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Das Bierbike – Partyspaß oder Sondernutzung?

10 Nov

Der Kölner Express titelt „Politik will Bierbikes verbieten“: Ein schöner Anlass sich einmal mit dem Phänomen des „rollenden Partyspaß“ auseinanderzusetzen, das sogar schon für eine kleine Anfrage im Landtag von BaWü gesorgt haben.

Die sog. Bierbikes sind Fahrzeuge mit vier Rädern für bis zu 16 Personen, die sich an einer Art Theke gegenübersitzen. Diese Personen treiben das Gefährt – meist unterlegt mit Musik aus einer Soundanlage – durch Muskelkraft an (Geschwindigkeit max. 6 km/h). Dabei kann Bier konsumiert werden. Das Steuern und Bremsen übernimmt ein Mitarbeiter des Vermieters, der selbst nüchtern bleibt.

Prozessgeschichte um die Bierbikes

Mit Ordnungsverfügung untersagte die Ordnungsbehörde einer Betreiberin sog. Bierbikes die Benutzung auf öffentlichen Straßen. Das VG Düsseldorf wies Klagen gegen Verbotsverfügungen ab. Unter anderem wurde die Begründung mit Hinweisen auf YouTube-Videos (vgl. nur hier) illustriert. Das OVG Münster hat die Berufung im Frühjahr zugelassen; das Urteil wird am 23.11. gesprochen.

Bierbikes als Sondernutzung?

Die Sondernutzung im Straßen- und Wegerecht wird in § 18 Abs. 1 StrWG NRW definiert als die Straßennutzung, die weder Gemeingebrauch noch Anliegergebrauch ist. (Gemeingebrauch oder Sondernutzung? Das bestimmt sich nach der straßenrechtlichen Widmung.) Das Fahren mit dem Bierbike hat Verkehrsbezug, schließlich führt es zu einer Ortsveränderung. Einer Ansicht nach reicht das aus um einen Gemeingebrauch anzunehmen. Diese Ortsveränderung habe für die Teilnehmer der Fahrt einen hinreichend hohen Stellenwert.
Wer ein Bierbike – beispielsweise auf dem Kölner Ring – einmal live und in Aktion gesehen hat, wird an dieser Einschätzung wohl seine Zweifel haben. Meist steht faktisch das Sich-selbst-zur-Schau-stellen und nicht so sehr das Zurücklegen einer Strecke im Vordergrund (auch wenn die Selbstdarstellung auf der Betreiberhomepage mittlerweile anders anmutet). Nun gut: Wenn man also grundsätzlich einen Gemeingebrauch durch die Bierbikes annimmt, darf dieses Verhalten nicht zu einer Beeinträchtigung anderer führen. Wer schon einmal im Berufsverkehr hinter einem solchen Gefährt schleichen musste, wird wohl meinen, dass schon das langsame Tempo für sich genommen eine Beeinträchtigung darstellt. Aber: Im Straßenverkehr gibt es grundsätzlich keine „Mindestgeschwindigkeit“. § 3 Abs. 2 StVO verbietet nur Kraftfahrzeugen ohne triftigen Grund derart langsam zu fahren, dass der Verkehrsfluss behindert wird. Langsames Fahren für sich genommen ist allerdings keinesfalls verboten – wenn es der Bauart des Fahrzeugs immanent ist. Also: Keine übermäßige Beeinträchtigung anderer durch langsames Fahren.

Verbotsverfügung auf Grundlage der Generalklausel § 14 Abs. 1 OBG NRW?

Dafür müsste das Fahren mit dem Bierbike im Straßenverkehr eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen.
Hier bietet sich Diskussionspotential. Hingewiesen sei an dieser Stelle lediglich auf eine mögliche Strafbarkeit der Teilnehmer gemäß § 316 StGB, schließlich wird während der Fahrt Bier konsumiert. Allerdings ist Fahrzeugführer des Bierbikes der nüchterne Mitarbeiter des Betreibers, schließlich lenkt dieser das Gefährt.

