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Zwei Pullover = Zwei Monate U-Haft?

1 Dez

Gestern habe ich mit einigen Teilnehmern meiner Arbeitsgemeinschaften eine Gerichtsverhandlung beim AG Köln besucht − genau wie den Besuch einer JVA halte ich so etwas für äußerst sinnvoll, denn hier sieht man mal wie ein Strafverfahren, das man ja nur mittelbar kennt, eigentlich in der Realität abläuft. Praktiker lesen ab hier am besten nicht weiter, weil ich mir vorstellen kann, dass das was ich hier gern problematisieren möchte „Alltagsgeschäft“, also nichts Besonderes ist − trotzdem:

Der Angeklagte hatte Mitte September 2011 zwei Pullover bei H&M (Gesamtwert: 79,80 €) gestohlen. Angeklagt war die Tat als räuberischer Diebstahl, weil der Angeklagte, vom Ladendetektiv außerhalb des Geschäfts gestellt, sich so aus seinem Rucksack gewunden hatte, dass der Detektiv den Eindruck bekam, der Angeklagte wolle ihn schlagen, um im Besitz der Beute zu bleiben. Nach der Zeugenvernehmung blieb vom räuberischen Diebstahl nur noch der Diebstahl übrig – allerdings ein besonders schwerer, weil der Angeklagte die Pullover in Alufolie gewickelt hatte, um so die Diebstahlsicherung zu überlisten (was auch funktionierte). Hierfür gab es 4 Monate Freiheitsstrafe mit Bewährung.

Nun mag man daran zweifeln, dass ein solches Sicherungsetikett um eine „Schutzvorrichtung gegen Wegnahme“ handelt, schließlich war die Wegnahme bereits mit Einpacken der Pullover in den Rucksack und der damit begründeten Gewahrsamsenklave vollendet, sodass das Etikett nicht die Wegnahme sondern die Beutesicherung erschweren sollten. Aber darum geht es mir gar nicht.

Ich frage mich aber, warum der Angeklagte wegen dieser Tat zweieinhalb Monate in Untersuchungshaft verbringen musste. Die Untersuchungshaft dient der Sicherung des Strafverfahrens, im konkreten Fall sollte sichergestellt werden, dass der Angeklagte nicht flüchtet. Klar: Der Angeklagte stammte aus Rumänien, was wohl zumindest abstrakt den Verdacht nahe legt, dass er sich dem Verfahren durch Flucht gen Heimat entziehen könnte (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Zumal es sich bei der ursprünglich angeklagten Tat um ein Verbrechen (§ 12 Abs. 2 StGB) handelte. Allerdings lagen die Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung mit Ausnahme des Alufolien-Tricks auch schon im Ermittlungsverfahren vor; man hätte also auch da schon auf die Idee kommen können, dass am Vorwurf des räuberischen Diebstahls nicht viel dran war. Und dann bleibt nicht mehr viel übrig: Nämlich der Diebstahl zweier Pullover im Wert von 79,80€! Bei Erlass des Haftbefehls muss das Interesse des Angeklagten, in Freiheit zu bleiben, gegen das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung des Strafverfahrens und die Gefahr, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entzieht abgewogen werden (§ 112 Abs. 1 StPO). Und hier, so meine ich, neigt sich die Waagschale doch sehr stark zugunsten des Angeklagten. Denn ob das Interesse an der Durchführung eines Verfahrens wegen einer solchen – ich glaube, man kann es so nennen – Lapalie es rechtfertigt, einen Beschuldigten zweieinhalb Monate in Untersuchungshaft versauern zu lassen, erscheint mir mehr als zweifelhaft…

Die EC-Karte im Papierkorb – OLG Hamm III-3 RVs 103/10

25 Nov

I. Sachverhalt

Der A begleitete die M gelegentlich, um ihr bei Reinigungsarbeiten in einer Bankfiliale zu helfen. Am Tattag bat M den A den Inhalt eines Papierkorbes in einen Müllsack zu entleeren und den Sack nach draußen zu bringen, wo er von einem Entsorgungsunternehmen abgeholt werden sollte. In dem Papierkorb entdeckte A ein schwarzes Kästchen. Er entleerte zunächst den Inhalt des Papierkorbes in den Müllsack, verbrachte diesen nach draußen und nahm anschließend das Kästchen an sich und öffnete es. In dem Kästchen fand er eine EC-Karte und einen Briefumschlag, in welchem sich die dazugehörige PIN befand. Die EC-Karte und der Briefumschlag waren am morgen von einem Kunden dem Bankmitarbeiter Z, nach Kündigung eines Geschäftskontos, übergeben und von Z weisungswidrig nicht in den Sondermüll, der von einer Spezialfirma entsorgt wird, sondern nur in den einfachen Papierkorb geworfen worden. A nahm die EC-Karte samt PIN an sich und tätigte sodann noch am selben Tag bei zwei verschiedenen Banken Abhebungen in Höhe von insgesamt 900 €. Das Geld gab er für eigene Zwecke aus. Einen Strafantrag stellte die Bank nicht.

