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Sächsischer Dialekt, verobjektivierter Empfängerhorizont und die Eurokrise – AG Stuttgart – Bad Cannstatt 12 C 3263/11 –

16 Sept

Wie tückisch es sein kann, wenn man unverfälschten Dialekt spricht, zeigt ein Urteil des Amtsgerichts Stuttgart – Bad Cannstatt dem folgender Sachverhalt zugrunde lag:

Eine Sächsin wollte in einem Reisebüro in Stuttgart – Bad Cannstatt telefonisch eine Reise nach Porto buchen. Da sie dies in unverfälschtem Sächsisch tat und Porto mit „Bordoo“ aussprach, gab die Reisebüromitarbeiterin eine Reise nach Bordeaux in ihren Computer ein. Auf ihre zweimalige Nachfrage hin, ob die reiselustige Sächsin wirklich nach Bordeaux wolle und diese das bestätigte, buchte die Reisebüromitarbeiterin endgültig eine Reise nach Bordeaux. Als das Reisebüro der Dame dann die schriftliche Reisebestätigung über eine Reise nach Bordeaux statt nach Porto übersandte, wollte diese jedoch nicht zahlen. Das AG Stuttgart-Bad Cannstatt entschied, dass doch ein Reisevertrag zustandegekommen sei und daher Zahlungsanspruch aus §§ 675, 670 BGB bestehe. Es begründete dies entsprechend dem verobjektivierten Empfängerhorizont wie folgt: „Versteht der Empfänger eine undeutlich gesprochene Erklärung falsch, so geht dies grundsätzlich zu Lasten des Erklärenden, der das Risiko dafür trägt, dass der Empfänger seine Worte auch erfassen kann.“

Böse Zungen behaupten nunmehr, dass viele Sachsen zu ihrer Verwunderung in der jemenitischen Hauptstadt Aden landen und nicht, wie eigentlich gewollt, in der griechischen Hauptstadt Athen und dadurch die Eurokrise ausgelöst haben. Daher mein Aufruf: Liebe Sachsen, lernt endlich Hochdeutsch, denn nur so können wir den Euro retten!!! 😉 Weiterlesen

AG Lübeck: Urt. v. 08.06.2011 – 746 Js 13196/11 – Bespritzen mit Sperma als Körperverletzung gem. § 223 StGB (BeckRS 2011, 19102)

29 Feb

Sachverhalt nach BeckRS 2011, 19102 (verkürzt)

Der A begab sich zu einem Supermarkt. Er führte ein Fläschchen gefüllt mit eigenem Sperma in der Absicht bei sich eine beliebige Frau bei geeigneter Gelegenheit mit dem Sperma zu bespritzen. Im Supermarkt angekommen, stellte er sich dort mit einigen Artikeln in eine Schlange im Kassenbereich. Vor ihm stand die M, der er das mit Sperma gefüllte Fläschchen auf die Kleidung spritzte. A kam es auf eine gedankliche Erregung während der Tat an, die aber ausblieb. M bemerkte dies, empfand starken Ekel und fühlte sich in ihrer Ehre herabgesetzt. Sie leidet seit ihrer Jugendzeit unter psychischen Problemen. Im Alter von 15 Jahren wurde sie zudem Opfer einer Vergewaltigung. M litt in der Folge unter erheblichen psychischen Belastungen und etwa eine Woche nach der Tat zudem unter massiven Schlafstörungen, die sich gegenüber den Schlafstörungen, die sie sonst zuweilen hat, verschlimmerten. Die Tat des A ließ die Erinnerung an die an ihr begangene Sexualstraftat wieder in ihr Bewusstsein treten. M leidet ferner an Multipler Sklerose, was sich beim Auftreten von Stress in Muskelkrämpfen äußert. Durch die durch die Tat des A ausgelösten Belastungen erlitt M wiederholt Krampfanfälle, was zu Schmerzen in Armen und Beinen führte. Der A nahm mögliche Folgeschäden der M über das unmittelbare Bespritzen mit Sperma hinaus, insbesondere Beeinträchtigungen des seelischen Wohlbefindens in Kauf. Es kam ihm zwar auf derartige Folgen nicht an, er fand sich aber mit ihnen ab. Mögliche Folgen für sein Opfer M waren ihm im Zeitpunkt der Tatbegehung egal, da er die M als Lust-/Sexualobjekt ansah, an dem er seine eigenen Fantasie freien Lauf lassen konnte. Davon, dass M oder andere anwesende Personen etwas bemerkten ging der A nicht aus. Er wollte vielmehr, dass die Tat selbst unbeobachtet bleibt.