Fazit: Wenn man Fahrten mit dem Bierbike als Gemeingebrauch im Straßen- und Wegerecht ansieht, gibt es keine Möglichkeit, ein Verbot durchzusetzen. Denkbar wäre eine ständige Verwaltungspraxis der Ordnungsbehörde, allerdings wäre auch diese gerichtlich voll überprüfbar (Danke Oli :D).
In Köln haben sich als Zielgruppe der Bierbikes wohl Junggesellenabschiede aus dem Umland herausgestellt. Dabei scheint es einen Mallorca-Effekt zu geben: In der fernen Großstadt auf dem Ring „die Sau raus lassen“, es kennt einen schließlich niemand. Als Anwohnerin kann ich persönlich die vom VG Düsseldorf beschriebenen Störungen, welche von Passagieren eines solchen Bierbikes ausgehen nur bestätigen (Grölen, Anpöbeln von Passanten usw.). Dazu sei angemerkt, dass derartiges Verhalten wohl eher auf den Alkoholkonsum denn auf die Nutzung des Bierbikes zurückzuführen ist.

Zur Vertiefung und Vorbereitung auf die mündliche Prüfung sei die Lektüre des Beitrags „Das Bierbike – Nachwuchs bei den Sondernutzungsfällen?“ von Lund, DVBl 2011, 339 empfohlen. Der Autor ist der Ansicht, dass es keine Handhabe der Ordnungsbehörden gegen Bierbikes gibt (alle Argumente konnten an dieser Stelle nicht erwähnt werden). Hier abrufbar aus dem Uninetz.

Neulich in der BILD (I): „10 Urteile, die uns wütend machen!“

8 Nov

Die Schlagzeile müsste wohl eher lauten „10 Urteile, die (nach BILD-Meinung) wütend machen sollen!“
Im Folgenden (zu dem Aufhänger des Artikels vgl. den Beitrag von Fabian Stam) sollen einige Punkte der Darstellung einer kritischen Würdigung unterzogen werden:

Mutter ließ Kind allein im Müll leben – Bewährung
„So einen schlimmen Fall von Vernachlässigung hat Deutschland selten erlebt: 2007 zog Erzieherin Gabriele S. (47) zu ihrem neuen Liebhaber – und ließ ihre vier Kinder (9–12) alleine in ihrer völlig versifften Berliner Wohnung zurück. Ihr Ältester, Joshua (12), musste alleine für seine Geschwister sorgen. Die Müll-Mutter bekam neun Monate auf Bewährung wegen Verletzung der Fürsorgepflicht.“
Fazit: Ich bin für die Aufnahme des Begriffs „Müll-Mutter“ (m.E. menschenverachtend) in das „Bild“-Wörterbuch. Dort findet er eine liebevolle Heimat neben anderen Bild-Neologismen wie „Blutschande-Kinder“, „Hamster-Dödel“, „Schniedel-Woods“ und unvergessen der „Fesselsex-Oma“ (vgl. dazu auch „Fesselsex-Anwalt“).

Mann erschlägt seine Frau – Freispruch
„Ingrid K. (†64) aus Rheinland-Pfalz hatte ihrem Mann gerade noch sein Lieblingsessen gekocht. Plötzlich nahm Ehemann Gerd K. (63) ein Gipsbeil, prügelte mit 20 Schlägen auf seine Frau ein – so lange, bis sie tot war! Der Softwareentwickler behauptete beim Prozess im Herbst 2007, er wisse all das nicht mehr – und wurde freigesprochen. Seinen Job behielt der Mann.“
Fazit: Sieht so aus, als handele es sich um einen Freispruch „zweiter Klasse.“ Herrn K. konnte die Tat nicht nachgewiesen werden. Was das mit dem Lieblingsessen oder seinem Arbeitsplatz zu tun hat, man weiß es nicht…

