Ausnützung eines Irrtums über die Person des Beischläfers

14 Dez

Beischlaf in der Silvesternacht konnte früher strafbar sein, OLG Koblenz NJW 1966, 1524 – Adventskalender (14)

„Ab Sommer 1964 war der Angeklagte mit einem Fräulein Sch. befreundet. Durch seine Freundin, die mit der Ehefrau Scha. gut bekannt war, lernte er die Eheleute Scha. kennen, bei denen er drei- oder viermal zusammen mit Fräulein Sch. zu Besuch war. Da der Angeklagte den Verdacht auf intime Beziehungen zwischen dem Ehemann Scha. und Fräulein Sch. hatte, entzweite er sich schließlich mit seiner Freundin und traf sie an Sylvester 1964 nicht. Er ging vielmehr an Silvesterabend allein aus und sprach in einer Gaststätte erheblich dem Alkohol zu. Kurz vor 4 Uhr früh begab er sich zu der Wohnung Scha., weil er dort Fräulein Sch. vermutete. Von der Straße her stellte er fest, daß im Wohnzimmer der Familie Scha. Licht brannte. Er hörte eine Männer- und eine Frauenstimme und nahm an, daß es sich bei der letzteren um die von Fräulein Sch. handelte. In Wirklichkeit war in dem Zimmer ein Fräulein F. das mit den Eheleuten Scha. Silvester gefeiert hatte und nicht nach Hause konnte, weil es den Hausschlüssel vergessen hatte. Der Angeklagte begab sich nun auf die Rückseite des Hauses und stellte fest, daß in einem Zimmer der 1. Etage ebenfalls Licht brannte. Er kletterte über eine angebaute Laube an das Fenster dieses Zimmers und schaute hinein. Es handelte sich um das Schlafzimmer der Eheleute Scha. Der Angeklagte sah, daß in einem der Betten eine Frau mit dunklen Haaren schlief. Es handelte sich um Frau Scha., die kurz vor 4 Uhr, infolge der vorgerückten Nachtstunde und des im Laufe des Abends und der Nacht genossenen Alkohols müde geworden, schlafen gegangen und in der Annahme, ihr Ehemann werde bald nachkommen, das Nachttischlämpchen an seinem Bett brennen gelassen hatte. Der Angeklagte stellte fest, daß das Fenster nur angelehnt war, drückte es auf und stieg in das Schlafzimmer ein. Sodann löschte er die Nachttischlampe aus und schloß die Schlafzimmertür mit dem im Schloß steckenden Schlüssel von innen ab. Dann ging er zu dem Bett, in dem Frau Scha. schlief; diese wurde sofort wach. Vor ihrem Bett sah sie die Umrisse eines Mannes und nahm an, es sei ihr Ehemann. Sie schob die Bettdecke hoch und sagte: „Komm!” Nunmehr öffnete der Angeklagte seine Hose, nahm sein erregtes Glied heraus und legte sich auf Frau Scha., die ihm beim Einführen des Gliedes behilflich war. Nach der Beendigung des Geschlechtsverkehrs bemerkte Frau Scha., das es sich nicht um ihren Ehemann sondern um den Angeklagten handelte. Die beim Angeklagten später entnommene Blutprobe betrug, auf den Zeitpunkt der Tat bezogen, etwa 2 ‰.

Das LG hat weiter festgestellt, Frau Scha. habe sich über die Person ihres Partners im Irrtum befunden; sie habe angenommen, mit ihrem Ehemann geschlechtlich zu verkehren. Der Angeklagte habe diesen Irrtum der Frau Scha. auch klar erkannt gehabt. Das LG hat die Einlassung des Angeklagten, er sei nicht schon mit der Absicht in das Zimmer eingestiegen, mit der im Bett liegenden schlafenden Frau geschlechtlich zu verkehren, sondern habe erst auf die Aufforderung „komm” den Entschluß zum Geschlechtsverkehr gefaßt, als nicht widerlegt angesehen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung des sachlichen Rechts gerügt wird. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Revision macht geltend, die Bekundung der Zeugin Scha., daß sie der Meinung gewesen sei, mit ihrem Ehemann den Geschlechtsverkehr auszuüben, sei unrichtig. Das ergebe sich schon daraus, daß das rechte Bein ihres Ehemannes oberschenkelamputiert sei. Es komme hinzu, daß es unter den gegebenen Umständen den Erfahrungen des täglichen Lebens widerspreche, daß Ehegatten den Geschlechtsverkehr in bekleidetem Zustand ausübten. Selbst wenn man jedoch der Feststellung der StrK in dem fraglichen Punkt folge, sei auf keinen Fall die Einlassung des Angeklagten widerlegt, daß er der Auffassung gewesen sei, Frau Scha. habe in den Geschlechtsverkehr eingewilligt.

Diese Angriffe gehen fehl. Sie richten sich gegen die Beweiswürdigung des LG. Diese ist jedoch der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur in sehr beschränktem Umfange zugänglich, und zwar beschränkt sich die Nachprüfung durch das Revisionsgericht auf dar Vorliegen von Verstößen gegen die Denkgesetze oder die Grundsätze der allgemeinen Lebenserfahrung. Solche Verstöße sind indessen nicht ersichtlich. Die gezogenen Schlußfolgerungen sind durchaus möglich und keineswegs denkgesetzwidrig. Es liegen auch keine Verstöße gegen die Grundsätze der allgemeinen Lebenserfahrung vor. Einen allgemein gültigen Erfahrungssatz des vom Angeklagten behaupteten Inhalts gibt es nicht.

Die Revision macht weiterhin geltend, es sei nicht festgestellt, daß der Angeklagte die Frau Scha. zur Gestattung des Beischlafs „verleitet” habe. Er habe nämlich in keiner Weise auf den Willen der Frau eingewirkt, um sie zum Geschlechtsverkehr geneigt zu machen. Es fehle demnach die Feststellung eines zur Erfüllung des § 179 StGB erforderlichen Tatmerkmals.