Das AG hat den bereits einschlägig vorbestraften A wegen vorsätzlicher Körperverletzung gem. § 223 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt.

Anmerkung

Mag dieser Fall auch widerwärtig und gerade für das Opfer äußerst erniedrigend sein, soll dennoch hier auf ihn eingegangen werden, da er zum einen verdeutlicht, wann eine psychische Beeinträchtigung in eine Körperverletzung umschlägt und zum anderen wesentliche Probleme aus dem AT hinsichtlich der objektiven und subjektiven Zurechnung behandelt. Das AG subsumiert den oben dargestellten Sachverhalt geradezu in fast mustergültig schulmäßiger Form, weshalb die Lektüre der Entscheidungsgründe dringend zu empfehlen ist.

Das Gericht beginnt seine Prüfung mit den einschlägigen Definitionen zur körperlichen Misshandlung und zur Gesundheitsbeschädigung, lässt indes ausdrücklich offen unter welche Alternative es letztendlich subsumiert. Es stellt zunächst, basierend auf der hM., klar, dass allein der Ekel den M empfunden hat noch nicht unter die beiden Alternativen fällt und somit keine Körperverletzung darstellt, da der Ekel als solcher keine körperlichen Auswirkungen hat, weil eine Einwirkung, die lediglich das seelische Wohlbefinden beeinträchtigt, wie z.B. die Auslösung von Panik- und Angstgefühlen, den objektiven Tatbestand der Körperverletzung grundsätzlich nicht erfüllen. Ein Umschlagen in eine Körperverletzung setzt nach der Ansicht des Gerichts dann ein, wenn infolge von Abscheu und Ekel körperliche Wirkungen hinzutreten, wobei auch solche psychischen Beeinträchtigungen ausreichen, die den Körper im weitesten Sinne in einen pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand von nervlicher Art, versetzen, weshalb auch somatische Tatfolgen wie Schlaflosigkeit und Angstzustände zumindest dann als tatbestandliche Körperverletzung anzusehen sind, wenn sie nicht nur unerheblichen Ausmaßes sind. Konsequent bejaht das Gericht daher, das die Tat des A hier einen somatisch objektivierbaren Zustand hervorgerufen hat, weil die M nach der Tat eine Woche unter verschlimmerten Schlafstörungen litt und die Krampfanfälle, die zwar in der Vorerkrankung (MS) angelegt sind durch den durch die Tat ausgelösten Stress erneut aufgetreten sind. Nach der Ansicht des Gerichts sind diese somatischen körperlichen Auswirkungen sowohl subjektiv aus der Sicht der M als auch aus der objektiven Sicht eines Dritten als erheblich einzustufen.