II. Probleme

Der Fall berührt zwei Problembereiche. Zum einen stellt sich die Frage, ob die EC-Karte ein taugliches Diebstahlsobjekt i. S. d § 242 StGB darstellt, da eine Eigentumsaufgabe gem. § 959 BGB seitens der Bank vorgelegen haben könnte, so dass es sich bei der EC-Karte nicht mehr um eine „fremde“ Sache handelte. Zum anderen steht die Frage im Raum, sofern man die EC-Karte als taugliches Diebstahlsobjekt ansieht, ob ein Diebstahl einer geringwertigen Sache (§ 248a StGB) vorliegt. Denn, sollte es sich bei der EC-Karte um eine geringwertige Sache handeln, muss in Betracht gezogen werden, ob ein hinreichender Strafantrag gestellt wurde, wobei zu beachten ist, dass die Staatsanwaltschaft ein Einschreiten, bei Fehlen eines Strafantrages, wegen des besonderen öffentlichen Interesses von Amts wegen für geboten halten kann. (Beachte: § 242 Abs. 1 StGB i. V. m. 248a StGB ist ein relatives Antragsdelikt)

III. Dereliktion gem. § 859 BGB

Sollte eine Eigentumsaufgabe (Dereliktion) der Bank nach § 959 BGB vorliegen, müsste von ihr eine diesbezügliche einseitige nicht empfangsbedürftige Willenserklärung abgegeben worden sein. Für die Auslegung dieser Willenserklärung kommt es auf den tatsächlichen Willen des Eigentümers an. Dies ist auf jeden Fall die Bank, denn ihr ist am Tattag die Karte von K zurückgegeben worden, so dass sich die Frage nach dem Eigentum an der Karte des K nicht stellt. Verfolgt die Bank als Eigentümer der EC-Karte einen bestimmten Zweck mit dieser, liegt keine Eigentumsaufgabe vor. Das OLG Hamm beantwortet diese Frage überzeugend dahingehend, dass die Bank die Karte aufgrund der darin gespeicherten persönlichen Daten nicht einem beliebigen Dritten (hier: A oder einem beliebigen Abfallentsorger) überlassen wollte, sondern auf Grund ihres eindeutig geäußerten Willens nur dem zuständigen Spezialabfallentsorger. Daher lag keine Dereliktion i. S. d. § 859 BGB vor. Da ansonsten alle übrigen Tatbestandsmerkmale eindeutig vorlagen, bejahte das OLG Hamm die Erfüllung des Diebstahlstatbestandes gem. § 242 StGB.

IV. Geringwertige Sache i. s. d. § 248a StGB

Die sog. Bagatellgrenze wird vom BGH bei derzeit 25,- € gezogen. Der Substanzwert einer EC-Karte liegt unter diesem Wert bzw. besitzt keinen messbaren objektiven Verkehrswert. Hier stellt sich nunmehr die Frage, ob entgegen des eigentlichen Substanzwertes der Karte, deren Wert höher einzuschätzen ist. Die Geringfügigkeit hört bei Gegenständen ohne messbaren Verkehrswert dort auf, wenn sich ihr Wert für den Täter in dem mit der Sachherrschaft verknüpften Wert funktioneller Möglichkeiten erschöpft (Fischer, StGB, 58. Aufl. 2011, § 248a Rn. 4 m. w. N.). Dem schließt sich der erkennende 3. Senat des OLG Hamm an, weil die Geringfügigkeitsgrenze hier aufgrund des funktionellen Wertes für A infolge der Möglichkeit der Geldabhebung mittels der (hier gleichfalls erlangten) PIN überschritten ist. Ein Strafantrag war somit nicht erforderlich.

Der Fall ist für die mündliche Prüfung im 1. Staatsexamen zum „warmlaufen“ geeignet.