Diese Rüge ist ebenfalls nicht begründet. Die getroffenen Feststellungen tragen vielmehr die Verurteilung nach § 179 StGB. Die genannte Vorschrift findet auch dann Anwendung, wenn der Täter den Irrtum einer Frau über die Person des mit ihr Verkehrenden, die sie etwa infolge Dunkelheit oder Blindheit als ihren Mann ansieht, ausnutzt (…). In diesem Falle besteht das „Verleiten“ zur Gestattung des Beischlafs in der Ausnützung des vom Täter erkannten Irrtums.“

Zur damaligen Vorschrift des § 179 StGB siehe den ursprünglichen Beitrag.

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Wenn der Richter schläft

13 Dez

Wer den Richter nicht weckt, hat die Revision nicht verdient, BVerwG NJW 2001, 2898 – Adventskalender (13)

Welche Konsequenzen es geben kann, wenn der Anwalt schläft, hat uns der BGH vor zwei Jahren in Türchen Nr. 5 erklärt. Bei einem Richter scheint die Rechtsprechung in der Bewertung großzügiger zu sein…

„Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung muss derjenige, der sich darauf beruft, das Gericht sei wegen eines in der mündlichen Verhandlung eingeschlafenen Richters nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, konkrete Tatsachen vortragen, welche eine Konzentration des Richters auf die wesentlichen Vorgänge in der Verhandlung ausschließen. Dabei sind der Zeitpunkt, die Dauer und die Einzelheiten des Verhaltens des Richters genau anzugeben. Weiterhin hat die Besetzungsrüge darzulegen, was während dieser Zeit in der mündlichen Verhandlung geschehen ist, welche für die Entscheidung wichtigen Vorgänge der Richter während seines „Einnickens” nicht habe erfassen können.

Die Darlegungen der Beschwerde genügen den vorgenannten Anforderungen nicht. Die Beklagtenvertreterin trägt insoweit vor: „Der ehrenamtliche Richter H. war unfähig der Verhandlung zu folgen, weil er über einen längeren Zeitraum ununterbrochen die Augen geschlossen hatte und – wie durch seine Körperhaltung, nämlich Senken des Kopfes auf die Brust und ruhiges tiefes Atmen sowie ‚Hochschrecken‘ – zum Ausdruck kam, offensichtlich geschlafen hat.” Zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags hat sie auf einen Vermerk des ihr zur Ausbildung zugewiesenen Rechtsreferendars Bezug genommen, der an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hatte und in seinem Vermerk anmerkt, „dass während nahezu der gesamten Verhandlung der ehrenamtliche Richter einnickte. Er schien der Verhandlung nicht zu folgen”.

Aus diesen mitgeteilten Beobachtungen, die weder hinsichtlich der Dauer des behaupteten Einnickens bestimmt sind noch sich inhaltlich decken und die vom Klägervertreter, der ebenfalls an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, nicht bestätigt werden, lässt sich aber, selbst wenn sie zuträfen, noch nicht sicher darauf schließen, dass der bezeichnete Richter tatsächlich über einen längeren Zeitraum geschlafen hat und der mündlichen Verhandlung nicht folgen konnte. Das Schließen der Augen über weite Strecken der Verhandlung und das Senken des Kopfes auf die Brust beweist allein nicht, dass der Richter schläft. Denn diese Haltung kann auch zur geistigen Entspannung oder zwecks besonderer Konzentration eingenommen werden. Deshalb kann erst dann davon ausgegangen werden, dass ein Richter schläft oder in anderer Weise „abwesend” ist, wenn andere sichere Anzeichen hinzukommen, wie beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder ruckartiges Aufrichten mit Anzeichen von fehlender Orientierung. Derartige Beweisanzeichen hat die Beschwerde nicht in ausreichendem Maße vorgetragen. Ruhiges tiefes Atmen kann ebenfalls ein Anzeichen geistiger Entspannung oder Konzentration sein, insbesondere dann, wenn es für andere nicht hörbar erfolgt, denn gerade dies kann darauf schließen lassen, dass der Richter den Atmungsvorgang bewusst kontrolliert und nicht schläft. Auch das „Hochschrecken” des Richters hat die Beschwerde nicht näher geschildert, vor allem nicht dargelegt, dass er nach dem „Hochschrecken” einen geistig desorientierten Eindruck gemacht habe. „Hochschrecken” allein kann auch darauf schließen lassen, dass es sich lediglich um einen die geistige Aufnahme des wesentlichen Inhalts der mündlichen Verhandlung nicht beeinträchtigenden Sekundenschlaf gehandelt hat.

Desweiteren lässt es die Beschwerde an jeglichen Darlegungen dazu fehlen, was konkret in der Phase, in der der ehrenamtliche Richter geschlafen haben soll, in der mündlichen Verhandlung geschehen ist. Wie aus dem Vermerk des Referendars ersichtlich, war die mündliche Verhandlung in mehrere Abschnitte gegliedert, nämlich Vortrag des Sach- und Streitstandes durch den Berichterstatter, Vergleichsgespräch des Vorsitzenden mit den Parteien und schließlich Verhandlung der Beteiligten zur Sache. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Sitzungsprotokoll, dass die von 12.48 Uhr bis 14.21 Uhr dauernde Verhandlung um 13.35 Uhr durch eine elfminütige Pause unterbrochen wurde, in der sich der Senat zu einer kurzen Zwischenberatung zurückzog. Auf welche dieser Abschnitte der mündlichen Verhandlung sich das behauptete Einnicken des ehrenamtlichen Richters bezogen haben soll, wird von der Beschwerde nicht dargelegt. Ihre Angabe, dies habe sich auf einen längeren Zeitraum bezogen, ist demnach bei weitem zu unbestimmt, um aus ihr ableiten zu können, der ehrenamtliche Richter sei bei wesentlichen Vorgängen in der mündlichen Verhandlung geistig abwesend gewesen.

