Das Beschimpfen des Vorgesetzten als Psychopath muss nicht zur fristlosen Kündigung führen, LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24.07.2014 – 5 Sa 55/14 – Adventskalender (7)
Am 09.07.2013 führte der Produktionsleiter K. mit dem Kläger ein Personalgespräch in seinem Büro. Der Kläger hatte sich geweigert, eine neue Stellenbeschreibung zu unterschreiben, weil er ua. die Eingruppierung in Entgeltgruppe E4 als ungerecht empfand. Der Ablauf des eskalierenden Gesprächs wird von den Parteien unterschiedlich geschildert. Es wurde vom Vorgesetzten dadurch beendet, dass er die Tür öffnete und den Kläger mit der Aufforderung „Raus hier!“ seines Büros verwies.
Am 10.07.2013 gegen 12:45 Uhr hielt sich der Kläger im Rauchercontainer auf. Ebenfalls anwesend waren die Arbeitskollegen G. und K. sowie ein Leiharbeitnehmer. Der Kläger schimpfte in diesem Kreis über seinen Vorgesetzten. Er räumt ein, dass er geäußert hat: „Der ist irre, der dürfte nicht frei rumlaufen“, „der ist nicht normal“. Als der Vorgesetzte am Rauchercontainer vorbeilief, äußerte er: „Da läuft er ja, der Psycho“, „der wird schon sehen, was er davon hat“.
Nach dem Vorbringen der Beklagten soll der Kläger geäußert haben: „Da läuft ja der Psychopath“, „der ist nicht richtig im Kopf“, „der gehört in die Psychiatrie, weil er psychisch krank ist“, „der gehört eingesperrt“. Außerdem soll er seinen Vorgesetzten als „Arschloch“ bezeichnet und gedroht haben: „Der wird sich noch wundern, ich lasse mich nicht einfach aus dem Büro werfen“, „der wird schon noch sehen, was er davon hat“.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis (…) wegen gravierender ehrverletzender Äußerungen des Klägers über seinen Vorgesetzten und ausgestoßener Drohungen fristlos (…). Gegen diese Kündigung wehrt sich der Kläger (…).
Dazu das LAG:
„Trotz dieser groben Beleidigung ist die außerordentliche Kündigung (…) nach den Umständen des vorliegenden Falls wegen des Fehlens einer Abmahnung unverhältnismäßig. Die Berufungskammer stellt ausdrücklich klar, dass die erhebliche Ehrverletzung des Vorgesetzten (…) von der Beklagten nicht sanktionslos hingenommen werden muss. Lediglich bei der Prüfung der Frage, ob die Kündigung als einzig mögliche und vertretbare Reaktion der Beklagten auf den respektlosen Ausbruch des Klägers angemessen war, ist die Berufungskammer – wie das Arbeitsgericht – der Ansicht, dass eine Abmahnung als Reaktion genügt hätte.
Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind neben der ordentlichen Kündigung auch Abmahnung und Versetzung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung künftiger Störungen – zu erreichen. Einer Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (…).
Die Berufungskammer teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass der Kläger darauf vertrauen durfte, dass sein verbaler Ausbruch von den Arbeitskollegen, die sich mit ihm im Rauchercontainer aufhielten, nicht nach außen getragen und der Betriebsfrieden nicht gestört bzw. das Vertrauensverhältnis der Parteien nicht beschädigt wird. Entgegen der Ansicht der Berufung musste der Kläger nicht mit einer Weitertragung seiner Äußerungen durch seine Arbeitskollegen rechnen, denn es gilt der allgemeine Erfahrungssatz, dass anfechtbare Äußerungen über Vorgesetzte, sofern sie im Kollegenkreis erfolgen, in der sicheren Erwartung geschehen, dass sie nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinausdringen werden (…).
Hinzu kommt, dass sich der Kläger zu den beleidigenden Äußerungen hat hinreißen lassen, weil er am Vortag von seinem Vorgesetzten aus dem Büro geworfen worden ist. Diesen Rauswurf hat er als höchst demütigend empfunden. Vor diesem Hintergrund erscheint seine inadäquate emotionale Reaktion – wie bereits das Arbeitsgericht ausgeführt hat – wenn auch hierdurch nicht entschuldigt, so doch in einem milderen Licht.
Unter diesen Umständen war vor Ausspruch einer auf die erhobenen Vorwürfe gestützten Kündigung eine Abmahnung des Klägers nicht entbehrlich. Weder gibt es Anhaltspunkte für die Annahme, eine Abmahnung hätte eine Änderung im Verhalten des Klägers in der Zukunft nicht bewirken können, noch wiegt dessen Pflichtverletzung so schwer, dass selbst ihre einmalige Hinnahme der Beklagten objektiv unzumutbar wäre.“
In den nächsten Wochen werden wir jeden Tag im Stile eines Adventskalenders kuriose und witzige Urteile veröffentlichen. Bekannte Klassiker und Exoten, Mietrecht und Reiserecht können Türchen für Türchen entdeckt werden.
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