Archive by Author

Auch mutmaßliche Völkerrechtsverbrecher brauchen einen Anwalt

30 Dez

Human Rights Watch kritisiert laut Spiegel Online die Haftbedingungen von Saif al-Islam al-Gaddafi. So habe er seit seiner Festnahme am 19. Oktober 2011 keine Gelegenheit gehabt, mit einem Anwalt zu sprechen und befinde sich ebenfalls seit diesem Zeitpunkt in Isolationshaft, deren Anwendung von Menschenrechtsorganisationen generell scharf kritisiert wird.

Aber ist das so schlimm? Immerhin werden Saif al-Islam al-Gaddafi selbst schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die klare Antwort: Ja, es ist schlimm und sollte die internationale Gemeinschaft aufhorchen lassen. Denn gerade bei der Verfolgung schwerster Verbrechen muss sich ein Rechtsstaat und muss sich − im Fall von Völkerrechtsverbrechen − die internationale Justiz bewähren. Deshalb muss um der Gerechtigkeit willen gerade bei der Verfolgung schwerster Menschenrechtsverbrechen darauf geachtet werden, dass sie in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren erfolgt, und dazu gehört auch und gerade das fundamentale Recht eines jeden Beschuldigten, Zugang zu einem Anwalt zu bekommen. Dieses Recht ist unter anderem in Art. 14 des Internationalen Pakts für bürgerliche und politische Rechte, den Libyen 1970 ratifiziert hat, und in Art. 16 der Menschenrechtscharta der Arabischen Liga enthalten.

Nachdem auch der irakische Prozess gegen Saddam Hussein nach dessen Sturz insgesamt nicht fair abgelaufen ist, steht für dieses Verfahren nach der Meldung ähnliches zu befürchten. Dies sollte für die internationale Gemeinschaft Anlass sein, gegenüber der libyschen Übergangsregierung den Druck zu erhöhen, ein faires Verfahren durchzuführen oder Gaddafi, sofern dis nicht möglich ist, dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu überstellen.

Weihnachtsgeschichte mal anders: Hinweis auf das Blog von Jürgen Osbahr

22 Dez

Eine amüsante Variante der Weihnachtsgeschichte erzählt Jürgen Osbahr in seinem Blog Strafrecht Itzehoe. Dass der Fall nicht in Deutschland spielt und soweit ersichtlich auch kein deutsches Strafrecht anwendbar ist, erklärt, dass die Mutter „mit einer Anklage wegen Fahrlässigkeit rechnen“ muss. In jedem Fall lesenswert!

Wahlfälschungen, Versammlungsfreiheit und der Tag der Menschenrechte

10 Dez

Heute werden sich in Moskau viele Menschen (allein 40.000 haben im Internet bislang ihre Teilnahme angekündigt) in Sichtweite des Kremls versammeln, um gegen die Wahlmanipulationen, die es offiziell nicht gegeben hat, zu demonstrieren. Wahrscheinlich wird die Hoffnung, dass diese Menschen ihr Recht auf Versammlungsfreiheit, das ihnen nach Art. 20 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention zusteht, ohne Einschränkungen wahrnehmen können, sich als unbegründet erweisen. Ach ja: Einen fröhlichen Tag der Menschenrechte!

Entweder für Amnesty (allgemein) oder die Juristische Arbeitsgruppe Amnesty Köln.

Mumia Abu-Jamal und das Bundesverfassungsgericht

8 Dez

Der wegen Mordes an einem Polizisten vor 30 Jahren zum Tode verurteilte US-Amerikaner und von seinen Unterstützern als politischer Häftling angesehene Mumia Abu-Jamal wird, nachdem der zuständige Staatsanwalt erklärt hat, nicht mehr auf der Todesstrafe zu bestehen, nun nicht mehr hingerichtet werden, sondern eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung („life without parole“) verbüßen.

Neben der Todesstrafe wäre in Deutschland auch eine solche Freiheitsstrafe ohne jede Möglichkeit jemals wieder in Freiheit zu gelangen verfassungswidrig. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 1977 (BVerfGE 45, 187) entschieden. Danach gehört „zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs […], daß dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Denn “ein menschenwürdiger Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe [ist] nur dann sichergestellt ist, wenn der Verurteilte eine konkrete und grundsätzlich auch realisierbare Chance hat, zu einem späteren Zeitpunkt die Freiheit wiedergewinnen zu können; […] der Kern der Menschenwürde wird getroffen, wenn der Verurteilte ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit jegliche Hoffnung, seine Freiheit wiederzuerlangen, aufgeben muß.“ Aus dem Rechtsstaatsprinzip folge, dass allein die Möglichkeit einer Begnadigung nicht genügt, um der lebenslangen Freiheitsstrafe den Verstoß gegen die Menschenwürde zu nehmen. Denn die Entscheidung für oder gegen eine Begnadigung erfolgt nach freiem Ermessen und ist nicht justiziabel. Vielmehr müssten die Voraussetzungen für eine mögliche Freilassung gesetzlich geregelt werden. Dieser Verpflichtung ist der Gesetzgeber mit § 57a StGB nachgekommen, der eine Aussetzung des Strafrests vorsieht, wenn der Verurteilte mindestens 15 Jahre verbüßt hat, keine besondere Schwere der Schuld vorliegt, von dem Verurteilten keine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht und er der Freilassung zustimmt (ob letzterer Punkt jemals problematisch ist?).