Stiefmutter vergiftet Mädchen – Bewährung
„Eine Frau (23) aus Süddeutschland mischte ihrer kleinen Stieftochter Angelina (†4) zwei Esslöffel Salz in den Schokopudding, vergiftete sie damit! Das Kind starb – trotzdem schloss das Schwurgericht des Landgerichts Frankentahl (korrekt wohl: Frankenthal, Anm. d. Verf.) einen Mord aus, verurteilte die Frau nur wegen vorsätzlicher Körperverletzung: 14 Monate auf Bewährung.“
Fazit: Hier handelt es sich um das tragische Geschehen aus BGHSt 51, 18 (Kochsalzintoxikation). Allerdings ist schon der Sachverhalt falsch wiedergegeben: Die Stiefmutter mischte das Salz keinesfalls in den Pudding, vielmehr trug sich die Geschichte so zu: Am Nachmittag des Tattages befand sich die Angeklagte allein mit ihrem Baby und der später verstorbenen Angelina in ihrer Wohnung. Während sie im Wohnzimmer damit beschäftigt war, den Säugling zu füttern, begab sich Angelina in die Küche und holte sich einen 200-Gramm-Becher Schokoladenpudding mit Sahne aus dem Kühlschrank. Ersichtlich um den Pudding zusätzlich zu süßen, wie sie es zuvor bei Erwachsenen im Umgang mit Joghurt beobachtet hatte, wollte sie Zucker darüber streuen, nahm stattdessen aber irrtümlich eine Salzpackung und rührte ca. 32 Gramm Kochsalz in die Süßspeise. Gleich beim ersten Kosten bemerkte sie, dass der Pudding ungenießbar war, und ließ ihn stehen. Als nunmehr die Angeklagte in die Küche kam und die auf dem Boden liegende Salzpackung sowie den ungegessenen Pudding sah, stellte sie Angelina zur Rede, die ihr bedeutete, dass der Pudding „widerwärtig“ schmecke und sie ihn nicht essen wolle. Die Angeklagte wurde zornig. Obgleich sie richtig folgerte, dass das Mädchen versehentlich Salz in die Süßspeise eingerührt hatte, veranlasste sie das sich sträubende Kind zu dessen Erziehung und Bestrafung, die Schokoladencreme vollständig auszulöffeln. Sie nahm dabei zumindest billigend in Kauf, dass der Konsum dieser Speise bei dem Mädchen zu Magenverstimmungen, Bauchschmerzen oder Unwohlsein führen würde. Jedoch wusste sie weder, wie viel Salz genau die Süßspeise enthielt, noch war ihr bekannt, dass die Aufnahme von 0,5 bis 1 g Kochsalz pro Kilogramm Körpergewicht (Angelina wog 15 kg) in aller Regel zum Tode führt. Wenig später klagte Angelina über Übelkeit und musste erbrechen; auch setzte bei ihr alsbald starker Durchfall ein. Als sich der Zustand des Kindes im Verlauf der nächsten halben Stunde zusehends verschlechterte und es schließlich kaum mehr Reaktionen zeigte, brachte die Angeklagte das Mädchen ins Krankenhaus, wo es um 17.30 Uhr bereits im komatösen Zustand eintraf. Dort wurde sogleich eine extreme Hypernatriämie (Kochsalzintoxikation) festgestellt. Trotz Notfallbehandlung verstarb das Mädchen 34 Stunden nach seiner Aufnahme.
Fazit: Tatsächlich verurteilt wurde die Täterin wegen gefährlicher Körperverletzung (Salz – in derartiger Überdosierung – als gesundheitsschädlicher Stoff). Tötungsvorsatz hatte die Täterin nicht. Eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge kommt mangels Fahrlässigkeit (Element der Vorhersehbarkeit) hinsichtlich der Todesfolge nicht in Betracht („zwar sei der Tod kausal auf die der Angeklagten anzulastende Körperverletzung zurückzuführen, jedoch habe nur eine in Gesundheitsfragen überdurchschnittlich sachkundige Person die Todesfolge vorauszusehen vermocht; dass bereits verhältnismäßig geringe Mengen Kochsalz im Körper letale Folgen haben können, gehöre weder zum vorauszusetzenden Allgemeinwissen noch sei der Angeklagten eine solche Voraussehbarkeit nach ihren persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten anzulasten.“) Die 14 Monate Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, sind über der Mindeststrafandrohung (sechs Monate) des § 224 StGB angesetzt. Nach § 56 Abs. 1 StGB wird zur Bewährung ausgesetzt, wenn die Freiheitsstrafe unter einem Jahr bleibt und eine positive Prognose (keine Straftaten mehr zu begehen) erfolgt. Hier (14 Monate) greift Abs. 2 nach welchem eine Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit besondere Umstände vorliegen. Hier: Die Täterin war selbst Mutter eines Säuglings. Diesen für gerade in der Kleinkindphase von der Mutter zu trennen dient wohl nicht dem Kindeswohl. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Täterin fortan damit leben muss, den Tod des Kindes ihres Lebensgefährten verursacht zu haben (vgl. Rechtsgedanke des § 60 StGB). Man könnte also zusammenfassend sagen: Mit den Geschehnissen und der moralischen Verantwortung ohnehin bis ans Lebensende bestraft.

