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Offensichtlich unbegründet!

25 Mai

„In diesem Verfahren wurde das Rechtsmittel ohne weitere Begründung verworfen. Rechtskräftig ist somit die Entscheidung der Vorinstanz geworden, das Aktenzeichen der Vorinstanz können Sie der Pressemitteilung entnehmen.“

Diese Erklärung begegnet einem, wenn man auf der Internetseite des Bundesgerichtshofs nach dem letztinstanzlichen Urteil im Fall Magnus Gäfgen sucht. Dahinter verbirgt sich eine Verfahrenbeendigung nach § 349 Abs. 2 StPO, wonach das Gericht „auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden [kann], wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.“ Wenn man sich bislang noch nicht mit der Verwerfung als „offensichtlich unbegründet“, der sogenannten „ou-Verwerfung“, befasst hat, mag es einerseits verwundern, dass die Revision dieses heftig umstrittenen Falls tatsächlich „offensichtlich unbegründet“ gewesen sein soll und andererseits, dass ein solches Instrument, mit dem Revisionen ohne jegliche Begründung abgeschmettern werden können, überhaupt existiert. Weniger ungewöhnlich ercheint die ou-Verwerfung bei Gäfgen, wenn man sich die Statistik des BGH ansieht: 76 % der erledigten Revisionen werden mit einem „ou“ quittiert.

Zu diesem Thema ist in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS) − besuchenswert auch das Schwesterprojekt „Zeitschrift für das juristische Studium (ZJS)“ − ein lesenswerter Aufsatz von Henning Rosenau, Professor in Augsburg, erschienen. Darin geht er zunächst auf die Entstehungsgeschichte des § 349 Abs. 2 StPO ein, der ursprünglich geschaffen wurde, um diejenigen Revisionen schnell erledigen zu können, bei denen offensichtlich war, dass es dem Beschuldigten nur darum ging, die Rechtskraft hinauszuzögern und er deshalb kein berechtigtes Interesse an einer Entscheidung durch Urteil hatte. Deshalb konnten Revisionen, bei denen überhaupt kein Zweifel an der Unbegründetheit bestanden, als „ou“ verworfen werden. Selbst das kann man bereits kritisieren, aber hier war der Anwendungsbereich zumindest noch deutlich geringer als nach der heutigen Lesart. Denn heute genügt es nach der Rechtsprechung, „dass der Revisionssenat einhellig der Auffassung ist, dass die von der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen zweifelsfrei zu beantworten sind und auch die Durchführung einer Revisionshauptverhandlung keine neuen Erkenntnisse tatsächlicher oder rechtlicher Art erwarten lässt.“ Damit ist der Anwendungsbereich der ou-Verwerfung ganz erheblich ausgedehnt und kann sich auch negativ auf die Rechtsfortbildung auswirken: Wenn eine gefestigte oder ständige Rechtsprechung besteht, lassen sich Rechtsfragen in der Regel ohne weiteres beantworten, und zu einer Änderung der Rechtsprechung kann es nicht kommen, weil Revisionen, die sich hiergegen wenden, „ou“ sind. Aber neben diesen noch eher praktischen Fragen, stellt sich meines Erachtens die Frage, ob diese Vorgehen eines Rechtsstaats überhaupt würdig ist. Meine Antwort: Nein!

Henning Rosenau, Die offensichtliche Ungesetzlichkeit der „ou“-Verwerfung nach § 349 Abs. 2 StPO in der Spruchpraxis des BGH, ZIS 2012, 195-205

Professor Claus Kreß zur Neugründung des Institute for International Peace and Security Law

21 Mai
Nachdem Professor Claus Kreß auch auf Bitten vieler Studenten einen Ruf auf den prestigeträchtigen Direktorenposten eines neuen Max-Planck-Instituts in Luxemburg abgelehnt hat (s. den Brief an die Kölner Studenten vom 28.03), wurde am 26. April das Institute for International Peace and Security Law gegründet. Hierzu beantwortet Professor Kreß uns einige Fragen.

Claus Kreß

1. Wie wird sich die Neugründung des Instituts auf die Forschung zu diesem Gebiet auswirken?

Auch im 21. Jahrhundert bleibt es die zentrale Herausforderung des Völkerrechts, seinen Beitrag zur Sicherung des Weltfriedens zu leisten. In dem neuen Kölner Institut möchten wir die völkerrechtliche Forschung ganz auf dieses große Thema konzentrieren.

Dabei geht es zunächst einmal um die genaue Bestimmung des völkerrechtlichen Verbots der Anwendung militärischer Gewalt und dessen Grenzen. In Anknüpfung an die Tradition lässt sich dieser Teilbereich unseres Forschungsfeldes als Ius contra Bellum bezeichnen. In diesem Kontext wirft etwa der Militäreinsatz in Libyen im vergangenen Jahr eine ganze Reihe von zum Teil grundsätzlichen friedenssicherungsrechtlichen Fragen auf, die verbreitet im Zusammenhang mit dem Konzept der internationalen Schutzverantwortung bei schwersten Menschenrechtsverletzungen diskutiert werden. Auch die Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm, um nur einen weiteren aktuellen Konflikt zu nennen, fordert friedenssicherungsrechtliche Antworten.