Ganz offensichtlich hatte die Beklagtenvertreterin – wie sich daraus ergibt, dass sie das angebliche Schlafen des ehrenamtlichen Richters während der fast zweistündigen Verhandlung nicht zur Sprache gebracht oder beanstandet hat – auch selbst während der mündlichen Verhandlung nicht den sicheren Eindruck einer ins Gewicht fallenden geistigen Abwesenheit des ehrenamtlichen Richters. Denn es kann ihr nicht unterstellt werden, dass sie unter Verstoß gegen ihre dienstlichen Pflichten gegenüber ihrem Dienstherrn und unter Verletzung der gebotenen Verfahrensfairness einen solchen Eindruck, wenn sie sich ihrer Sache sicher gewesen wäre, nicht sogleich dem Vorsitzenden Richter mitgeteilt und um Abhilfe gebeten hätte, um sich mit diesem treu- und pflichtwidrigen Verhalten einen absoluten Revisionsgrund für den Fall des Unterliegens zu sichern.“

Es handelt sich dabei um die ständige Rechtsprechung des BVerwG zum potentiell schlafendem Richter: NVwZ-RR 2004, 325, NJW 2006, 2648, Beschl. v. 19.7.2007, 5 B 84/06.

Zuletzt hatte der BFH mit ähnlichem Fall zu tun (Beschl. v. 16.6.2009, X B 202/08):

„Der Kläger rügt, das FG sei nicht vorschriftsmäßig i.S. von § 119 Abs. 1 Nr. 1 FGO besetzt gewesen, weil davon auszugehen sei, dass ein ehrenamtlicher Richter von der gesamten Verhandlung nichts mitbekommen habe. Bereits zu Beginn der Verhandlung sei dieser Richter in tiefen Schlaf gefallen gewesen. Er habe bereits zu Anfang der mündlichen Verhandlung während des gesamten Sachvortrags geschlafen, sei allerdings erwacht, als der Prozessbevollmächtigte mit etwas lauterer Stimme dazu Stellung genommen und sich ein Gespräch entwickelt habe, um bereits nach wenigen Minuten erneut zu „ent“schlafen. Der Vorgang des Einschlafens habe sich laufend jeweils für die Dauer von ca. fünf bis zehn Minuten wiederholt, während der Zustand des Wachseins jeweils weniger als fünf Minuten angedauert habe. Dem Richter sei der Kopf auf die Brust gefallen, er sei körperlich auch zusammengesackt, habe sich nach dem Aufwachen ruckartig aufgerichtet, schamhaft mit ausdruckslosem verschlafenen Gesicht geradeaus geblickt, ohne sich mit dem Kopf dem Geschehen zuzuwenden.“

Nicht genug für den BFH, u.A. haben „der Vertreter des Finanzamts und eine im Sitzungssaal anwesende Finanzbeamtin (…) nicht bemerkt, dass einer der ehrenamtlichen Richter geschlafen habe.“

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Der angebissene Weihnachtsmann

12 Dez

Zum „sozialen“ Verfallsdatum ausgemusterten „Weihnachtsmänner“, ArbG Berlin, 28 Ca 1174/07 – Adventskalender (12)

„Im Mittelpunkt des Rechtsstreits steht die Anfechtungeines „Klageverzichts“ gegen (vorgeblich) betriebsbedingte Kündigung. Dieser „Verzicht“ ging auf die Reaktion der Beklagten darauf zurück, dass sich der seit 22 Jahren bei ihr beschäftigte Kläger am 8.1.2007 an einer im Weihnachtsgeschäft 2006 nicht abverkauften und deshalb in einen Nebenraum der Filiale ausgelagerten Schokoladenfigur („Weihnachtsmann“) ohne erklärte Erlaubnis des Filialleiters gütlich getan hatte: Er hatte entwederzwei Bruchstücke der Figur (Kläger) – oder vielleicht auch deren kompletten Korpus (Beklagte) – verzehrt.“

„Unstreitig ist, wie eingangs  schon angedeutet, dass sich im besagten Behältnis allerlei Restartikel angesammelt hatten, die im abgelaufenen Weihnachtsgeschäft nicht hatten abgesetzt werden können. Darunter befanden sich – wie gleichfalls oben schon vorausgeschickt – aus Schokolade geformte Abbilder sogenannte „Weihnachtsmänner“. Zu deren äußerlichen Zustand und zum Zweck ihrer separaten Zwischenlagerung gehen die Darstellungen der Parteien teilweise jedoch (weit) auseinander:

Während der Kläger den Inhalt des Behältnisses als „abgeschriebene Ware“ zur Entsorgung und „gefälligen Selbstbedienung“ beschreibt, spricht die Beklagte zuletzt von einer „Vielzahl von eben nicht nur eingedrückten, sondern auch unbeschädigten Weihnachtsmännern“. Im Übrigen würden, so die Beklagte, in dem „Büro“, in dem die Kiste deponiert gewesen sei, „ausschließlich Waren gelagert, die der Warenbegutachtung bzw. der Retour“ dienten „oder die mit einer Preissenkung versehen“ würden.

