die Kommerzialisierung von Weihnachten)? Dennoch möchte euch jemand eine Freude bereiten und etwas schenken, was ihr auch gebrauchen könnt. Vielleicht lohnt sich die Überlegung, sich ein Abonnement einer juristischen Fachzeitschrift schenken zu lassen?

Sicherlich hat man auch die Möglichkeit, eine Vielzahl von Zeitschriften an der Universität zu lesen. Die regelmäßige Lektüre einer Ausbildungszeitschrift erscheint empfehlenswert, denn die aktuelle Rechtsprechung ist vor allem auch im Hinblick auf das Staatsexamen eine durchaus relevante Materie. Zudem kann man einen Eindruck gewinnen, mit welchen Fällen sich die Gerichte wirklich beschäftigen. Außerdem ist die Lektüre eine willkommene Abwechslung zu Lehrbüchern, die sich primär mit der Vermittlung von theoretischen Kenntnissen auf einem abstrakten Niveau beschäftigen. In Anbetracht der Tatsache, dass viele von euch vermutlich Rechtswissenschaften studieren, weil sie später einen Beruf als Anwalt oder Richter ausüben wollen und daher von einem Grundinteresse an rechtlichen Themen auszugehen ist, ist ein solches Abonnement als Geschenk durchaus überlegenswert.

Ich erzähle vermutlich niemandem im fortgeschrittenen Stadium etwas Neues (und möchte hier auch keine Werbung machen), wenn ich sage, dass die Rechtsprechungsübersicht von Alpmann Schmidt und die Life & Law von Hemmer für Studenten besonders interessant sind, weil sie die Gutachtentechnik beherzigen, die im ersten Staatsexamen von besonderer Bedeutung ist. Zudem ist die Trefferquote im Hinblick auf mögliche Klausurthemen im Examen relativ hoch. Auch von der Aktualität der besprochenen Fälle kann sich manch eine andere Fachzeitschrift „eine Scheibe von abschneiden“. Für Referendare und Studenten vor dem ersten Staatexamen sind beide Zeitschriften eigentlich empfehlenswert (mein subjektiver Eindruck). Auch Preislich halten sich beide meines Erachtens im Rahmen des Angemessenen.

Aber auch ein Blick auf andere Zeitschriften sei gestattet. Zeitschriften wie die NJW, MdR, JA, JuS oder die JURA dürften den meisten Studenten ebenfalls ein Begriff sein. Bei der JuS und der JURA handelt es sich ebenfalls eher um Ausbildungszeitschriften. Neben Lernbeiträgen für Studenten und Referendare sind hier vor allem auch Klausurfälle zum Üben enthalten. JURA hat das Angebot sogar noch erweitert und der Zeitschrift ein Karteikartensystem hinzugefügt, auf dem die aktuelle Rechtsprechung zum Lernen abgedruckt ist. Zwar wird hier nicht die Gutachtentechnik berücksichtigt. Dafür findet man aber auch Aufsätze zu interessanten Themen und Lernbeiträge, die zum Teil auch von Referendaren oder wissenschaftlichen Mitarbeitern verfasst werden. Die MdR und die NJW eignen sich hauptsächlich zur Lektüre der aktuellen Rechtsprechung. Aufsätze lassen sich auch hier finden, bilden aber nicht den Schwerpunkt der Zeitschrift. Diese Zeitschriften werden sicherlich auch im Hinblick auf die regelmäßige Lektüre eher von Praktikern genutzt als von Studenten. Weniger bekannt ist die NRÜ. Sie ähnelt sehr der RÜ,  hinsichtlich des Gutachtenstils und des Umfangs zeichnen sich aber Unterschiede ab.

Es gibt natürlich noch mehr juristische Zeitschriften – insbesondere rechtsgebietsspezifisch -, die ihre Daseinsberechtigung genießen und auf jeden Fall lesenswert sind. Ich will hier auch keine Bewertung oder Empfehlung aussprechen. Ich würde jedem raten, einfach mal einen Blick in die jeweiligen Zeitschriften zu werfen und für sich zu entscheiden, welche Zeitschrift für die regelmäßige Lektüre in Betracht käme. Zudem möchte ich darauf hinweisen, dass es auch interessante Internet-Zeitschriften wie die ZJS gibt, die kostenlos ihre Inhalte zur Verfügung stellen und ebenfalls lesenswert sind. 