Auch bei dem Völkerrecht der bewaffneten Konflikte (in Anknüpfung an die Tradition wird häufig noch vom Ius in Bello gesprochen) geht es neben dem humanitär motivierten Schutz der von den Feindseligkeiten betroffenen Menschen letztlich um Friedenssicherung. Denn eine ungezügelte Kriegführung belastet – wie bereits Immanuel Kant bemerkt hat – den nachfolgenden Friedensschluss typischerweise mit einer schweren Hypothek. Bei der Durchdringung der Rechtsfragen des Konfliktsvölkerrechts stößt man rasch auf zahlreiche ungelöste Grundlagenfragen, die auch in der Moralphilosophie intensiv diskutiert werden. Nehmen Sie etwa die nähere Bestimmung des Maßstabs der Verhältnismäßigkeit ziviler Begleitschäden bei militärischen Angriffen oder die Einordnung von Zivilisten, die militärische Ziele gegenüber dem Gegner abschirmen. Zahlreiche (nicht immer neue) Rechtsfragen sind mit der transnationalen bewaffneten Auseinandersetzung der USA mit der Terrororganisation bzw. dem Terrornetzwerk Al Quaida in das Blickfeld sowohl der Staatengemeinschaft als auch der Völkerrechtswissenschaft gerückt. Die Tötung Osama Bin Ladens verdeutlicht viele dieser Probleme, die verbreitet unter dem Stichwort der asymmetrischen Kriegführung diskutiert werden, wie unter einem Brennglas. Neue Technologien fordern das Ius in Bello immer wieder neu heraus, so gegenwärtig im Bereich der cyber warfare.

Während das Ius contra Bellum und das Ius in Bello die traditionellen Pfeiler unseres Forschungsfeldes markieren, wird seit kurzem unter dem Stichwort Ius post Bellum eine spannende Diskussion über die Frage geführt, ob sich im Zusammenhang mit Friedensschluss und „Konfliktnachsorge“ Prinzipien und Regeln ausmachen lassen, die sich zu einem eigenständigen dritten Pfeiler des Friedenssicherungsrechts zusammenfügen lassen. Zu dieser Frage wird mein Leidener Kollege Carsten Stahn demnächst eine internationale Fachtagung abhalten, auf der wir das neue Werk des amerikanischen Philosophen Larry MayAfter War Ends“ diskutieren werden.

Zu den Instrumenten, die typischerweise nach dem Ende eines bewaffneten Konflikts zum Einsatz kommen, gehört seit etwa zwanzig Jahren auch die Internationale Strafgerichtsbarkeit. Das neue Institut wird sich auch der weiteren normativen Vermessung dieser neuen völkerstrafrechtlichen Landschaft und der Erörterung der Frage annehmen, welchen Beitrag das in der Entwicklung begriffene Mehrebenensystem der Völkerstrafverfolgung zur Sicherung des Weltfriedens leisten kann.

Mit dem Institute for International Peace and Security Law soll die friedenssicherungsrechtliche Forschung durch zahlreiche Einzelstudien im gesamten soeben näher skizzierten Friedenssicherungsrecht vorangebracht werden. Wir wollen von diesem Institut aus aber auch mit den interessantesten Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland in größeren Forschungsprojekten zusammenarbeiten und dabei auch das interdisziplinäre Gespräch mit der Moralphilosophie, der Politikwissenschaft und der Wissenschaft von der Geschichte der internationalen Beziehungen suchen. Das Vorhaben meines Kollegen Carsten Stahn zum Ius post Bellum habe ich bereits erwähnt. Ein großes, von Köln und New York aus betriebenes, internationales Forschungsprojekt widmet sich etwa dem neuen Völkerstraftatbestand der Aggression, nachdem die Staaten hier im Jahre 2010 zu einem historisch zu nennenden Kompromiss gefunden haben.

Gerade an der Kölner Fakultät entspricht es schließlich einer guten Übung, bei der rechtswissenschaftlichen Forschung einen engen Kontakt zur Praxis zu wahren – mit reichem Gewinn für beide Seiten. Dementsprechend möchte ich im Rahmen des Instituts die engen Verbindungen zu zahlreichen Institutionen der nationalen und internationalen Praxis des Friedenssicherungsrechts weiter pflegen, die während meiner bisherigen Kölner Zeit und meiner vorherigen Tätigkeit im Bundesministerium der Justiz entstanden sind.