Der Beschluss  des OLG Hamm vom 10.02.2011 findet sich hier. Siehe auch Schmidt, Iurratio, StrRBT 6005.

Änderung des § 113 StGB (Widerstand und gefährliche Werkzeuge) (II)

24 Nov

Das StGB hat durch das 44. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs (BGBl. I 2011 Nr. 55, S. 2130; Gesetzesbegründung BT-Drs. 17/4143) Änderungen erfahren, die gar nicht so uninteressant sind und ein paar Fragen aufwerfen. In einem früheren Artikel wurde bereits ausführlich auf die Strafrahmenerhöhung eingegangen. Im Folgenden wird dieser Teil kurz in Erinnerung gerufen und auf weitere Probleme hingewiesen:

1. § 113 StGB Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

a) Zunächst einmal wurde der Strafrahmen des § 113 Abs. 1 StGB von zwei Jahren auf drei Jahre erhöht. Der verwunderte Leser stellt fest: Der Strafrahmen ist nun der gleiche wie in § 240 Abs. 1 StGB. Wo bleibt die Privilegierung desjenigen, der in einer Affektsituation durch die Konfrontation mit Vollstreckungshandlungen Widerstand leistet? Hat die Beschränkung auf konkrete Vollstreckungshandlungen überhaupt noch seine Berechtigung, wenn diese Privilegierung ohnehin aufgehoben wird? Nein, meint der Bundesrat (BR-Drs. 646/10), und fordert eine Erweiterung auf „normale“ Diensttätigkeiten ohne Vollstreckungsbezug. Die Bundesregierung blieb, allerdings ohne allzu detaillierte Begründung, bei der Begrenzung auf Vollstreckungshandlungen. Im Ergebnis allerdings zu recht, denn die Privilegierung bleibt im Rahmen der Absätze 3 und 4 erhalten und soll gerade die Konfrontation bei staatlichen Zwangssituationen berücksichtigen.

b) Das Änderungsgesetz hat noch mehr zu bieten: Nunmehr befindet sich auch im Regelbeispiel des § 113 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB neben der „Waffe“ das beliebte „andere gefährliche Werkzeug“. Dies ist eine Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das seinerzeit die weit verbreitete Ansicht, Personenkraftwagen könnten unter „Waffe“ subsumiert werden, als Verstoß gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG bewertet hatte (Entscheidung vom 01.09.08, 2 BvR 2238/07 – NStZ 2009, 83). Nun ist es kein Geheimnis, dass die Definition des gefährlichen Werkzeugs nicht ganz unumstritten ist. Leider vermag auch die Gesetzesbegründung nur wenig zu helfen: Der Vergleich mit § 224 Abs. 1 Nr. 2 und § 244 Abs. 1 Nr. 1 a), § 250 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB stellt lediglich klar, dass die – gerade aus der Diskrepanz zwischen § 224 und § 244 entstandenen – Probleme um das gefährliche Werkzeug spurlos am Gesetzgeber vorbeigezogen sein müssen.

c) § 113 StGB ist also verschärft worden. Grund ist die gestiegene Anzahl an Vorfällen von „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ laut der Polizeilichen Kriminalstatistik von 1999 bis 2008. Es wurde festgestellt, dass insbesondere die Gewaltbereitschaft gegenüber Polizeibeamten steigt. Ob eine Verschärfung einer Regelung, die in erster Linie dem Schutz der Autorität staatlicher Vollstreckungsakte dient, Polizeibeamten vor körperlichen Übergriffen von meist alkoholisierten Widerständigen schützt, bleibt jedoch fragwürdig.

2. § 244 StGB Diebstahl mit Waffen u.a.

§ 244 StGB erhält im neuen Absatz 3 einen Privilegierungstatbestand. In minder schweren Fällen beginnt nun die untere Grenze des Strafrahmens bei einer Freiheitsstrafe von drei Monaten (im Vergleich zu sechs Monate im Normalfall). Diese Regelung soll der Regelung des § 250 Abs. 3 StGB entsprechen. Motiv für diese Neuregelung ist tatsächlich wieder – das gefährliche Werkzeug des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) Alt. 2 StGB. Denn als Folge der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 03.06.08 seien ausschließlich objektive Kriterien bei der Bestimmung dieses Merkmals heranzuziehen (BGHSt 52, 257), die allerdings, wie der Gesetzgeber auch zugibt, weiterhin umstritten sind. Um gerechte Einzelfallentscheidungen zu ermöglichen, bedürfe es dieser neuen Strafzumessungsregelung. Halten wir also fest: Statt einer eindeutigen Regelung des Merkmals und eines damit verbundenen Streitentscheids stellt der Gesetzgeber dem Richter eine weiteren unbestimmten Rechtsbegriff zur Seite und hofft auf gerechte Einzelfallentscheidungen.