Unstreitig – und Ursprung des hiesigen Rechtsstreits – ist, dass der Kläger am 8.1.2007 gegen Mittag das vorerwähnte Nebengelass aufsuchte, um an einem dort gleichfalls stationierten PC eine Warenprüfung vorzunehmen. Dort traf er auf einen der externen Detektive, der mit der Beobachtung der Monitore zugange war 18 . Unstreitig ist auch, dass der Kläger sich bei dieser Gelegenheit aus dem besagten Behältnis etwas Essbares herausfischte und an Ort und Stelle vertilgte. Streitig ist im Rechtsstreit – wie ebenfalls eingangs schon erwähnt –, ob diesen Verzehrsweg eine komplette (und zuvor äußerlich unversehrte) Schokoladenfigur genommen hat, oder ob der Appetit des Klägers lediglich zwei „Bruchstücken“ eines ohnehin bereits lädierten Figürchens galt.“

Dazu das ArbG:

„Zwar legt sie gleichwohl Wert auf die Feststellung, dass die wegen ihres – nennen wir es: – „sozialen“ Verfallsdatums ausgemusterten „Weihnachtsmänner“ des Jahrgangs 2006 (nur) „teilweise“ eingedrückt gewesen seien. Das ändert aber nichts an den Fakten: Selbst wenn mit dieser Zustandsbeschreibung gemeint sein sollte, dass auch äußerlich unversehrte Schokoladenfiguren wie geschehen ausgesondert gewesen seien, so hat doch deren unterschiedlicher Erhaltungszustand ihnen das gemeinsame Schicksal nicht erspart: Ob „eingedrückt“ oder nicht – sie waren mit ihrer Verfrachtung in ihr entlegenes Zwischenlager allesamt ausrangiert.

Genauso wenig danach eine noch Rolle, ob sich der Kläger, wie er beteuert und worauf die Sachwalter der Beklagten ihre Drohung mit fristloser Kündigung ursprünglich auch gestützt hatten, nur „Bruchstücke“ des traurigen Sammelsuriums einverleibt hat, oder aber, wie die Beklagte später hat behaupten lassen, eine komplette Figur. – Obendrein wäre es der Beklagten auch insofern verwehrt, das von ihr anfänglich ermittelte Geschehensbild im Zuge des Rechtsstreits kurzerhand auszutauschen und die Folgen der Vernachlässigung ihrer seinerzeit eigenen Aufklärungspflicht nun auf den Kläger abzuwälzen.

Bei dieser Sachlage sprach (und spricht) somit alles dafür, dass dem Kläger fehlendes Unrechts-Bewusstsein ohne Wenn und Aber abzunehmen war. Zwar wäre er zweifellos besser beraten gewesen, sich beim Filialverantwortlichen zur Frage „gefälliger Selbstbedienung“ schon aus Gründen der Eigensicherung vorsorglich zu vergewissern . Nur bedurfte es zur nachträglichen Verdeutlichung des von der Beklagten gewünschten Umgangs mit solcher „Ware“ nicht gleich des rigorosen Abbruchs der Arbeitsbeziehung. Eine Zurechtweisung des Klägers – und äußerstenfalls: eine diesbezügliche Abmahnung – hätte dafür allemal genügt.“

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Türkische Hähne krähen auch morgens

11 Dez

Frühmorgendliches Krähen freilaufender Hähne in der Türkei ist kein Reisemangel, LG Kleve, Urt. v. 23.11.2000, 6 S 280/00, – Adventskalender (11)

In den nächsten Wochen werden wir jeden Tag im Stile eines Adventskalenders kuriose und witzige Urteile veröffentlichen. Bekannte Klassiker und Exoten, Mietrecht und Reiserecht können Türchen für Türchen entdeckt werden.

Mein Name ist Waldmeister

10 Dez

Zu den Grenzen der Vornamenswahl der Eltern, LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27.06.2014, NJW-RR 2014, 1156, – Adventskalender (10)

Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die Eltern des Beteiligten zu 3. Sie beantragen, dass ihr Sohn die Vornamen T. M. Waldmeister erhält. Der Standesbeamte lehnte die Beurkundung des Namens Waldmeister ab. Zur Begründung führte der Standesbeamte unter Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes Gutachten aus, dass das Wort „Waldmeister“ als Vorname nicht nachgewiesen werden könne. Das Wort „Meister“ sei in der Schreibform „meistar“ seit dem 8. Jahrhundert im deutschen Sprachraum für einen Baumeister, Künstler, Leiter, Lehrmeister und Lehrer bezeugt. Es erscheine nur in Familiennamen, die aus Berufsbezeichnungen entstanden seien. Zwar seien Blumen- und Pflanzenbezeichnungen heute vor allem als weibliche Vornamen gebräuchlich – wie etwa Jasmin, Rosa, Erika, und Lilia. Viele dieser Vornamen seien jedoch nicht als Pflanzennamen aufgekommen, sondern nur wegen ihrer Ähnlichkeit an Blumennamen angelehnt worden. Das Wort „Waldmeister“ werde im deutschen Raum nicht als Vorname, sondern vor allem als Pflanzenbezeichnung und als Bestandteil für Getränke und Speiseeis assoziiert. Diese Assoziation eines Vornamens „Waldmeister“ könne auf Grund seiner Herkunft und seiner allgemeinen Verwendung im Sprachgebrauch dazu führen, dass der Beteiligte zu 3. der Lächerlichkeit preisgegeben werde.

Gegen diesen Bescheid legten die Beteiligten zu 1. und 2. Widerspruch ein und begründeten ihn unter anderem damit, dass der Vorname „Waldmeister“ nicht negativ konnotiert sei, sondern vor allem Naturverbundenheit impliziere. Vermeintliche Trendnamen wandelten nicht selten innerhalb einer Dekade zu einem regelrechten Stigma. Assoziationen änderten sich kontinuierlich und seien nicht vorhersehbar. Im Übrigen sei der Vorname „Woodruff“ in den Archiven der US-Zensusbehörden mehrfach für das 19. und 20. Jahrhundert nachweisbar. Die eindeutige Nachweisbarkeit des Vornamens „Waldmeister“ sowie des Namensbestandteils „Master/Meister“ in der englischen Sprache müsse es ihnen ermöglichen, ihrem Sohn die ausgewählten und für ihn bestimmten Namen zu geben.