2. Ergeben sich hieraus auch Vorteile für die Studierenden an unserer Fakultät?

Die Vielfalt der völkerrechtlichen Lehrveranstaltungen an unserer Fakultät war dank der besonders großen Zahl der in Köln tätigen Völkerrechtlerinnen und Völkerrechtler bereits vor der Gründung des neuen Instituts sehr beeindruckend. Mit diesem soll das Angebot spezieller Vorlesungen und zum International Peace and Security Law verstetigt und durch Seminare vertieft werden. In der näheren Zukunft plane ich etwa ein Seminar zu den völkerrechtlichen Aspekten des Nahostkonflikts, gemeinsam mit Herrn Kollegen Haferkamp ein solches zur Piraterie in Geschichte und Gegenwart, und gemeinsam mit Herrn Kollegen Gercke ein solches zu cyber warfare. Darüber hinaus werden wir am neuen Institut eine friedenssicherungsrechtliche Spezialbibliothek aufbauen, die auch unseren Studenten zu Gute kommen soll und wird. Auch möchten wir in noch stärkerem Maß als bislang hochkarätige Gäste aus Praxis und Lehre des Friedenssicherungsrechts nach Köln einladen. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass die Kölner Studenten das Angebot solcher Gastvorträge als willkommene Ergänzung zu ihrem „Pflichtpensum“ sehr gern annehmen. Ganz bestimmt werden uns – nicht zuletzt im Gespräch mit unseren Studenten – weitere Ideen kommen. Wir legen ja gerade erst los. Mit der Gründung des neuen Instituts verbindet sich jedenfalls der Anspruch, denjenigen angehenden Juristen, die sich der Arbeit an einer Weltfriedensordnung mit Eifer und Idealismus zuwenden möchten, einen überzeugenden Grund zu geben, in Köln zu studieren.

3. Was macht für Sie die Faszination am Völkerrecht und insbesondere am Friedenssicherungsrecht aus?

Das Völkerrecht reizt mich seit jeher wegen seines „langen historischen Atems“ und seiner engen Verbindung mit der internationalen Politik. Im Völkerrecht denkt man im Übrigen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt über dieselben Rechtsfragen globaler Bedeutung nach. Natürlich bringt jeder Diskutant seine nationale Rechtskultur mit in diese weltweite Diskussion und darf sicher auch gelegentlich für deren Vorzüge werben. Aber eine Verständigung setzt die Bereitschaft voraus, den jeweiligen nationalen Horizont zu überwinden, sich in fremde Rechtskulturen hinein zu denken und hinein zu fühlen, um am Ende zu einem Gespräch in weltbürgerlicher Gesinnung zu finden. Ein solches Gespräch mit dem Ziel führen zu dürfen, einen ganz kleinen Beitrag dazu zu leisten, die Dinge auf der Welt ein ganz klein wenig zum Besseren zu wenden, empfinde ich als großes Glück. Seit dem ersten Tag meines Studiums wollte ich mich innerhalb des Völkerrechts vor allem dem Friedenssicherungsrecht zuwenden, weil die Fragen, die sich hier stellen, buchstäblich existentielle Bedeutung haben. Im Zuge meines Studiums trat dann bald eine Begeisterung für die Grundlagenfragen des Strafrechts hinzu, und mit der Zeit habe ich mit freudigem Staunen festgestellt, wie viel sich Strafrechts- und Völkerrechtswissenschaft in manchem Grundsätzlichen zu sagen haben, wenn sie es möchten. Ich möchte es.

Wie belästige ich andere sexuell und bleibe straffrei?

10 Mai

In Frankreich ist das seit letztem Freitag möglich, da Art. 222-33 frz. StGB (sexuelle Nötigung) vom Verfassungshof mit sofortiger Wirkung aufgehoben wurde (Entscheidung im Original). Die Richter störten sich am aktuellen Wortlaut des Art. 222-33, der seit 2002 gilt:

Wer eine andere Person belästigt, um sich sexuelle Gefälligkeiten zu verschaffen, wird mit einem Jahr Gefängnis und 15.000 € Geldstrafe bestraft.

a.F. bis 2002: Wer unter Mißbrauch seiner Aufsichtsstellung eine andere Person belästigt, indem er Befehle erteilt, Drohungen ausspricht, Zwang ausübt oder schwere Druckmittel anwendet, um sich sexuelle Gefälligkeiten zu verschaffen, wird mit einem Jahr Gefängnis und 15.000 € Geldstrafe bestraft.

Die historische Entwicklung der Vorschrift kann man zu Recht als unglücklich bezeichnen (vgl. Mistretta, Harcèlement, Rép. Pén. Dalloz, n° 11 ff.). Während in der alten Fassung des StGB von 1992 klare Tatbestandsmerkmale vorlagen, wurde der Tatbestand vom Gesetzgeber 2002 zu stark vereinfacht. Darum erklärten die Verfassungsrichter (in Frankreich auch als die neun „Weisen“ gennant) die Vorschrift für verfassungswidrig, da sie gegen das Gesetzlichkeitsprinzip und das daraus abgeleitete Bestimmtheitsgebot verstösst (Art. 34 Verf und Art. 8 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789).