3. Die gute Nachricht

Muss nicht konsequenterweise in § 113 StGB nun auch eine Regelung für minder schwere Fälle eingefügt werden? Für § 113 StGB wird wohl trotz der Änderung nicht auch noch ein Privilegerungstatbestand für Einzelfallgerechtigkeit vonnöten sein. Dort taucht das gefährliche Werkzeug ohnehin in einer Strafzumessungsregel auf.

Einstellung des Guttenberg-Verfahrens – Darf die Staatsanwaltschaft das?

23 Nov

Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hof gegen Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg wurde gemäß §153a Abs. 1 StPO eingestellt, obwohl 23 Verstoße gegen § 106 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz (Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke) festgestellt wurden (Der Verdacht auf Untreue oder Betrug wurde nicht bestätigt). Jedoch hat Guttenberg gem. § 153a Abs.1 Nr 2., 1.Alt. StPO einen Geldbetrag zugunsten der deutschen Kinderkrebshilfe geleistet (siehe auch hier, hier, hier und hier).

Schluss. Aus. Vorbei. Es wird keine Hauptverhandlung gegen ihn geben!

(Bild.de)

1. Stimmt das? Liegen die Voraussetzungen des § 153a StPO vor?

Grundsätzlich ist die Staatanwaltschaft bei Anfangsverdacht (zureichende tatsächliche Anhaltspunkte: 152 Abs. 2 StPO) verpflichtet zu ermitteln (Legalitätsprinzip). Kommt es zum hinreichenden Tatverdacht, wird Klage erhoben (§ 170 Abs. 1 StPO). Andernfalls wird das Verfahren nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO eingestellt. Daneben kann die Staatsnawaltanschaft, nach pflichtgemäßen Ermessen, unter bestimmten Voraussetzungen das Verfahren nach den §§ 153ff. StPO einstellen (Opportunitätsprinzip). Eine Möglichkeit bietet die Verfahrenseinstellung bei Erfüllung von Auflagen und Weisungen nach § 153a Abs. 1 StPO. Folgende Voraussetzungen müssten vorliegen:

a) keine vorherige Klagerhebung (sonst Abs. 2): hier (+)

b) hinreichender Tatverdacht hinsichtlich eines Vergehens (§ 12 Abs. 2 StGB): hier (+), s.o.

c) keine entgegenstehende Schwere der Schuld: hier hat die StA großen Spielraum, daher Bejahung vertretbar.

d) Geeignetheit der Auflagen das öffentliche Interesse zu beseitigen: hier str. (vertretbare Lösung auf juraexamen.info)

e) Zustimmung des Gerichts: hier AG Hof (+)

f) Zustimmung des Beschuldigten (kein Schuldeingetändnis!): hier (+)

Wenn die Voraussetzungen vorliegen und der Beschuldigte die angeordnete Auflage erfüllt, so kann die Tat als Vergehen nicht mehr verfolgt werden gem. § 153a Abs. 1 S. 5 StPO (beschränkter Strafklageverbrauch). Guttenberg hat laut StA Hof die Zahlung getätigt und damit konnte sie das Verfahren nach § 153a Abs. 1 S. 1 StPO endgültig einstellen.

2. Ist eine Hauptverhandlung nicht mehr möglich?

Theoretisch ist die Wiederaufnahme des Verfahrens möglich, wenn die selbe Tat ein Verbrechen darstellen sollte (arg. § 153a Abs. 1 S. 5 StPO). Deswegen spricht man auch von beschränktem Strafklageverbrauch. Ein Vebrechen liegt im vorliegenden Fall sicherlich nicht vor (ein gewerbsmäßiger Bandenbetrug nach § 263 Abs. 5 StGB scheidet eindeutig aus).

3. Welche anderen Möglichkeiten hatte die Staatsanwaltschaft?

Nach § 170 Abs. 2 StPO konnte wegen des hinreichenden Tatverdachts (s.o.) nicht eingestellt werden. Ob mangelnde Geringfügkeit und fehelndes öffentliches Interesse nach § 153 StPO bejaht werden kann, ist fraglich (dabei ist zu beachten, dass bei Vorliegen von öff. Interesse nur § 153a StPO zur Anwendung kommt). Die Voraussetzungen der §§ 153b ff. StPO liegen ebenfalls nicht vor. Damit hatte die StA Hof als Alternative nur noch die Klageerhebung nach § 170 Abs. 1 StPO.