Dazu das OLG:

„Das Wort „Waldmeister“ (..) wird im deutschen Sprachraum unter anderem mit einer Bezeichnung für Speiseeis, einer Geschmacksrichtung in Erfrischungsgetränken, einem Beruf und – worauf das vom Standesbeamten eingeholte Gutachten nachvollziehbar hinweist – vor allem mit einer Pflanze assoziiert. Die Sachverständige hat zudem plausibel dargelegt, dass ein männlicher Vorname „Waldmeister“ nicht nachgewiesen werden konnte. Dieser Kontrast der Verwendung des Wortes „Waldmeister“ als bekannte und gewöhnliche Bezeichnung von Sachen einerseits und der überraschenden Verwendung als Vorname andererseits ist der Grund dafür, dass ein solcher Vorname als lächerlich empfunden werden und – was die Sachverständige zutreffend zu bedenken gibt – seinen mit ihm verbundenen Träger lächerlich machen kann.Es kommt deshalb nicht darauf an, ob „Waldmeister“ oder sein englisches Äquivalent in den Vereinigten Staaten von Amerika als Vorname bereits Verwendung gefunden hat.

Zu Recht führt die Beschwerdeführerin aus, dass vermeintliche „Trendnamen“ in kurzer Zeit negative Assoziationen hervorrufen könnten. Das rechtfertigt allerdings nicht, bei einer nach der Geburt eines Kindes zu treffenden Wahl eines Vornamens einen solchen zu wählen, der das Kind vorhersehbar der Lächerlichkeit preisgibt. Der Vorname soll der Individualität einer Person Ausdruck verleihen und den Einzelnen bezeichnen. Das Kind trägt den ihm von den Eltern gegebenen Namen grundsätzlich zeitlebens und kann ihn nicht selbstbestimmt ablegen. Mit dem Namen trägt es auch die Folgen, die aus einem Vornamen der persönlichen Entwicklung eines Menschen drohen können. Im vorliegenden Fall ist nicht zu erkennen, dass die Beteiligten zu 1. und 2. das treuhänderische Recht der Namenswahl im wohlverstandenen Interesse ihres Sohnes durch die Wahl des Vornamens „Waldmeister“ verantwortungsvoll ausgeübt haben. (…)“

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Der hungrige Richter

9 Dez

Stimmen Sie dem jetzt endlich zu, ich will Mittag essen gehen! BAG NZA 2010, 1250 – Adventskalender (9)

„Der Kläger hat in dem fortgesetzten Berufungsverfahren geltend gemacht, der Prozessvergleich habe den Rechtsstreit nicht erledigt. Die Anfechtung sei wegen widerrechtlicher Drohung begründet. Unmittelbar zu Beginn der Verhandlung vom 16. August habe der Vorsitzende – offenbar bereits über das Scheitern außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen unterrichtet – seine Unzufriedenheit über den Verfahrensstand zum Ausdruck gebracht und auf seinen – des Klägers – Vortrag zum Grund des Konflikts mit den Worten reagiert: „Passen Sie auf, was Sie sagen; es wird sonst alles gegen Sie verwendet“. Dadurch sei bei ihm der Eindruck entstanden, der Vorsitzende wolle jegliche Erörterung des Streitstoffs gleich zu Beginn unterbinden. Trotz seiner Erklärung, den Arbeitsplatz wiedererlangen zu wollen, habe dieser das Gespräch sogleich auf die Erörterung der Modalitäten eines Vergleichs gelenkt. Da er sich dem nicht offen habe widersetzen wollen, habe er einen seiner Vorstellung entsprechenden Abfindungsbetrag von 150 TEuro genannt. Der Vorsitzende habe daraufhin erklärt: „Wer bis zuletzt hofft, stirbt mit einem Lächeln“ und sei dazu übergegangen, ihm geringe Erfolgsaussichten seiner Klage wie folgt vor Augen zu führen: „Wenn Sie dem nicht zustimmen, dann kriegen Sie sonst nur 10 oder 20 TEuro“, „Sie haben keine Chance, höchstens 20 %, Sie müssen das machen!“. Seine weiterhin ablehnende Haltung gegenüber einem Vergleich habe der Vorsitzende mit den Worten kommentiert: „Sie spielen hier Vabanque“; „Was Sie machen, ist unverantwortlich im Hinblick auf Ihre familiäre Situation“ und: „Hören Sie mir auf mit Mobbing, davon will ich nichts hören, da kommt nichts bei raus!“ Zusammen mit weiteren unsachlichen Bemerkungen habe dies in ihm den Eindruck hervorgerufen, sein Fall werde nicht mehr objektiv und unparteiisch beurteilt. In unverhohlen aggressiver Art habe der Vorsitzende dann geäußert: „Seien sie vernünftig. Sonst müssen wir Sie zum Vergleich prügeln“, auf seine weitere Verweigerung eines Vergleichsschlusses ohne Widerrufsmöglichkeit erklärt: „Ich reiße Ihnen sonst den Kopf ab“ und schließlich: „Sie werden sonst an die Wand gestellt und erschossen“ sowie – nach einem „Blick in die Runde“ -: „Manche muss man eben zu ihrem Glück zwingen“. Danach habe er – der Kläger – endgültig den Eindruck gewonnen, der Vorsitzende sei bereit, sich über jedes Recht hinwegzusetzen. Durch dessen weitere Reaktionen wie „Dann wechseln Sie eben die Stadt.“; „Dann müssen Sie eben wieder unten anfangen und sich hocharbeiten“ sei ihm klar geworden, dass gleichgültig sei, was er noch vortrage. So sei nach der Erklärung des Vorsitzenden: „Stimmen Sie dem jetzt endlich zu, ich will Mittag essen gehen“ der Vergleich geschlossen worden.“