Diese Argumentation ist überraschend, denn die französischen Gerichte legten die sexuelle Nötigung bisher sehr vorsichtig aus. Beispielhaft tdazu ist die Entscheidung des Kassationshofes von 2004, als die Richter ein Urteil mangels Nachweises einer sexuellen Belästigung aufhoben. Die Unterinstanz hatte hierbei einen Lehrer verurteilt, welcher einer Schülerin zunächst sagte, dass er sie liebe und sie zudem in seinem Büro mehrmals auf den Mund küsste. Der Kassationshof (Cass. crim., 10 novembre 2004, n° 03-87986, Bull. crim., n° 280) interpretierte diese Handlungen als zulässigen Ausdruck der Gefühle (expression légitime de sentiments amoureux).

Problematisch an der Entscheidung des Verfassungshofes (neben einer politischen Dimension) erscheint insbesondere die sofortige Aufhebung der Norm und damit die vermeintliche Schaffung der Straffreiheit für sexuelle Nötigungen bis zur Verabschiedung eines neuen Gesetztes. Jedoch bleibt die Verletzung anderer strafrechtlicher Tatbestände, wie z.B. die der (psychischen) Körperverletzung (dazu rechtsvergleichend Steinberg/Mathieu, Revue Internationale de Droit Comparé 2011, 131) möglich. Daneben kommen auch zivilrechtliche Schadenersatzansprüche in Frage (im Einzelnen dazu der (frz.) Kommentar von Olivier Bachelet).

Hakenkreuz = Nazi?

3 Apr

Der Kölner Stadtanzeiger (KStA) berichtet von einem Abendschüler, der in der Schule Hakenkreuze zur Schau trägt. An sich ein klarer Fall des § 86a StGB, des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen – wäre da nicht die Tatsache, dass der Betreffende Hinduist ist und das Hakenkreuz in dieser Religion als Glückssymbol gilt. Der Schuldirektorin ist das egal: „Für mich ist das eindeutig. Das Hakenkreuz ist ein verfassungsfeindliches Symbol. Das Tragen ist strafbar.“ So zitiert der KStA die Schulleiterin, über deren juristische Qualifikation nichts Näheres bekannt ist. Den Hinweis, dass das was man als eindeutig bezeichnet, häufig doch nicht so eindeutig ist, spare ich mir mal.

§ 86a schützt als abstraktes Gefährdungsdelikt den demokratischen Rechtsstaat und den politischen Frieden. Wenn eine Handlung aber von vornherein überhaupt nicht dazu geeignet ist, diese Rechtsgüter zu beeinträchtigen, dann kann sie meines Erachtens auch nicht dem Tatbestand unterfallen. Bedenkt man das Argument der Schulleiterin, dass das Tragen der Hakenkreuze den Schulfrieden beeinträchtige, könnte dies dem Schüler aber wohl tatsächlich untersagt werden, ist das Bundesverfassungsgericht doch bedauerlicherweise der Auffassung, dass das verfassungsrechtliche geschützte Gut des „Schulfriedens“ (wo steht das eigentlich?) die Religionsausübungsfreiheit einschränken kann…

Edit: Jetzt auch bei lto.de.

§ 227 StGB – Körperverletzung mit Todesfolge (IUREO)

31 Mär

Diesmal geht es um die Problemfelder des § 227 StGB und die Entwicklung der BGH-Rechtsprechung.

Wir sind wie immer auf Eure Reaktionen gespannt. Hier, auf Facebook oder bei iureo.de!

Die vorherigen Folgen des Podcasts finden sich hier.

Das Ende der Straflosigkeit (Gastbeitrag Dr. Lars Berster)

20 Mär

„The End of Impunity“ – Das Ende der Straflosigkeit. Unter diesen monolithischen Titel stellte David Scheffer seinen Vortrag zur Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen, mit dem er am 16. März im Neuen Senatssaal der Universität zu Köln zahlreiche Besucher in seinen Bann schlug. Die Veranstaltung erfolgte auf Einladung des Fördervereins des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht unserer Universität im Zusammenwirken mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sowie der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. Prof. Claus Kreß, Direktor des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht, moderierte.