Zur Kritik an § 153a StPO siehe Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 14.

Terrorismusstraftaten und der Generalbundesanwalt

17 Nov

Stein des Anstoßes zu diesem Beitrag sind freilich die aktuellen Entwicklungen rund um die sogenannte „Zwickauer Terrorzelle“ (vgl. etwa hier). Hierbei handelt es sich um ein nach Lage der Dinge rechtsextremistisches Trio (ggf. mit weiteren Unterstützern), welches über Jahre hinweg mehrere Tötungsdelikte an Kleingewerbetreibenden und Polizisten, sowie Raub- und Sprengstoffdelikte verübt haben soll. Ziel dieses Beitrages ist es ausdrücklich nicht, eine politische Diskussion über die Frage zu führen, ob der Rechtsterrorismus von verantwortlichen Stellen unterschätzt wurde (vgl. dazu etwa hier). Auch soll es nicht um die möglichen Zusammenhänge und den Verdacht der Verwicklung von Verfassungsschutzämtern gehen. Diese Fragen müssen erst im Zuge des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens (und den entsprechenden parlamentarischen Kontrollgremien) untersucht werden. Letzteres führt der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (hier, hier, hier und hier).

Aber genau dieser Punkt soll Gegenstand des Beitrags sein. Wer führt eigentlich diese Ermittlungen und warum? Interessant ist dies insbesondere für Studenten, die sich in Richtung der mündlichen Examensprüfung bewegen. Gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 8 JAG NRW ist nämlich die Kenntnis von der erstinstanzlichen Zuständigkeit in Strafsachen möglicher Prüfungsgegenstand. Aufgrund der Aktualität der Ereignisse liegt es auch nicht fern, dass Fragen dazu gestellt werden. Ich selber habe es in meiner Prüfung erlebt, dass sich geschlagene 20 Minuten um die Fragen kreisten „Wofür ist das Oberlandesgericht zuständig? Was macht der Generalbundesanwalt? Wo steht das?…“ Daher hier ein (kleiner) Überblick.

Grundsätzlich ist die Strafrechtspflege Ländersache. Daher bedarf es besonderer Regelungen, welche die Zuständigkeit etwa des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof begünden. Maßgeblich ist hier § 142a GVG. Hier wird normiert, dass der GBA grundsätzlich in allen Strafsachen zuständige Staatsanwaltschaft ist, die den Oberlandesgerichten im ersten Rechtszug gemäß § 120 Abs. 1, 2 GVG (lesen!) zugewiesen sind. Diese Vorschrift ist recht umfangreich, daher sollen uns nur die Grundsätze interessieren. Zunächst sind schwere Staatsschutzdelikte aufgeführt (etwa Friedens-, Hoch- und Landesverrat oder Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch). Sodann sind weitere schwere Straftaten aufgelistet, die man jedoch auch als „normale“ Normen des StGB kennt. Hier geht es um Tötungs- und Brandstiftungsdelikte, sowie gemeingefährliche Straftaten. Allerdings ist bei diesen Delikten erforderlich, dass der GBA die Ermittlung wegen der besonderen Bedeutung des Falles übernimmt, bzw. diese Delikte bestimmt und geeignet sind, den Bestand und die Sicherheit eines Staates zu beeinträchtigen, Verfassungsgrundsätze der BRD zu beseitigen oder Bestand und Sicherheit internationaler Organisationen zu beeinträchtigen. An die Bejahung der besonderen Bedeutung sind, vor dem Hintergrund der föderal organisierten Strafrechtspflege, strenge Anforderungen zu stellen. So ist diese anzunehmen, wenn es sich unter Beachtung des Ausmaßes der Rechtgutsverletzung um ein staatsgefährdendes Delikt von erheblichem Gewicht handelt, das die Schutzgüter des Gesamtstaates in einer derart spezifischen Weise angreift, dass ein Einschreiten des GBA und eine Aburteilung durch ein Bundesgerichtsbarkeit ausübendes Gericht geboten ist (Meyer-Goßner, StPO-Kommentar, § 120 GVG Rn. 3; BGHSt 53, 128, 140-hier).