Dazu das BAG:

„Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist von einer Willensbeeinflussung des Klägers durch widerrechtliche Drohung seitens des Vorsitzenden auszugehen.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Erklärungen des Vorsitzenden „Gleich werden Sie an die Wand gestellt und erschossen“, „Ich reiße Ihnen sonst den Kopf ab“ und: „Seien Sie vernünftig, sonst müssen wir Sie zum Vergleich prügeln“ seien ersichtlich nicht wörtlich zu verstehen, sondern „als schlechter Scherz“ zu erkennen gewesen. Der Vorsitzende habe dem Kläger – wenn auch in unsachlicher Art und Weise – anhand der Prozesslage die voraussichtlichen Folgen eines möglichen Scheiterns der Vergleichsverhandlungen aufzeigen wollen.“

Besprochen hier, hier, hier und hier.

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Das Ritual des Schäferhundes und seines Herrchens

8 Dez

Fehlgeschlagenes Abschiedsritual eines Herrchens mit seinem Schäferhund kann ein Arbeitsunfall darstellen, LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 25.06.2013, L 6 U 12/12 – Adventskalender (8)

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Ereignis vom 2. Juni 2010 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist. Am Unfalltag verließ der Kläger morgens das Haus, um in sein Büro zu fahren. Nach dem Arztbericht kam auf dem Weg zu seinem PKW sein eigener Hund angerannt, stieß in vollem Lauf an das rechte Knie des Klägers und brachte ihn zu Fall. Dieser hatte anschließend Schmerzen im rechten Knie außen und im linken Fuß, woraufhin er den Arzt aufsuchte. Dieser diagnostizierte freie Gelenkkörper im Kniegelenk rechts und stellte weiter die Diagnose Kontusion im oberen Sprunggelenk links.

Gegenüber der Krankenkasse schilderte der Kläger den Unfallhergang wie folgt: „Auf dem Weg zum Auto sah ich von weitem meine Frau mit unserem Schäferhund aus dem Wald kommen. Zum Abschied zur Arbeit pfiff und rief ich den Hund zu mir. Der kam dann auch in vollem Lauf angerannt. Da der unbefestigte Weg vom Regen nass war, bremste der Hund offensichtlich nicht und wollte an mir vorbei rennen, leider lief er mir seitlich gegen das rechte Knie“. Der Unfall habe sich auf dem öffentlichen Weg vor seinem Hausgrundstück ereignet. (…)

Mit Bescheid vom 3. August 2010 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 2. Juni 2010 ab und führte zur Begründung aus, es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem nachgewiesenen Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit. Das Rufen und das Verabschieden von dem Hund stelle eine eigenwirtschaftliche Handlung dar, auch wenn es sich nur um eine kurzfristige Unterbrechung handele. Sie sei deshalb nicht mehr dem versicherten Weg zuzurechnen. Der Kläger habe in diesem Moment nicht beabsichtigt, den Weg fortzusetzen, sondern sich von seinem Hund zu verabschieden. Wesentliche Ursache des Sturzes sei damit das Rufen des Hundes gewesen.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, er müsse sein Auto ca. 50 Meter von seinem Haus entfernt parken. Falls er von der Arbeit komme oder zur Arbeit gehe und seine Frau zufällig vom Spaziergang aus dem Wald komme, sei es immer so, dass sein Schäferhund, wenn er ihn sehe, angesprintet komme, ohne dass er ihn rufe. Mal halte er vor ihm, meist aber sause er übermütig an ihm vorbei und laufe dann zu seiner Frau zurück. Dies sei seine Begrüßung, da er ihn wegen der guten Kleidung nicht anspringen dürfe. Zu jener Zeit habe der Hund oft in der Saale gebadet, so dass er froh gewesen sei, ihn zu sehen und zu rufen. So habe er ihn im Blick gehabt.

Neben ausführlichen Überlegungen zur Kausalität und Zurechnung führt das LSG aus:

„Die Eigentums- und Besitzverhältnisse an dem nicht aggressiven und an sich ungefährlichen Hund sind nicht wesentlich; es kann keinen grundlegenden Unterschied machen, ob der Hund dem Kläger, seiner Ehefrau oder einem Nachbarn gehört.

Weiter ist hier festzuhalten, dass das Rufen des eigenen Hundes isoliert betrachtet mit keiner besonderen Gefahr verbunden war, sondern letztlich sogar als sozialadäquates Verhalten bewertet werden muss. Hinzu kommt, dass auch nach Ansicht der Beklagten mit dem Rufen des Hundes indirekt ein Verschmutzen der guten Kleidung vermieden werden sollte, die der Kläger als Mitarbeiter einer Versicherung trug. Der Hund lief nach den glaubhaften Angaben des Klägers (mit und ohne Rufen) stets in dieser Art auf ihn zu, ohne dass damit irgendeine Gefahr verbunden zu sein schien. Es handelte sich um ein oft durchgeführtes Ritual. Damit muss die Erhöhung der Gefahr durch das Rufen als verschwindend gering bewertet werden.(…)

Zudem hat sich auch eine typische Wegegefahr verwirklicht. Diese hat der Kläger (ohne Kenntnis der rechtlichen Relevanz) bereits in seinem Schreiben an die Krankenkasse betont, als er zur Erklärung, warum der Hund nicht gebremst habe, auf den schlechten Zustand des Weges (unbefestigt und nass) hinwies. Hätte die Ehefrau des Klägers als Fahrerin seines PKW aufgrund solcher Wegeverhältnisse den Kläger angefahren, wäre eine Argumentation mit einer eingebrachten Gefahr und dem Eigentumsverhältnis wohl fernliegend, auch wenn das Überlassen eines KFZ an einen Dritten stets eine gewisse Gefahr mit sich bringt. Der Unfallversicherungsschutz würde nicht einmal entfallen, wenn der Kläger in diesem Beispielsfall seiner Frau zugewunken hätte und sie beim Zurückwinken aufgrund der schlechten Wegverhältnisse den maßgeblichen Fahrfehler begangen hätte. (…)“