David Scheffer

David Scheffer

David Scheffer, Professor am Center for International Human Rights der Northwestern University Law School (Illinois), kann wie kaum ein zweiter Wissenschaftler für sich in Anspruch nehmen, auch die Praxis der jüngeren Entwicklung des Völkerstrafrechts mitbegleitet und mitgeprägt zu haben. Als langjähriger Mitarbeiter der US-Außenministerin Albright war er in den 90er Jahren maßgeblich an der Einrichtung der Internationalen ad-hoc-Tribunale zur Aburteilung der Völkerrechtsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda beteiligt, führte als Sonderbotschafter 1998 die US-amerikanische Delegation bei den Gründungsverhandlungen des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) und dient zur Zeit dem UN-Generalsekretär als Sonderberater zum Rote-Khmer-Tribunal in Kambodscha. Aus dem Füllhorn dieses Erfahrungsschatzes schöpfend begeisterte Scheffer mit einem Potpourri aus feinsinniger politischer Analyse, juristischem Scharfblick und Anekdoten aus dem Zirkel der Mächtigen. Trotz diplomatischer Gewandtheit in der Form geizte Scheffer dabei auch mit Blick auf die Haltung der USA nicht mit Kritik. Deutlich zeigte er den Widerspruch einer Politik auf, die die internationale Strafgerichtsbarkeit nur fördert, solange sie selbst und die eigenen Staatsangehörigen sich nicht an ihr messen müssen. Die im gegenwärtigen Kampf um die Präsidentschaft vielbeschworene Idee des „American exceptionalism“ brandmarkte er in diesem Zusammenhang als kontraproduktiv und letztlich sicherheitsgefährdend. Einen Schwerpunkt seines Vortrags bildeten die immensen rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten auf dem Weg zu den ad-hoc-Tribunalen für Ex-Jugoslawien und Ruanda. Hier gewährte Scheffer Einblicke in das Ringen um die Art und Weise ihrer Errichtung, ihrer Rechtsgrundlagen und die Rekrutierung einer geeigneten Richterschaft. Ferner betonte Scheffer den steigenden Einfluss der letzten beiden Jahrzehnte völkerstrafrechtlicher Praxis auf die praktische Politik, und unterstrich ihn durch einen Vergleich des haitianischen Ex-Diktators Cédras mit dem syrischen Präsidenten Assad: Während Cédras seit seinem Sturz durch US-Militär im Jahre 1994 ein komfortables Leben in Panama City führe, dürfe die strafrechtliche Verfolgung Assads einen festen Bestandteil der US-amerikanischen Syrienpolitik bilden.

Ausgiebig nahm Scheffer Bezug auf sein kürzlich erschienenes Buch „All the Missing Souls – A Personal History of the War Crimes Tribunals“, was der Lebendigkeit und Eindrücklichkeit des Vortrages keinesfalls abträglich war. Im Gegenteil bereicherte Scheffer sein Publikum durch sehr persönliche Einblicke in die Schwierigkeit, Erfahrungen eines leidenschaftlichen Lebensabschnitts einer Öffentlichkeit näherzubringen, ohne in Selbstbetrachtung, Apologien oder Verteidigung gegen den politischen Gegner zu verfallen.

Nach zwei Stunden Vortrag mit Diskussion und anschließendem Ausklang verabschiedete sich David Scheffer nach einer in jeder Hinsicht gelungenen Veranstaltung. Er hinterließ den Eindruck eines Mannes, der in Zeiten diplomatischer Verwendung das klare Wort nicht verlernt hat.

Dr. Lars Berster, Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht

Prof. Claus Kreß im Nachtmagazin (ARD) zur ersten IStGH-Entscheidung

15 Mär

Nachtmagazin (ARD) vom 15.03.2012

Zum Urteil siehe auch Fabians Beitrag vom 14.03.

Erstes Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs verkündet

14 Mär

Knapp 10 Jahre nach Inkrafttreten des IStGH-Statuts hat der Internationale Strafgerichtshof heute sein erstes Urteil verkündet und Thomas Lubanga für schuldig befunden, in den Jahren 2002 und 2003 Kinder unter 15 Jahren als Soldaten für seine Forces patriotiques pour la libération du Congo rekrutiert und in Kämpfen eingesetzt zu haben. Das Strafmaß wird das Gericht zu einem späteren Zeitpunkt verkünden.

Nach seinem Statut ist der IStGH für die Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, frühestens 2017 auch für die Verfolgung des Verbrechens des Angriffskriegs zuständig. Anders als nach den Statuten der Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und Ruanda (ICTR), die eine vorrangige Zuständigkeit vorsehen, belässt das IStGH-Statut die grundsätzliche Zuständigkeit für die Verfolgung der Völkerrechtsverbrechen bei den hiervon am nächsten betroffenen Staaten. Nur wenn diese hierzu nicht willens oder in der Lage sind, ist die Zuständigkeit des IStGH begründet. Die Zuständigkeit des IStGH ergab sich, weil die Demokratische Republik Kongo, deren Behörden Lubanga festgenommen hatten, das Verfahren nicht selbst durchfahren wollten, und den IStGH um die Untersuchung der Kriegsgeschehnissen ersucht hatten.