Taxifahrer tötet Frau – Richter zeigt Verständnis
„Taxifahrer Joachim G. (56) aus Berlin war 26 Jahre lang mit Ehefrau Christina (†55) verheiratet – im Juli 2010 gestand er ihr eine Affäre, sie rastete aus. Da drückte er ihr ein Kissen aufs Gesicht, erstickte sie. Urteil des Gerichts: fünf Jahre wegen Totschlags. Der Richter zeigte Verständnis für den Angeklagten, gewährte ihm Haftverschonung – und sagte: „Er wollte doch nur seine Ruhe haben …“
Fazit: Das macht den Eindruck, als könne eine Haftstrafe „einfach so“ umgangen werden. Die StPO kennt im Abschnitt zur Strafvollstreckung Regeln zur Haftverschonung. Diese ist allerdings stets an Voraussetzungen geknüpft und wird nicht gewährt, weil „jemand einfach seine Ruhe haben wollte“.

Entschädigung für Kindermörder
„Auch er sorgt immer wieder für Empörung: Seit 2003 brummt der eiskalte Kindermörder Magnus Gäfgen (36) im Knast. Er hatte den Bankierssohn Jakob von Metzler entführt, erwürgt, in einem Weiher versenkt. Im Verhör glaubten die Ermittler, der Junge lebe noch, drohten dem Entführer in ihrer Verzweiflung mit körperlichen Schmerzen. Dafür bekam Gäfgen im August 3000 Euro Entschädigung zugesprochen.“
Fazit: Hierzu brauche ich wohl nicht mehr viel sagen. Ich verweise gerne auf die Darstellung von bildblog.de mit dem treffenden Titel „Die Perversion des Rechtstaats“.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft und der Erlaubnistatbestandsirrtum

8 Nov

Nicht der BILD-„Zeitung“, sondern einer Pressemitteilung der Deutschen Polizeigewerkschaft vom 3. November 2011 entstammen die folgenden Zeilen:

Mit Fassungslosigkeit hat die Deutsche Polizeigewerkschaft  (DPolG) auf das heutige Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) reagiert, nachdem ein Mitglied der Rockerbande „Hells Angels“ aufgrund irrtümlich angenommener Notwehr freigesprochen worden ist. Der Rocker hatte im März 2010 einen SEK Beamten erschossen und war danach zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt worden. DPolG Bundesvorsitzender Rainer Wendt: „Dieses Urteil sendet ein schlimmes Signal an die Polizei und die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, unsere Polizistinnen und Polizisten fühlen sich einmal mehr zum Abschuss freigegeben. Den Schlusssatz „Im Namen des Volkes“ hätten die Richter sich besser erspart, denn außer ihnen selbst versteht in Deutschland niemand dieses Urteil. Überdies beschwört der Bundesgerichtshof mit seinem Urteilsspruch eine neue Spirale der Gewalt zwischen Rockerbanden und der Polizei herauf. Offensichtlich geht die Justiz nach diesem Urteil davon aus, dass beim Zusammentreffen rivalisierender Rockerbanden der Einsatz brutalster Gewalt bis hin zum Gebrauch von Schusswaffen an der Tagesordnung und von Richtern gedeckt ist. Zu fragen ist, ob diese Maßstäbe auch künftig für den polizeilichen Schusswaffengebrauch gelten sollen. Die Richter bedienen sich der Sprache gewaltbereiter Rockerbanden, wenn sie dem Täter eine optimale „Kampfposition“ zubilligen, das ist einer seriösen Rechtsprechung unwürdig. Der Inneren Sicherheit und auch der Rechtspflege in Deutschland hat der BGH einen Bärendienst erwiesen!“