Natürlich sind dies bereits Details, die man vom Prüfling nicht erwarten kann. Die grundsätzlichen Zuständigkeitsregeln und die „Hausnummern“ der Normen sollte man jedoch parat haben. Auch schadet es nicht, die Frage beantworten zu können, wer eigentlich zur Zeit Generalbundesanwalt ist. Da las man in den letzten Tagen in den Medien vieles und weniges stimmte. So wird die Behörde derzeit vom ständigen Vertreter des Generalbundesanwalts, Bundesanwalt Rainer Griesbaum, geleitet. Nach dem Eintritt von Monika Harms in den Ruhestand und einigen Problemen bei der Neubesetzung dieses wichtigen Amtes (der GBA ist eben politischer Beamter; vgl. § 149 GVG) haben sich nun alle relevanten Stellen (Bundesjustizministerium, Bundesregierung und Bundesrat) auf Harald Range geeinigt, der jedoch noch vom Bundespräsidenten ernannt werden muss.

Und so schnell kann es manchmal gehen: Harald Range ist als neuer GBA in sein Amt eingeführt worden!

Buchempfehlung: Eisele, Strafrecht – Besonderer Teil I

17 Nov

Auch wenn jeder selbst entscheiden muss, was für ein Lehrbuch er sich anschafft, möchte ich zumindest für die Vorlesung Strafrecht II (Nichtvermögensdelikte) folgendes Buch empfehlen:

Jörg Eisele, Strafrecht – Besonderer Teil I, Straftaten gegen die Person und die Allgemeinheit, Verlag Kohlhammer, Stuttgart, 2008, 432 Seiten, 24,80 €

Eins vorweg: das Buch habe ich vom Verlag geschenkt bekommen, was meine Meinung aber nicht beeinflusst hat.

Warum bin ich von Eisele so begeistert? Er arbeitet mit sehr vielen kleinen Beispielsfällen, was – meines Erachtens – einem wirklichen Verständnis sehr zuträglich ist. Und nicht nur die Zahl, sondern auch die Darstellung der Fälle überzeugt. In anderen Lehrbüchern werden häufig am Anfang des Kapitels mehrere Fälle geschildert, auf die dann später zurückgekommen wird. Dagegen skizziert Eisele, nachdem ein Problem abstrakt erörtert wurde, kurz den Sachverhalt und gibt sogleich Lösungsvorschläge. Das finde ich insbesondere dann, wenn man kurz etwas nachschlagen will sehr gut. Dazu geht Eisele vielfach weiter in die Tiefe als Konkurrenzprodukte, was ebenfalls bei der Benutzung als Nachschlagewerk hilfreich ist.

Zugegebenermaßen ist ein Manko des Buchs, dass es Ende 2007 fertiggestellt wurde, Neuerungen wie insbesondere das BGH-Urteil des 2. Senats zur Sterbehilfe also nicht enthalten sind – dem wird aber laut Homepage von Professor Eisele demnächst mit einer 2. Auflage abgeholfen.

Änderung des § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) – Exemansrelevant? (I)

15 Nov

Die Antwort ist: Ja! Auch wenn die Änderungen durch das 44. StGBÄndG auf den ersten Blick unscheinbar sind, bietet sich die Prüfung der neuen und alten Probleme geradezu an. Zur Erinnerung die Änderungen:

(1) Strafrahmenerhöhung in Abs. 1 von zwei auf drei Jahre

(2) Gefährliches Werkzeug als 2. Alt. neben der Waffe in besonders schweren Fall nach Abs. 2 Nr. 1

1. Strafrahmenerhöhung

Kernpunkt der Änderung ist die Anhebung der Strafandrohung des Grundtatbestandes, der nun an § 240 Abs. 1 StGB angepasst wurde. Der geringere Srafrahmen wurde bei der a.F. vom Gesetzgeber durch die besondere Zwangslage gerechtfertigt, in der sich der Täter befindet (nach Hirsch und Kindhäuser handelt es sich um ein Redaktionsversehen). Aktuelle Polizeistatistiken zeigten aber, dass Übergriffe gegen die Staatsgewalt sich bedeutend erhöht haben (30 % zwischen 1999 und 2008: BT-Drs. 17/4143, S. 6). Der Gesetzgeber sah deswegen Handlungsbedarf. Daran knüpfen neue und alte Probleme an:

a) Ist die Anhebung sinnvoll?