In Anbetracht der Tatsache, dass Abu-Jamal kein „normaler Häftling“ ist, sondern zur Galionsfigur des Kampfes gegen die Todesstrafe und Rassendiskriminierung avanciert ist, sei noch auf einen Artikel von Spiegel Online hingewiesen, der sich mit dem Phänomen befasst, dass Weiße in den Vereinigten Staaten viermal häufiger begnadigt werden als Menschen anderer Hautfarbe.

Intellektuelles Abdriften

6 Dez

Über „Sieben Dinge, die jeder Student erlebt haben muss“ schreibt Mischa Täubner im F.A.Z.-Hochschulanzeiger, darunter das „intellektuelle Abdriften“:

„Es gehört zu den größten Glücksgefühlen im Studium: festzustellen, dass man auf einem Gebiet so gut Bescheid weiß, dass man mit dem Prof auf Augenhöhe diskutieren kann. Wie das gelingt? Indem man nicht immer nur das tut, was die Studienordnung verlangt, sondern sich von echtem Interesse leiten lässt und Antworten auf eine der großen Fragen sucht, die sich einem aufdrängen. […] Möglicherweise verwahrlost man ein wenig, weil man mit dem Lesen nicht aufhören kann. Erkenntnisse wirken nämlich wie eine Droge.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Der Stolz der Griechen: Makedonien vs. Mazedonien

5 Dez

Der Internationale Gerichtshof hat heute über den kurios anmutende Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien entschieden, über den Michael Martens in der FAZ (Ausgabe vom 5.10.2011, Seite 10) schreibt. Griechenland wirft Mazedonien Irredentismus in Bezug auf die griechische Region Makedonien mit deren Hauptstadt Thessaloniki vor, dass Mazedonien sich diese Region also einverleiben wolle. Dies hat zu  skurrilen Auswüchsen geführt.

So durfte Mazedonien den Vereinten Nationen nicht als „Mazedonien“, sondern laut der Sicherheitsresolution 817 nur als „Former Yugoslav Republic of Macedonia“ („Fyrom“) beitreten und belegte Griechenland Mazedonien 1994 mit einem 18 Monate dauernden Handelsembargo, das Mazedonien empfindlich traf und das nur mit Hilfe eines unter internationalen Vermittlungen zustande gekommenen Abkommens beigelegt werden konnte. Unter dem Namen „Fyrom“ durfte Mazedonien der OSZE, dem Europarat, dem Programm „Partnerschaft für Frieden“ und anderen Organisationen beitreten. Gegen den – von den übrigen Mitgliedsstaaten begrüßten! – Beitritt zur Nato opponiert Griechenland jedoch – wie auch gegen einen EU-Beitritt – bis heute. In dieser Blockade NATO sah Mazedonien einen Verstoß gegen das genannte Abkommen.

Heute nun hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag entschieden, dass der Widerspruch gegen den NATO-Beitritt Mazedoniens einen Verstoß gegen das Abkommen von 1994 darstellt, das Griechenland – verkürzt – verpflichtet, Mazedonien keine Steine in den Weg zu legen, sofern es Internationalen Organisationen nicht als Mazedonien, sondern als Fyrom beitritt. Griechenland muss diese Haltung also aufgeben und man darf wohl davon ausgehen, dass einem NATO-Beitritt Mazedoniens nichts mehr im Wege steht und Griechenland sich nun anderen Themen zuwenden kann.

Radbruch’sche Formel im Straßenverkehr?

3 Dez

Gerade am Kölner Neumarkt gesehen:

20111203-164234.jpg

Und dank Express wissen wir jetzt, was in so einer Situation zu tun ist: „Man darf über Rot fahren oder laufen, wenn nach einer «angemessenen Wartezeit» von einem Defekt der Ampel ausgegangen werden muss und man sich vorsichtig an den Kreuzungsbereich herantastet“, wird eine Polizeisprecherin zitiert.

Zwei Pullover = Zwei Monate U-Haft?

1 Dez

Gestern habe ich mit einigen Teilnehmern meiner Arbeitsgemeinschaften eine Gerichtsverhandlung beim AG Köln besucht − genau wie den Besuch einer JVA halte ich so etwas für äußerst sinnvoll, denn hier sieht man mal wie ein Strafverfahren, das man ja nur mittelbar kennt, eigentlich in der Realität abläuft. Praktiker lesen ab hier am besten nicht weiter, weil ich mir vorstellen kann, dass das was ich hier gern problematisieren möchte „Alltagsgeschäft“, also nichts Besonderes ist − trotzdem:

Der Angeklagte hatte Mitte September 2011 zwei Pullover bei H&M (Gesamtwert: 79,80 €) gestohlen. Angeklagt war die Tat als räuberischer Diebstahl, weil der Angeklagte, vom Ladendetektiv außerhalb des Geschäfts gestellt, sich so aus seinem Rucksack gewunden hatte, dass der Detektiv den Eindruck bekam, der Angeklagte wolle ihn schlagen, um im Besitz der Beute zu bleiben. Nach der Zeugenvernehmung blieb vom räuberischen Diebstahl nur noch der Diebstahl übrig – allerdings ein besonders schwerer, weil der Angeklagte die Pullover in Alufolie gewickelt hatte, um so die Diebstahlsicherung zu überlisten (was auch funktionierte). Hierfür gab es 4 Monate Freiheitsstrafe mit Bewährung.