Eins vorweg: Natürlich verstehe ich die Trauer, Wut und vielleicht auch Angst, die aus diesen Worten spricht. Die Arbeit von Polizisten ist sicher keine einfache, insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender Gewaltbereitschaft ihnen gegenüber. Aber auch, wenn es sich bei der DPolG um eine Interessenvertretung von Polizisten handelt, sollte doch wenigstens ein Mindestmaß an Objektivität gewahrt werden.Die Pressemitteilung liest sich dagegen eher wie das Ergebnisprotokoll eines Stammtischabends.

„Ein schlimmes Signal“ wäre es entgegen der Auffassung von Rainer Wendt, hätte man dem Angeklagten die strafausschließende Wirkung des Erlaubnistatbestandsirrtum nicht zugute kommen lassen – auch wenn man der Rockerszene keine großen Sympathien entgegen bringt. Denn in deren Genuss wäre jeder Bürger gekommen, der sich einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff ausgesetzt glaubt. Führt man „dem Bürger“ dies vor Augen, ist er vielleicht auch zu einer vernünftigen Beurteilung der Entscheidung in der Lage. Es ist keine unseriöse Rechtsprechung, wenn der BGH dem Angeklagten „eine optimale ‚Kampfposition’“ zubilligt, sondern entspricht vielmehr der ständigen Rechtsprechung, nach der der Verteidigende sich „nicht auf einen ungewissen Kampf einlassen“ (Fischer, StGB, 58. Aufl. 2011, § 32 Rn. 33a) muss. Die Frage „ ob diese Maßstäbe auch künftig für den polizeilichen Schusswaffengebrauch gelten sollen“ suggeriert darüber hinaus, dass Polizisten, wenn sie sich über eine Gefahrenlage irren und aufgrund dessen fälschlich zur Schusswaffe greifen, strafrechtlich übermäßig hart zur Verantwortung gezogen würden – dies ist aber nicht der Fall! Vielmehr gelten für Polizisten natürlich dieselben Grundsätze wie für jeden anderen.

Beiträge zu dem Urteil finden sich zum Beispiel hier, hier und hier.

„Der Hehler ist schlimmer als der Stehler!“

28 Okt

Dieser alte Repetitor-Spruch beschreibt die sog. Perpetuirungstheorie im Rahmen des § 259 StGB: Durch die Verschiebung des rechtswidrig erlangten Besitzes verringert sich die Chance des Opfers der Vortat (z.B. Diebstahl), die Sache wiederzubekommen. Zudem bietet die Hehlerei oftmals erst den Anreiz zur Vortat (Wo keine Absatzmöglichkeiten, da weniger Diebstähle). Im Strafmaß schlägt sich dieser vermeintlich höhere Unrechtsgehalt jedenfalls nicht nieder.

Stein des Anstoßes

Vor einigen Tagen habe ich mir – zur Vorbereitung auf den staatsanwaltlichen Sitzungsdienst im Referendariat – eine Verhandlung vor dem AG Köln angesehen. Der türkischstämmige Angeklagte hatte vor einem Kiosk in Köln-Ehrenfeld von einer unbekannten Person ein Apple iPad (weiß) zum Preis von 100€ erstanden. Die unbekannte Person habe dabei behauptet, Eigentümer des iPads zu sein. Ein Ladekabel sei nicht enthalten gewesen. Später wurde der Angeklagte von Streifenpolizisten auf das iPad angesprochen; es stellte sich heraus, dass es am Vortag aus einem KFZ entwendet wurde.