Das rechtspolitsche Argument dafür findet man schon oben gennant. Dagegen kann systematisch angeführt werden, dass Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte auch von §§ 223ff. und 185ff. StGB erfasst wird (so der BT selbst: BT-Drs. 17/4143, S. 6). Nicht erfasst wird aber auch weiterhin der Widerstand gegen „normale“ Diensttätigkeiten (z. B. Streifendienst, schlichte Überwachungs- und Ermittlungstätigkeiten), siehe statt aller: BR-Drs. 646/10, S. 2. Eine Ausweitung auf diese Personengruppe wurde von der Bundesregierung jedoch abgelehnt mit Verweis auf den ausreichenden Schutz durch die §§ 223ff. StGB (!) (BT-Drs. 17/4143, S. 11).

b) Welche Rechtsgüter schützt § 113 StGB?

Unstreitig soll das rechtmäßige staatliche Vollstreckungshandeln geschützt werden. Überwiegend wird daneben auch der Schutz der Vollstreckungspersonen selbst gennant (BGHSt. 21, 334, 365). Diese müssen jedoch zum Tatzeitpunkt eine Vollstreckungshandlung vornehmen. Andernfalls kommt § 240 StGB zur Anwendung.

c) Verhältnis zu § 240 StGB?

Traditionell ist § 113 StGB lex specialis zu § 240 StGB. Argumente waren neben den Schutzgütern auch der geringere Strafrahmen. Nach dessen Modifizierung, können immerhin noch die Abs. 3 und insb. 4 als besondere Voraussetzungen die Priviligierung rechtfertigen. Konsequenz daraus ist, dass § 113 StGB eine Sperrwirkung entfaltet, wenn der Widerstand des Täters nicht unter den Tatbestand fällt. Anders verhält es sich, wenn das Opfer kein taugliches Tatobjekt ist (z.B. eine Politesse). Hier soll § 240 StGB anwendbar sein (str.). Fraglich ist daneben auch ob der Gewaltbegriff des § 113 von § 240 StGB abweicht (str.).

Schließlich wirkt sich die Änderung auch auf folgenden Irrtum aus: der Täter glaubt gegen eine Vollstreckungshandlung Widerstand zu leisten. Hier wurde entweder § 240 StGB mit dem Strafrahmen des § 113 StGB angewendet oder letzterer gem. § 16 II StGB analog angewendet. Vereinzelt wurde gar Straflosigkeit angenommen. Diese Lösungswege könnten obsolet werden, wenn man keinen Irrtum über die (entfallene) Prviliegerungssituation mehr annimt.

Zu (2) hier.

Zwischenruf – Vorlesung Strafrecht GK III

14 Nov

An dieser Stelle will ich eine Beobachtung ansprechen, die ich in den letzten Semestern verstärkt gemacht habe. Sie betrifft die Hörerzahl in der Vorlesung Strafrecht GK III. Diese ist traditionell immer geringer, als diejenige in den ersten beiden Semestern. Da die meisten Studenten ihre zwei Strafrechtsscheine im GK I und GK II erledigen, höre ich oft von ehemaligen AG-Teilnehmern: „Jetzt mache ich erstmal die Zivilrechtsscheine und die Grundlagenfächer.“

Das ist zunächst sehr verständlich. Dennoch möchte ich etwas Salz in die Wunde streuen. Gerade die im GK III behandelten Normen und Probleme taugen nicht zur berühmten „Lücke“. Auch darf die erhebliche Examensrelevanz der Vermögens- und Anschlussdelikte keineswegs unterschätzt werden. Die große Zahl verschiedenster Betrugskonstellationen, der Diebstahl in Gestalt von Qualifikation und Regelbeispiel und last but not least Raub und räuberische Erpressung haben es „in sich“. Gleiches ist für die Anschlussdelikte (vgl. dazu auch den Beitrag von Swantje Kreuzner hier im Blog) zu konstatieren, die immer wieder Gegenstand von Examensklausuren sind. Auch sollte man nicht zu sehr auf das (wohl unvermeidliche) Rep warten, wo das dann schon alles erklärt wird. Die Vermittlung dieser Grundlagen geschieht in einem ersten Schritt am besten im Rahmen der Vorlesung, zu deren Besuch ich daher nachdrücklich auffordern will!

Heckler & Koch – Libyen, ein Exportverbot und G36-Sturmgewehre in den Händen des Gaddafi-Regimes?