 

OLG Karlsruhe vom 18.10.2011 (1 U 28/11) – Der „Schockschaden“

12 Dez

Das OLG Karlsruhe hat in seinem Urteil vom 18.10.2011 (1 U 28/11) entschieden, dass „eine Ersatzpflicht für psychisch vermittelte Beeinträchtigungen – hier der Unfalltod naher Angehöriger – nur dann bejaht wird, wo es zu gewichtigen psychopathologischen Ausfällen von einiger Dauer kommt, die die auch sonst nicht leichten Nachteile eines schmerzlich empfundenen Trauerfalls für das gesundheitliche Allgemeinbefinden erheblich übersteigen und die deshalb auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit betrachtet werden. Die Gesundheitsbeschädigung muss also nach Art und Schwere über das hinausgehen, was nahe Angehörige in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden.“

Schockschäden stellen einen Klassiker des Deliktsrechts insbesondere bei der Prüfung des § 823 Abs. 1 BGB dar und sollten daher von Rechtsstudenten beherrscht werden. Bei der Prüfung des § 823 Abs. 1 BGB bietet sich grundsätzlich folgendes Schema an:

1. Rechtsgutsverletzung

2 Verletzungshandlung

3. haftungsbegründende Kausalität

a. Äquivalenztheorie

b. Adäquanztheorie

c. Schutzzweck der Norm

4. Rechtswidrigkeit

5. Verschulden

6. Schaden

7. haftungsausfüllende Kausalität

Gehen wir von dem Fall aus, dass die Ehefrau bei einem Verkehrsunfall verstorben ist und dadurch ein medizinisch fassbarer, den Ehemann beeinträchtigender Schockschaden entstanden sein könnte.

Das Problem ist zunächst im Rahmen der Rechtsgutsverletzung zu verorten. Da es hier um eine Rechtsgutverletzung beim Anspruchsteller gehen muss, ist zu hinterfragen, ob ein Schockschaden eine Rechtsgutsverletzung darstellen kann. Hier greift nun die Formel des OLG Karlsruhe ein, nach der nicht jeder Schockschaden zu einer deliktisch relevanten Verletzung führt. Erforderlich ist vielmehr, dass sich die Beeinträchtigung dem allgemeinen Lebensrisiko entzieht, nachhaltige traumatische Auswirkungen entfaltet und die objektive Erforderlichkeit einer ärztlichen Behandlung begründet, sodass die Auswirkungen einer Gesundheitsschädigung gleichzustellen sind.

Die Verletzungshandlung ist in der Schädigung des nahen Angehörigen zu sehen. Fraglich ist jedoch, ob auch eine haftungsbegründende Kausalität gegeben ist. Die Schädigung des nahen Angehörigen kann nicht weggedacht werden, ohne dass die Rechtsgutsverletzung in ihrer konkreten Gestalt – also der Schockschaden – entfiele. Auch liegt es – aus der objektiven Sicht eines verständigen Dritten – nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Tod eines nahen Angehörigen zu traumatischen Auswirkungen bei Verwandten, insbesondere beim Ehemann oder bei den Kindern, führt. Zweifeln könnte man jedoch am Schutzzweck der Norm. Die Schädigung der Ehefrau stellt ein Verhalten mit primär haftungsbegründender Wirkung zugunsten derselben dar. Der Ehemann ist lediglich mittelbar betroffen. Fraglich ist, ob der Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB  neben unmittelbaren Beeinträchtigungen auch mittelbare wie diejenigen des Ehemanns umfasst. In diesem Zusammenhang wird von einer psychisch vermittelten Kausalität gesprochen. Grundsätzlich müsste man dies verneinen, da lediglich eine mittelbare Betroffenheit vorliegt und die Annahme eines Anspruchs zu einer unverhältnismäßigen Ausdehnung der Haftung führen würde. In bestimmten Fällen sehen Rechtsprechung und Literatur dennoch einen Anspruch als gegeben. Voraussetzung ist, dass es sich um eine schwere Beeinträchtigung seitens des Schockopfers handelt, die auf einem ausreichenden Anlass beruht. Zudem muss ein enges Näheverhältnis zwischen Schockopfer und eigentlichem Opfer bestehen.

Die Prüfung der restlichen Voraussetzungen dürfte in der Regel unproblematisch sein. Als Hinweis möchte ich ferner noch anmerken, dass im Bereich des „Schutzzwecks der Norm“ auch das Problem der „Herausforderungsfälle“ und der „Anlageschäden“ zu lokalisieren ist, auf die ich in einem weiteren Beitrag eingehen werde.

Otto Palandt – 60 Jahre nach seinem Tod

9 Dez

Fast jeder hat ihn während seines Jurastudiums zu Recherchezwecken genutzt, doch vermutlich kaum einer hat sich schon einmal genauer mit dem Palandt und seinem Herausgeber beschäftigt. Am 03.12.2011 war der 60. Todestag des Otto Palandt. Legal Tribune Online hat einen kurzen, recht interessanten Artikel veröffentlicht, den ich keinem vorenthalten möchte. Inhaltlich geht es insbesondere auch noch um die „Kommentierung der „Justizausbildungsverordnung des Reiches nebst Durchführungsbestimmungen“, die mit einem Geleitwort des Staatssekretärs Dr. Roland Freisler 1934 im Berliner Verlag Franz Vahlen erschien“. Für alle, die sich auch ein wenig rechtshistorisch interessieren, auf jeden Fall lesenswert.

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