Gang der Verhandlung

Der Angeklagte erschien ohne Verteidiger. Nachdem die Anklage verlesen wurde, wollte er sich zur Sache äußern und erklärte, dass er das iPad keinesfalls gestohlen habe, nur gekauft. Er habe also „mit der ganzen Sache nichts zu tun“. Richter und Staatsanwalt erklärten daraufhin, dass ihm ja auch keinesfalls der Diebstahl, § 242 StGB, sondern eine Hehlerei, § 259 StGB, zur Last gelegt werde. Daraufhin wendete der Angeklagte ein, er habe
1. nicht gewusst, dass das iPad gestohlen ist
2. das Gerät schon gar nicht als iPad erkannt, sondern es vielmehr für einen „Mini-Fernseher“ gehalten.
3. Straßenverkäufe von Elektrogeräten seien in seinem Viertel üblich.

Wie sind diese Einlassungen zu bewerten?

Schützt Nichtwissen um die Vortat vor Strafe?

Ja. Die subjektive Seite des § 259 StGB fordert mindestens Eventualvorsatz (billigendes Inkaufnehmen) hinsichtlich der rechtswidrigen Herkunft des Tatobjekts. Im vorliegenden Fall beteuerte der Angeklagte, er habe den Verkäufer für den Eigentümer des iPad gehalten. Um zu bestimmen, ob der Täter eine rechtswidrige Herkunft des Tatobjekts billigend in Kauf genommen hat, werden die Gesamtumstände berücksichtigt: Ankauf auf der Straße, Handel mit einer unbekannten Person, fehlende Verpackung und Zubehör, und auch der geringe Preis iHv 100€ gegenüber dem Ladenpreis von weit über 400€. An dieser Stelle wird die Einlassung des Angeklagten relevant, er habe das Gerät für einen Minifernseher gehalten. Ein gebrauchter Minifernseher wäre zu dem Preis jedenfalls nicht derart billig, dass ein Verdacht der deliktischen Herkunft sich hätte aufdrängen müssen. Fraglich bleibt also, wie glaubhaft es ist, dass jemand ein iPad nicht als solches erkennt. Meine persönliche Einschätzung: Gering. Auch die Sozialüblichkeit eines Straßenhandels mit Elektrogeräten in Köln-Ehrenfeld ist mir jedenfalls nicht bekannt.
Dem Angeklagten jedenfalls halfen seine Beteuerungen nicht, er wurde zu Tagessätzen wegen Hehlerei verurteilt.

Ende der Geschichte

Als ich das Gerichtsgebäude verließ, sprach mich der nun verurteile Hehler an: Er habe mich im Zuschauerraum gesehen, ob ich die Eigentümerin des iPads sei? Wenn ja, wolle er sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigen. Ich erwiderte vielmehr zu Ausbildungszwecken in der Verhandlung gewesen zu sein. Daraufhin beteuerte er – wenigstens eine Person solle ihm glauben – er habe – und das schwöre er „auf Alles“ – das iPad nicht gestohlen.
Ich musste tief Luft holen und versuchte ihm zu erklären, was Hehlerei überhaupt bedeutet und dass ihm keinesfalls der Diebstahl zur Last gelegt wurde. Ob er es verstanden hat, ich weiß es nicht, ich habe mich trotzdem irgendwie dazu verpflichtet gefühlt 😉

Lektüreempfehlung

Aktuelles zur subjektiven Tatseite der Hehlerei: LG Karlsruhe, JuS 2008, 174. (Zur Frage, ob der Startpreis von 1€ bei einer ebay-Auktion den Verdacht einer deliktischen Herkuft der Ware hervorrufen muss. Das LG verneint diese Frage, weil der Startpreis von 1€ bei ebay-Auktionen traditionell einen „Schaukel-Effekt“ unter den Bietern auslösen soll.)

Examensrelevanz

Die Examensrelevanz der Anschlussdelikte sollte nicht unterschätzt werden. Einen guten Überblick zur Hehlerei findet sich bei Jahn/Palm, JuS 2009, 501.

Ist das Jurastudium wirklich so einfach, Kollegah?