AG Lübeck: Urt. v. 08.06.2011 – 746 Js 13196/11 – Bespritzen mit Sperma als Körperverletzung gem. § 223 StGB (BeckRS 2011, 19102)

29 Feb

Sachverhalt nach BeckRS 2011, 19102 (verkürzt)

Der A begab sich zu einem Supermarkt. Er führte ein Fläschchen gefüllt mit eigenem Sperma in der Absicht bei sich eine beliebige Frau bei geeigneter Gelegenheit mit dem Sperma zu bespritzen. Im Supermarkt angekommen, stellte er sich dort mit einigen Artikeln in eine Schlange im Kassenbereich. Vor ihm stand die M, der er das mit Sperma gefüllte Fläschchen auf die Kleidung spritzte. A kam es auf eine gedankliche Erregung während der Tat an, die aber ausblieb. M bemerkte dies, empfand starken Ekel und fühlte sich in ihrer Ehre herabgesetzt. Sie leidet seit ihrer Jugendzeit unter psychischen Problemen. Im Alter von 15 Jahren wurde sie zudem Opfer einer Vergewaltigung. M litt in der Folge unter erheblichen psychischen Belastungen und etwa eine Woche nach der Tat zudem unter massiven Schlafstörungen, die sich gegenüber den Schlafstörungen, die sie sonst zuweilen hat, verschlimmerten. Die Tat des A ließ die Erinnerung an die an ihr begangene Sexualstraftat wieder in ihr Bewusstsein treten. M leidet ferner an Multipler Sklerose, was sich beim Auftreten von Stress in Muskelkrämpfen äußert. Durch die durch die Tat des A ausgelösten Belastungen erlitt M wiederholt Krampfanfälle, was zu Schmerzen in Armen und Beinen führte. Der A nahm mögliche Folgeschäden der M über das unmittelbare Bespritzen mit Sperma hinaus, insbesondere Beeinträchtigungen des seelischen Wohlbefindens in Kauf. Es kam ihm zwar auf derartige Folgen nicht an, er fand sich aber mit ihnen ab. Mögliche Folgen für sein Opfer M waren ihm im Zeitpunkt der Tatbegehung egal, da er die M als Lust-/Sexualobjekt ansah, an dem er seine eigenen Fantasie freien Lauf lassen konnte. Davon, dass M oder andere anwesende Personen etwas bemerkten ging der A nicht aus. Er wollte vielmehr, dass die Tat selbst unbeobachtet bleibt.

Das AG hat den bereits einschlägig vorbestraften A wegen vorsätzlicher Körperverletzung gem. § 223 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt.

Anmerkung

Mag dieser Fall auch widerwärtig und gerade für das Opfer äußerst erniedrigend sein, soll dennoch hier auf ihn eingegangen werden, da er zum einen verdeutlicht, wann eine psychische Beeinträchtigung in eine Körperverletzung umschlägt und zum anderen wesentliche Probleme aus dem AT hinsichtlich der objektiven und subjektiven Zurechnung behandelt. Das AG subsumiert den oben dargestellten Sachverhalt geradezu in fast mustergültig schulmäßiger Form, weshalb die Lektüre der Entscheidungsgründe dringend zu empfehlen ist.

Das Gericht beginnt seine Prüfung mit den einschlägigen Definitionen zur körperlichen Misshandlung und zur Gesundheitsbeschädigung, lässt indes ausdrücklich offen unter welche Alternative es letztendlich subsumiert. Es stellt zunächst, basierend auf der hM., klar, dass allein der Ekel den M empfunden hat noch nicht unter die beiden Alternativen fällt und somit keine Körperverletzung darstellt, da der Ekel als solcher keine körperlichen Auswirkungen hat, weil eine Einwirkung, die lediglich das seelische Wohlbefinden beeinträchtigt, wie z.B. die Auslösung von Panik- und Angstgefühlen, den objektiven Tatbestand der Körperverletzung grundsätzlich nicht erfüllen. Ein Umschlagen in eine Körperverletzung setzt nach der Ansicht des Gerichts dann ein, wenn infolge von Abscheu und Ekel körperliche Wirkungen hinzutreten, wobei auch solche psychischen Beeinträchtigungen ausreichen, die den Körper im weitesten Sinne in einen pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand von nervlicher Art, versetzen, weshalb auch somatische Tatfolgen wie Schlaflosigkeit und Angstzustände zumindest dann als tatbestandliche Körperverletzung anzusehen sind, wenn sie nicht nur unerheblichen Ausmaßes sind. Konsequent bejaht das Gericht daher, das die Tat des A hier einen somatisch objektivierbaren Zustand hervorgerufen hat, weil die M nach der Tat eine Woche unter verschlimmerten Schlafstörungen litt und die Krampfanfälle, die zwar in der Vorerkrankung (MS) angelegt sind durch den durch die Tat ausgelösten Stress erneut aufgetreten sind. Nach der Ansicht des Gerichts sind diese somatischen körperlichen Auswirkungen sowohl subjektiv aus der Sicht der M als auch aus der objektiven Sicht eines Dritten als erheblich einzustufen.