Nun mag man daran zweifeln, dass ein solches Sicherungsetikett um eine „Schutzvorrichtung gegen Wegnahme“ handelt, schließlich war die Wegnahme bereits mit Einpacken der Pullover in den Rucksack und der damit begründeten Gewahrsamsenklave vollendet, sodass das Etikett nicht die Wegnahme sondern die Beutesicherung erschweren sollten. Aber darum geht es mir gar nicht.

Ich frage mich aber, warum der Angeklagte wegen dieser Tat zweieinhalb Monate in Untersuchungshaft verbringen musste. Die Untersuchungshaft dient der Sicherung des Strafverfahrens, im konkreten Fall sollte sichergestellt werden, dass der Angeklagte nicht flüchtet. Klar: Der Angeklagte stammte aus Rumänien, was wohl zumindest abstrakt den Verdacht nahe legt, dass er sich dem Verfahren durch Flucht gen Heimat entziehen könnte (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Zumal es sich bei der ursprünglich angeklagten Tat um ein Verbrechen (§ 12 Abs. 2 StGB) handelte. Allerdings lagen die Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung mit Ausnahme des Alufolien-Tricks auch schon im Ermittlungsverfahren vor; man hätte also auch da schon auf die Idee kommen können, dass am Vorwurf des räuberischen Diebstahls nicht viel dran war. Und dann bleibt nicht mehr viel übrig: Nämlich der Diebstahl zweier Pullover im Wert von 79,80€! Bei Erlass des Haftbefehls muss das Interesse des Angeklagten, in Freiheit zu bleiben, gegen das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung des Strafverfahrens und die Gefahr, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entzieht abgewogen werden (§ 112 Abs. 1 StPO). Und hier, so meine ich, neigt sich die Waagschale doch sehr stark zugunsten des Angeklagten. Denn ob das Interesse an der Durchführung eines Verfahrens wegen einer solchen – ich glaube, man kann es so nennen – Lapalie es rechtfertigt, einen Beschuldigten zweieinhalb Monate in Untersuchungshaft versauern zu lassen, erscheint mir mehr als zweifelhaft…

Quo vadis „Quo Vadis?“?

22 Nov

„Quo vadis?“ Diese Frage stellen Juristen sich oder besser gesagt allem möglichen andauernd. Es handelt sich dabei − so glaube ich − um die meistverwendete Floskel in Aufsatztiteln, und eine Recherche bei Juris ergibt sage und schreibe 659 (in Worten: sechshundertneunundfünfzig!) Treffer. Beispiele?

– Public cloud – quo vadis?

– Quo vadis Testamentsvollstreckervergütung?

– Europa – Quo vadis?

– Quo vadis Mediation?

– Reserven nach § 340 f. HGB quo vadis?

– Quo vadis, Sevilla-Prozess?

– E-Bilanz – Buchführung quo vadis?

– Quo Vadis – Flugunfalluntersuchung?

– Mehrwertsteuer – quo vadis?

– Jugendarrestvollzug: Quo vadis?

– Abgrenzung Arzneimittel/Kosmetische Mittel – Quo vadis?

– Quo vadis Selbstverwaltung der Justiz?

– Grenzgänger in die Schweiz – quo vadis? (Vermutlich in die Schweiz, d.Verf.)

Veranstaltungshinweis: „Demokratie und Menschenrechte nach dem arabischen Frühling“, 18.11.2011, 19.30 Uhr, Uni Köln, Hörsaal II

18 Nov
Revolution – und dann?
 
Tunesien, Ägypten und jetzt auch Libyen: Nach dem Sturz der Diktatoren stellt sich die Frage, wie freiheitlich die zukünftigen Gesellschaftsordnungen in diesen Ländern sein werden. Die Juristische Arbeitsgruppe Amnesty International Köln veranstaltet deshalb am 18.11.2011 um 19:30 Uhr an der Universität zu Köln, Hörsaal II, einen Vortrag zum Thema „Demokratie und Menschenrechte nach dem arabischen Frühling“. Referent ist Dr. Roy Karadag, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Interkulturelle und Internationale Studien der Universität Bremen.
Dr. Roy Karadag wird zur Beantwortung der Frage zunächst darauf eingehen, wie es zu den damaligen Herrschaftsstrukturen kommen konnte und warum diese der Entwicklung von bürgerlichen Rechten entgegenstanden. Außerdem wird er den Anpassungsdruck beleuchten, dem diese Regimes bereits im letzten Jahrzehnt ausgesetzt waren, und Perspektiven für die Zukunft aufzeigen.