Das Gericht rechnet mit überzeugender Begründung die Tatfolgen dem A auch objektiv zu. Es verneint insgesamt einen atypischen Kausalverlauf, da außergewöhnliche Tatfolgen, die A nicht hätte erkennen und mit diesen nicht hätte rechnen können nicht gegeben sind. Als Hauptargument führt das Gericht unter wörtlicher Zitierung einer Entscheidung des OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe NJW 2003, 1263, 1264) aus, dass dem A auch die Kenntnis zuzuschreiben ist, „dass sich Geschädigte in ihren psychischen Reaktionen auf an ihnen verübten Straftaten voneinander unterscheiden und eine besondere Anfälligkeit gerade von weiblichen Geschädigten dann besteht, wenn sie bereits früher – was nicht selten ist – Opfer einer Gewalttat geworden sind“. Das AG beendet nach weiteren Ausführungen zur Vorhersehbarkeit der konkreten Tatfolgen bei M die objektive Zurechnung mit dem treffenden Satz: „Der Angeklagte konnte schlichtweg nicht darauf vertrauen, nicht auf ein vorgeschädigtes Opfer treffen zu können, sondern musste jederzeit damit rechnen“.

Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes definiert das AG Lübeck diesen dann vorbildlich wie folgt: „Bedingter Vorsatz ist dann gegeben, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Körperverletzungserfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihr abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch unerwünscht sein. Ausreichend ist dabei, dass dem Täter der als möglich erkannte Erfolg gleichgültig ist.“ Das AG sieht diese Voraussetzungen mit zutreffender Begründung als erfüllt an, da dem A auf Grund seiner einschlägigen Vorbestrafungen in ähnlichen Fällen auch zum Tatzeitpunkt bekannt gewesen sei, dass Opfer über das unmittelbare Bespritzen hinaus auch körperlich in Anspruch genommen würden. Deshalb konnte er nicht auf ein Ausbleiben des Taterfolges vertrauen. Nach der überzeugenden Ansicht des Gerichts hat sich A über die als möglich erkannten Tatfolgen hinweggesetzt. Da dem A der Eintritt der von ihm erkannten Tatfolgen im Endeffekt gleichgültig war, rechnet ihm das AG diese subjektiv mit Eventualvorsatz auch zu. Interessant an dieser subjektiven Zurechnung des Gerichts ist, dass es neben der sog. „Billigungstheorie“ der Rechtsprechung für seine Argumentation, unter Berufung auf BGH NJW 1960, 1821, 1822; BGHSt 40, 304, 306, die auch heute noch vertretene „Gleichgültigkeitstheorie“ (siehe dazu eingehend Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930, S. 186 ff.) heranzieht. Hieran erkennt man, dass sich die Rechtsprechung nicht unbedingt auf eine der Theorien, die sowohl ein kognitives (Wissen) und ein voluntatives (Wollen) Element zur Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit enthalten, konkret festlegt, sondern diese zur Begründung ihrer Entscheidungen in „gemischter Form“ heranzieht.

Einziger Kritikpunkt an der Entscheidung des AG Lübeck ist die Verneinung des Tatbestandes der Beleidigung gem. § 185 StGB. Das Bespritzen mit Sperma ist ganz offensichtlich eine degradierende Kundgabe der Nicht- und Missachtung der M als reines Lust- und Sexualobjekt, die den Geltungswert der M, d. h. ihre Geschlechtsehre völlig negiert (so auch Hecker, Jus 2012, 179, 181). Indes lässt das AG hier den Tatbestandsvorsatz hinsichtlich des Kundgabewillens entfallen, da A keinen Kundgabevorsatz gehabt habe, weil ihm nach seiner unwiderleglichen Einlassung, dass die Tat (zunächst) unbemerkt bleiben solle, ein Eventualvorsatz nicht nachzuweisen gewesen sei. Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden. A führte seine Tat in einer Schlange eines Supermarktes aus und konnte so sehr wohl erkennen und musste auch damit rechnen, dass die Möglichkeit bestand, dass seine Tat, wenn auch nicht unbedingt von M sondern von anderen Kunden im Kassenbereich entdeckt werden konnte. Dies nahm er auch billigend in Kauf bzw. ihm war dies im Endeffekt auch gleichgültig (ähnlich Hecker, Jus 2012, 179, 181).

Ergänzende Literatur: Hecker, Jus 2012, S. 179 ff.