14 Nov

Wie man den aktuellen Nachrichten entnehmen konnte, wurden G36-Sturmgewehre, die normalerweise von der Bundeswehr eingesetzt werden und von dem weltweit bekannten Waffenproduzenten „Heckler & Koch“ stammen, von Gaddafi-Anhängern und Regimesympathisanten genutzt.  Ein zunächst verhängtes Waffenembargo (Exportverbot von Waffen in dieses Land) gegen Libyen aus dem Jahr 1986 hob die EU zwar im Oktober 2004 wieder auf. Aufgrund der sich zuspitzenden Lage im Februar und März 2011 und der Attackierung von Regime-Gegnern im Rahmen des eintretenden Bürgerkrieges, der sich an die Revolutionsbewegungen in Ägypten und Tunesien anschloss, wurde jedoch erneut ein Waffenembargo gegen Libyen etabliert.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat nach Bekanntwerden des Sachverhalts die Ermittlungen gegen den Waffenproduzenten eingeleitet. Heckler & Koch beruft sich darauf, dass die Gewehre und Munition aus einer von den deutschen Behörden genehmigten, 2003 an die ägyptische Regierung adressierte Lieferung stammen, die 608 Gewehre und 500.000 Projektile umfasste. Einem offiziellen Schreiben an den Auswärtigen Ausschuss des Bundestages lässt sich entnehmen, dass Heckler & Koch selbst den Sachverhalt durch Experten vor Ort klären und keine Zweifel an der Integrität des Konzerns und der deutschen Exportkontrolle aufkommen lassen will. Ob es hierbei darum geht, die Reputation des „Rüstungs-Riesen“ zu wahren oder ob tatsächlich kein Verstoß gegen das Waffenembargo und etwaige einschlägige Gesetze vorliegt, werden die Ermittlungen noch zeigen. Trotz der Tatsache, dass es sich um ein eher exotisches Thema handelt, möchte ich auf Fundstellen in der Rechtsprechung im Zusammenhang mit Embargos hinweisen.

In BGH NStZ-RR 2003, 55 ging es um einen Flüchtling aus dem Irak, der anderen in Deutschland ansässigen Landsleuten bei der finanziellen Unterstützung der im Irak verbliebenen Verwandten half, indem er Geld an seinen Bruder im Irak überwies und dieser das Geld nach Abzug einer Provision an die Verwandten weiterleitete. BGHSt 41, 127 befasst sich mit der Strafbarkeit der Beförderung von Privatpersonen im Busverkehr von Deutschland nach Serbien Montenegro während des UN-Embargos. Eine Vielzahl weiterer Fälle lassen sich auf hrr-strafrecht.de finden. Auch, wenn es sich um teils exotische Vorschriften handelt, mit denen der Rechtsstudent während seines Studiums nie in Berührung kommen wird, werden auch hier Grundkenntnisse des Strafrechts gefordert.

Im Übrigen steht Heckler & Koch aktuell im Verdacht, den Drogenkrieg in Mexiko mit Waffenlieferungen geschürt zu haben. Wie n-tv berichtet, haben rund 300 Beamte des Landeskriminalamtes Büros des Waffenherstellers am Firmensitz in Oberndorf durchsucht.

Ein kurioser Fall – Einbruch in Grevenbroich

12 Nov

Recht kurios mutet folgender Sachverhalt an, der sich am Dienstag gegen 13 Uhr in der Schillerstraße in Grevenbroich ereignete: Eine Einbrecherin brach ein Kellerfenster auf und kletterte in das Haus. Dort sammelte sie Kosmetikartikel, Nahrungsmittel und Spirituosen, die sie für den Abtransport bereit stellte. Auch Kleingeld soll der 42-jährigen Frau „zum Opfer gefallen sein“. Während die Bewohner des Hauses zunächst abwesend waren, kamen die Kinder der Familie in der Folgezeit nach Hause. Davon ließ sich die Einbrecherin jedoch nicht irritieren, verzehrte Brötchen mit Mortadella, Tomaten, Leberwurst, Zwiebeln, Croissants und komplettierte das Mahl mit ein paar Gläsern Sekt. Auch ein Ansprechen seitens der Kinder und der darauf folgende Anruf bei der Polizei konnten die Frau nicht davon abhalten, sich in den Garten des Hauses zu begeben und Würstchen zu grillen. Als die Polizei schließlich eintraf und die Frau festnahm, erzählte diese, dass sie eigentlich mit der Bahn nach Köln fahren wollte, dann aber aufgrund ihres Appetits in Grevenbroich einen „Zwischenstopp“ eingelegt hätte. Die 42-jährige Frau erwartet nun ein Strafverfahren.