Das Gericht rechnet mit überzeugender Begründung die Tatfolgen dem A auch objektiv zu. Es verneint insgesamt einen atypischen Kausalverlauf, da außergewöhnliche Tatfolgen, die A nicht hätte erkennen und mit diesen nicht hätte rechnen können nicht gegeben sind. Als Hauptargument führt das Gericht unter wörtlicher Zitierung einer Entscheidung des OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe NJW 2003, 1263, 1264) aus, dass dem A auch die Kenntnis zuzuschreiben ist, „dass sich Geschädigte in ihren psychischen Reaktionen auf an ihnen verübten Straftaten voneinander unterscheiden und eine besondere Anfälligkeit gerade von weiblichen Geschädigten dann besteht, wenn sie bereits früher – was nicht selten ist – Opfer einer Gewalttat geworden sind“. Das AG beendet nach weiteren Ausführungen zur Vorhersehbarkeit der konkreten Tatfolgen bei M die objektive Zurechnung mit dem treffenden Satz: „Der Angeklagte konnte schlichtweg nicht darauf vertrauen, nicht auf ein vorgeschädigtes Opfer treffen zu können, sondern musste jederzeit damit rechnen“.

Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes definiert das AG Lübeck diesen dann vorbildlich wie folgt: „Bedingter Vorsatz ist dann gegeben, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Körperverletzungserfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihr abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch unerwünscht sein. Ausreichend ist dabei, dass dem Täter der als möglich erkannte Erfolg gleichgültig ist.“ Das AG sieht diese Voraussetzungen mit zutreffender Begründung als erfüllt an, da dem A auf Grund seiner einschlägigen Vorbestrafungen in ähnlichen Fällen auch zum Tatzeitpunkt bekannt gewesen sei, dass Opfer über das unmittelbare Bespritzen hinaus auch körperlich in Anspruch genommen würden. Deshalb konnte er nicht auf ein Ausbleiben des Taterfolges vertrauen. Nach der überzeugenden Ansicht des Gerichts hat sich A über die als möglich erkannten Tatfolgen hinweggesetzt. Da dem A der Eintritt der von ihm erkannten Tatfolgen im Endeffekt gleichgültig war, rechnet ihm das AG diese subjektiv mit Eventualvorsatz auch zu. Interessant an dieser subjektiven Zurechnung des Gerichts ist, dass es neben der sog. „Billigungstheorie“ der Rechtsprechung für seine Argumentation, unter Berufung auf BGH NJW 1960, 1821, 1822; BGHSt 40, 304, 306, die auch heute noch vertretene „Gleichgültigkeitstheorie“ (siehe dazu eingehend Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930, S. 186 ff.) heranzieht. Hieran erkennt man, dass sich die Rechtsprechung nicht unbedingt auf eine der Theorien, die sowohl ein kognitives (Wissen) und ein voluntatives (Wollen) Element zur Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit enthalten, konkret festlegt, sondern diese zur Begründung ihrer Entscheidungen in „gemischter Form“ heranzieht.

Einziger Kritikpunkt an der Entscheidung des AG Lübeck ist die Verneinung des Tatbestandes der Beleidigung gem. § 185 StGB. Das Bespritzen mit Sperma ist ganz offensichtlich eine degradierende Kundgabe der Nicht- und Missachtung der M als reines Lust- und Sexualobjekt, die den Geltungswert der M, d. h. ihre Geschlechtsehre völlig negiert (so auch Hecker, Jus 2012, 179, 181). Indes lässt das AG hier den Tatbestandsvorsatz hinsichtlich des Kundgabewillens entfallen, da A keinen Kundgabevorsatz gehabt habe, weil ihm nach seiner unwiderleglichen Einlassung, dass die Tat (zunächst) unbemerkt bleiben solle, ein Eventualvorsatz nicht nachzuweisen gewesen sei. Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden. A führte seine Tat in einer Schlange eines Supermarktes aus und konnte so sehr wohl erkennen und musste auch damit rechnen, dass die Möglichkeit bestand, dass seine Tat, wenn auch nicht unbedingt von M sondern von anderen Kunden im Kassenbereich entdeckt werden konnte. Dies nahm er auch billigend in Kauf bzw. ihm war dies im Endeffekt auch gleichgültig (ähnlich Hecker, Jus 2012, 179, 181).

Ergänzende Literatur: Hecker, Jus 2012, S. 179 ff.