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„Da läuft er ja, der Psycho“

7 Dez

Das Beschimpfen des Vorgesetzten als Psychopath muss nicht zur fristlosen Kündigung führen, LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24.07.2014 – 5 Sa 55/14 – Adventskalender (7)

Am 09.07.2013 führte der Produktionsleiter K. mit dem Kläger ein Personalgespräch in seinem Büro. Der Kläger hatte sich geweigert, eine neue Stellenbeschreibung zu unterschreiben, weil er ua. die Eingruppierung in Entgeltgruppe E4 als ungerecht empfand. Der Ablauf des eskalierenden Gesprächs wird von den Parteien unterschiedlich geschildert. Es wurde vom Vorgesetzten dadurch beendet, dass er die Tür öffnete und den Kläger mit der Aufforderung „Raus hier!“ seines Büros verwies.

Am 10.07.2013 gegen 12:45 Uhr hielt sich der Kläger im Rauchercontainer auf. Ebenfalls anwesend waren die Arbeitskollegen G. und K. sowie ein Leiharbeitnehmer. Der Kläger schimpfte in diesem Kreis über seinen Vorgesetzten. Er räumt ein, dass er geäußert hat: „Der ist irre, der dürfte nicht frei rumlaufen“, „der ist nicht normal“. Als der Vorgesetzte am Rauchercontainer vorbeilief, äußerte er: „Da läuft er ja, der Psycho“, „der wird schon sehen, was er davon hat“.

Nach dem Vorbringen der Beklagten soll der Kläger geäußert haben: „Da läuft ja der Psychopath“, „der ist nicht richtig im Kopf“, „der gehört in die Psychiatrie, weil er psychisch krank ist“, „der gehört eingesperrt“. Außerdem soll er seinen Vorgesetzten als „Arschloch“ bezeichnet und gedroht haben: „Der wird sich noch wundern, ich lasse mich nicht einfach aus dem Büro werfen“, „der wird schon noch sehen, was er davon hat“.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis (…) wegen gravierender ehrverletzender Äußerungen des Klägers über seinen Vorgesetzten und ausgestoßener Drohungen fristlos (…). Gegen diese Kündigung wehrt sich der Kläger (…).

Dazu das LAG:

„Trotz dieser groben Beleidigung ist die außerordentliche Kündigung (…) nach den Umständen des vorliegenden Falls wegen des Fehlens einer Abmahnung unverhältnismäßig. Die Berufungskammer stellt ausdrücklich klar, dass die erhebliche Ehrverletzung des Vorgesetzten (…) von der Beklagten nicht sanktionslos hingenommen werden muss. Lediglich bei der Prüfung der Frage, ob die Kündigung als einzig mögliche und vertretbare Reaktion der Beklagten auf den respektlosen Ausbruch des Klägers angemessen war, ist die Berufungskammer – wie das Arbeitsgericht – der Ansicht, dass eine Abmahnung als Reaktion genügt hätte.

Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind neben der ordentlichen Kündigung auch Abmahnung und Versetzung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung künftiger Störungen – zu erreichen. Einer Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (…).

Die Berufungskammer teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass der Kläger darauf vertrauen durfte, dass sein verbaler Ausbruch von den Arbeitskollegen, die sich mit ihm im Rauchercontainer aufhielten, nicht nach außen getragen und der Betriebsfrieden nicht gestört bzw. das Vertrauensverhältnis der Parteien nicht beschädigt wird. Entgegen der Ansicht der Berufung musste der Kläger nicht mit einer Weitertragung seiner Äußerungen durch seine Arbeitskollegen rechnen, denn es gilt der allgemeine Erfahrungssatz, dass anfechtbare Äußerungen über Vorgesetzte, sofern sie im Kollegenkreis erfolgen, in der sicheren Erwartung geschehen, dass sie nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinausdringen werden (…).

Hinzu kommt, dass sich der Kläger zu den beleidigenden Äußerungen hat hinreißen lassen, weil er am Vortag von seinem Vorgesetzten aus dem Büro geworfen worden ist. Diesen Rauswurf hat er als höchst demütigend empfunden. Vor diesem Hintergrund erscheint seine inadäquate emotionale Reaktion – wie bereits das Arbeitsgericht ausgeführt hat – wenn auch hierdurch nicht entschuldigt, so doch in einem milderen Licht.

Unter diesen Umständen war vor Ausspruch einer auf die erhobenen Vorwürfe gestützten Kündigung eine Abmahnung des Klägers nicht entbehrlich. Weder gibt es Anhaltspunkte für die Annahme, eine Abmahnung hätte eine Änderung im Verhalten des Klägers in der Zukunft nicht bewirken können, noch wiegt dessen Pflichtverletzung so schwer, dass selbst ihre einmalige Hinnahme der Beklagten objektiv unzumutbar wäre.“

In den nächsten Wochen werden wir jeden Tag im Stile eines Adventskalenders kuriose und witzige Urteile veröffentlichen. Bekannte Klassiker und Exoten, Mietrecht und Reiserecht können Türchen für Türchen entdeckt werden.