19 Okt

Der deutsche Rapper Kollegah studiert parallel zu seiner Rapkarriere Jura in Mainz. In der HHNoise erzählt er wie er sein Studium bewältigt:

Um dir einen Einblick zu geben, mein Studium läuft ganz simpel ab. Ich bin Student der Universität Mainz und da gibt es ja keine Anwesentheitspflicht. Ich muss also nirgendwo erscheinen, außer zu den Klausuren. Ich bewältige das gesamte Studium autodidaktisch, setze mich dann mit zwei Büchern und einer guten Zigarre in den Stadtpark und lese mir den Stoff einfach durch. So gesehen nehme Ich eigentlich gar nicht im Unileben teil, sondern schreibe da meine Klausuren und gehe wieder nach Hause. Was Hausarbeiten betrifft, ich gehe dafür nicht in die Bibliothek. Ich setze mich zu Hause hin, hole mir fünf Gramm Flex*, schreibe eine Hausarbeit in zwei Tagen und kriege dafür geile Noten. So läuft mein Studium. (…) Ich habe meine letzte Hausarbeit in zwei Tagen geschrieben, das schwöre ich Dir und habe dafür 12 Punkte bekommen.

*Kokain

Irgendetwas muss ich bei meinem Studium falsch gemacht haben… Oder ist in Mainz alles besser?

Randnotiz

9 Okt

Ich bin bei juris über den Beschluss StAZ 2001, 177 des LG Saarbrücken zur elterlichen Namenswahl gestolpert.

„Der Vorname „Sundance“ für ein männliches Kind verstößt nicht gegen das Gebot der Geschlechtsoffenkundigkeit. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Wahl dieses Vornamens das Kind der Lächerlichkeit preisgibt. Daher ist der Name „Sundance“ in das Geburtenbuch einzutragen.“

Sundance dürfte ja mittlerweile kurz vor der Pubertät stehen. Ich würde ihn nur allzu gern einmal selbst dazu befragen 😉

Amanda Knox und der deutsche Instanzenzug

5 Okt

Die Amerikanerin Amanda Knox ist frei – das Berufungsgericht im italienischen Perugia konnte ihr und dem Mitangeklagten den zur Last gelegten Mord an ihrer Mitbewohnerin nicht nachweisen. In Deutschland wäre es – soweit sich mir der Fall aus den Medien erschließt – wohl nicht zu diesem Freispruch gekommen. Aber langsam:

Die Tat wäre in Deutschland gemäß § 74 Abs. 1 GVG erstinstanzlich vor dem Landgericht verhandelt worden. In diesem Verfahren werden Beweise erhoben (Beweismittel sind Zeugen-, Sachverständigen-, Urkunden- und Augenscheinsbeweis) und gewürdigt; bei der Beweiswürdigung, d.h. der Frage, welche Schlüsse es aus den Beweismitteln zieht, ist das Gericht grundsätzlich frei, § 261 StPO. Aufgrund dieser Beurteilung der Beweise fällt das Gericht sein Urteil.

Zum Verständnis, warum Knox in einem deutschen Strafverfahren nicht freigesprochen worden wäre, ist ein kurzer Überblick über die Rechtsmittel im deutschen Recht nötig: Rechtsmittel sind Berufung und Revision. Bei der Berufung wird neu über die Sache entschieden, und es findet eine neue Beweisaufnahme statt. In der Revision wird nur überprüft, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, aber nicht, ob der Täter die Tat wirklich begangen hat. Deshalb kann eine Revision mit der Begründung „Ich war’s nicht!“ auch niemals Erfolg haben. Was die Beweiswürdigung angeht, prüft das Revisionsgericht nur, ob sie „widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind“.

Gegen erstinstanzliche Urteile des Amtsgerichts kann der Verurteilte Berufung oder Revision einlegen – gegen das Berufungsurteil kann er noch Revision einlegen. Gegen erstinstanzliche Urteile des Landgerichts steht dem Angeklagten aber nur die Revision zur Verfügung. Eine zweite Beweisaufnahme findet nicht statt. Der sprichwörtliche Eierdieb, der vor dem Amtsgericht angeklagt wird, hat zwei Instanzen, an die er sich wenden kann, der Mörder nur eine.

In der Revision und damit in einem deutschen Strafverfahren hätte Amanda Knox mit ihrem Schlussplädoyer und ihrem letzten Satz „Sono innocente!“ deshalb nichts ausrichten können.