„bewusstes Ausnutzen“ im Rahmen der Heimtücke, § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB – BGH 5 StR 65/11

9 Feb

Ein aktueller Beschluss des BGH (v. 4.5.2011 – 5 StR 65/11; abgedr. in NStZ 2011, 634f., vgl. dazu auch HRRS 2011 Nr. 621) zeigt die Notwendigkeit der konsequenten Berücksichtigung der Definition zur Heimtücke bei der Betrachtung des Tatgeschehens.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt (vereinfacht) zugrunde:
Vorgeschichte: Die 15 Jahre jüngere Ehefrau (E) des Angeklagten fühlte sich in ihrer Ehe unglücklich und versuchte seither, sich aus dieser zu lösen. Sie ging mit dem späteren Tatopfer O eine Beziehung ein. Als sie zu ihrem neuen Freund zog, reagierte der Angeklagte darauf sehr gekränkt. Zwei Tage nach ihrem Umzug kam es zu einer heftigen körperlichen Auseinandersetzung zwischen E und dem Angeklagten, die aber von der Polizei aufgelöst werden konnte.

Tatgeschehen: Der Angeklagte entwickelte zunehmend die Vorstellung, dass O es tatsächlich gar nicht auf seine Ehefrau, sondern – zumindest auch – auf seine minderjährige Tochter „abgesehen“ hätte. Da die Sorgerechtssituation ungeklärt war und der Angeklagte seine Befürchtung mit E im Beisein von O ausdiskutieren wollte, vereinbarte er telefonisch ein Treffen. Der Angeklagte begab sich mit Kuchen zur Wohnung der E. Dabei führte er auch ein aus seiner Wohnung stammendes einseitig geschliffenes Messer mit einer Gesamtlänge von ca. 33 cm, einer Klingenlänge von ca. 20 cm und einer maximalen Klingenbreite von 3 cm unter seiner Kleidung verborgen mit sich. Ob er bereits zu diesem Zeitpunkt den Entschluss gefasst hatte, den O mit dem Messer zu töten oder auch nur zu verletzen, ist nicht sicher festzustellen. Im Wohnzimmer der Ehefrau kam es zu einer Auseinandersetzung in teils angespannter Atmosphäre. Als sich die Stimmung erneut zu verschlechtern begann, brachte die E ihren Sohn unter einem Vorwand aus dem Zimmer. Kurz nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, vernahm sie „komische Geräusche“ und Schreie von O aus dem Wohnzimmer. Sie begab sich unverzüglich zurück ins Wohnzimmer, wo sie den Angeklagten mit einem Messer auf der Couch stehend erblickte, während O versuchte, sich mit den Füßen gegen den Angeklagten zu wehren, und sich dabei den Bauch hielt. Der Angeklagte hatte O mit dem mitgebrachten Messer eine mindestens 25 cm tief in den Oberkörper eindringende kombinierte Schnitt-Stich-Verletzung zugefügt, in deren Folge es zu massiven inneren Verletzungen (auch der Schlagader) kam. Aufgrund der schweren Verletzungen verstarb O am folgenden Morgen im Krankenhaus.

Vorinstanz: Die Vorinstanz (LG Kiel) verurteilte den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Sein Revision hatte mit der Sachrüge erfolg. Sie betrifft die fehlerhafte Anwendung des Heimtückemerkmals, dessen Vorliegen die Feststellungen des Urteils zur Tatsituation nicht tragen.

Die Entscheidung des BGH: Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen, noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Wehrlos ist das Opfer, wenn es sich bedingt durch seine Arglosigkeit des Angriffs nicht zu erwehren vermag.

Auf subjektiver Seite muss der Täter über den Vorsatz hinaus zumindest die Arglosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzen (ob darüber hinaus ein Handeln in „feindlicher Willensrichtung“ erforderlich ist – so die Rechtsprechung – ist streitig).
Die hiesige Entscheidung des BGH zeigt, dass dem Bewusstseinsmerkmal durchaus eigenständige Bedeutung zukommt, die sich keinesfalls im bloßen Eventualvorsatz erschöpft.

Für das Ausnutzungsbewusstsein sei erforderlich, dass der Täter die Umstände, welche die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.
Im Tatgeschehen sei eine solche innere Einstellung des T jedenfalls nicht erkennbar gewesen.

Fazit: Zu subsumieren gilt im Rahmen der Heimtückeprüfung die Sponaneität des Tatentschlusses sowie die Vorgeschichte zum Tatgeschehen. Auch der psychische Ausnahmezustand kann – auch unter der Schwelle des § 21 StGB – dem Bewusstsein des Ausnutzens grundsätzlich entgegenstehen.
Zwar hindere nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Arg und Wehrlosigkeit des Opfers daran, die Bedeutung der Situation für das Opfer zu erkennen, es handele sich vielmehr um eine Tatfrage.

Dem Klausurbearbeiter verdeutlicht diese Feststellung allerdings einmal mehr, wie wichtig eine genaue Auswertung des Sachverhalts – und die darauf basierende Subsumtion – für den Lösungsweg ist.