Cannabis-Anbau im Schlafzimmer

6 Dez

17 Marihuana-Pflanzen im Schlafzimmer können zur fristlosen Kündigung des Mietvertrages führen, AG Köln WM 2008, 595 – Adventskalender (6)

„Der Beklagte mietete die von ihm bewohnte Wohnung von der Klägerin ab September 2002. Die Polizei stellte am 18.9.2007 in der Wohnung 17 Marihuana-Pflanzen und 43 Blumentöpfe mit Reststengeln (…) sicher. Die Klägerin kündigte dem Beklagten unter dem 5.10.2007 fristlos hilfsweise fristgerecht wegen professionellen Anbaus von Cannabis und Ernte, Konsum und Weitergabe an Dritte. Der Beklagte hält dem entgegen, er habe nur einige Pflanzen für den Eigenbedarf gezogen und nicht weitergeben sondern die nervliche Belastung aus dem Verlust des Arbeitsplatzes und der Pflege seiner todkranken Mutter abmildern wollen. Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe in der Wohnung in erheblichem Umfang Cannabis-Pflanzen angebaut, geerntet, konsumiert und an Dritte weitergegeben. Er habe Nachbarn mit dem typisch süßlichen Geruch belästigt und unerwünschte Personen in das Mietshaus eingelassen.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die (…) Mietwohnung, bestehend aus 2 Zimmern (…) zu räumen (…).

Die Klage ist begründet.

(…) Der Beklagte hat das Vertragsverhältnis dadurch in seiner Grundlage entscheidend erschüttert, dass er die Wohnung genutzt hat, um in erheblichem Umfang Rauschgift zu produzieren. (…)

Der Beklagte kann sein Fehlverhalten nicht damit abmildern, dass er von einigen Marihuana-Pflanzen und keineswegs professionellem Vorgehen redet. Die Liste über die asservierten Gegenstände, deren Richtigkeit nicht in Frage gestellt worden ist, spricht für sich. Das Schlafzimmer war mit 17 Marihuanapflanzen von 1,10 m Höhe und 19 Blumentöpfen mit Reststengel völlig zweckentfremdet. Auf dem Balkon standen weitere 24 Blumentöpfe mit Reststengel neben drei Marihuanapflanzen, wobei die dazu angegebenen Höhen von 45, 70 und 71 cm im Zusammenhang mit dem vorgefundenen Cannabissamen belegen, dass auch nicht nur eine einzige Aussaat angenommen werden kann. Die weiter sichergestellten Gerätschaften bis zu einem angerauchten Joint belegen das zielgerichtete Vorgehen des Beklagten in großem Stil. Er wird nicht ernsthaft glauben machen wollen, er sei von dem Ergebnis seiner Produktion überrollt worden. Der Ablauf ist von ihm auch hinsichtlich der dabei auf die erworbene Fachliteratur aufbauend gewonnenen Erkenntnisse nach wie vor nicht plausibel dargestellt worden. Angesichts des nicht zu bestreitenden Bestandes hat sich der Beklagte in dem nachgelassenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten immerhin bemüßigt gesehen, eine Absicht dahin zu verlautbaren, dass ein Vorrat für ihn für wenigstens ein halbes Jahr entstehen sollte. Wenngleich wie gesagt von Seiten des Beklagten zu den hergestellten und verbrauchten Mengen konkret nichts gesagt wird, muss eine Weitergabe an Dritte unter den festzustellenden Umständen wenigstens in Betracht gezogen werden. Dass der Beklagte durch die Anzeige einer Mitmieterin und das Einschreiten der Polizei an der Fortsetzung seines Unterfangens gehindert worden ist, kann er nicht für sich anführen. Er hat die zu Wohnzwecken überlassenen Räumen in einer Weise zu anderen Zwecken missbraucht, die der Vermieter nicht hinnehmen muss.“

In den nächsten Wochen werden wir jeden Tag im Stile eines Adventskalenders kuriose und witzige Urteile veröffentlichen. Bekannte Klassiker und Exoten, Mietrecht und Reiserecht können Türchen für Türchen entdeckt werden.

Saarländische Gewohnheiten

5 Dez

Zur Dislozierungsfähigkeit von Saarländern, ArbG Saarbrücken, ZFA 2002, 192 – Adventskalender (5)

Zum Sachverhalt:

Der Kl. war seit 1985 bei der Rechtsvorgängerin der Bekl. beschäftigt, und zwar als hauptamtlicher Hauswart für die Saarbrücker Immobilien der Deutschen Post AG. Mit Schreiben vom 27.11.00 kündigte die Bekl. ihm das Arbeitsverhältnis. Der Kl. hielt diese Kündigung unter verschiedenen Gesichtspunkten für unwirksam. Nach Klageerhebung hat die Bekl. ihm unter dem 19.06.2001 eine Änderungskündigung ausgesprochen und ihm unter gleichen Bedingungen einen Arbeitsplatz in München angeboten. Der Kl. hat die ihm angetragene Änderung unter Vorbehalt angenommen und auch diesbezüglich Klage erhoben. Gleichwohl hat er die Stelle in München nicht angetreten.

Die Klage wurde vom ArbG abgewiesen u.a. mit folgender Begründung:

„Da die Änderungskündigung noch nicht entscheidungsreif war, ist sie als Streitgegenstand vorliegend nicht zu beurteilen. Im Rahmen ihrer subsidiären Bedeutung (ultima-ratio-Prinzip) sei vorliegend allerdings festgestellt, daß der Kläger zur Überzeugung der Kammer nicht ernsthaft bereit war, die Stelle in München anzutreten. Es ist gerichtsbekannt, daß ein Saarländer (Ende der 50-iger/Familie/Wohnsitz) nur höchst selten und ungern sich aus „seinem“ Saarland disloziert und ins „Reich“ schaffen geht. Soweit der Kläger sich auf die im Arbeitsvertrag von 1984 vorgesehene Dienstwohnung berufen will, so ist diese Vertragsposition längst konkludent aufgehoben worden. Auf alle sonstigen Streitpunkte betreffend „München“ braucht hier nicht eingegangen zu werden.“

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