Die Schlagzeile müsste wohl eher lauten „10 Urteile, die (nach BILD-Meinung) wütend machen sollen!“
Im Folgenden (zu dem Aufhänger des Artikels vgl. den Beitrag von Fabian Stam) sollen einige Punkte der Darstellung einer kritischen Würdigung unterzogen werden:
Mutter ließ Kind allein im Müll leben – Bewährung
„So einen schlimmen Fall von Vernachlässigung hat Deutschland selten erlebt: 2007 zog Erzieherin Gabriele S. (47) zu ihrem neuen Liebhaber – und ließ ihre vier Kinder (9–12) alleine in ihrer völlig versifften Berliner Wohnung zurück. Ihr Ältester, Joshua (12), musste alleine für seine Geschwister sorgen. Die Müll-Mutter bekam neun Monate auf Bewährung wegen Verletzung der Fürsorgepflicht.“
Fazit: Ich bin für die Aufnahme des Begriffs „Müll-Mutter“ (m.E. menschenverachtend) in das „Bild“-Wörterbuch. Dort findet er eine liebevolle Heimat neben anderen Bild-Neologismen wie „Blutschande-Kinder“, „Hamster-Dödel“, „Schniedel-Woods“ und unvergessen der „Fesselsex-Oma“ (vgl. dazu auch „Fesselsex-Anwalt“).
Mann erschlägt seine Frau – Freispruch
„Ingrid K. (†64) aus Rheinland-Pfalz hatte ihrem Mann gerade noch sein Lieblingsessen gekocht. Plötzlich nahm Ehemann Gerd K. (63) ein Gipsbeil, prügelte mit 20 Schlägen auf seine Frau ein – so lange, bis sie tot war! Der Softwareentwickler behauptete beim Prozess im Herbst 2007, er wisse all das nicht mehr – und wurde freigesprochen. Seinen Job behielt der Mann.“
Fazit: Sieht so aus, als handele es sich um einen Freispruch „zweiter Klasse.“ Herrn K. konnte die Tat nicht nachgewiesen werden. Was das mit dem Lieblingsessen oder seinem Arbeitsplatz zu tun hat, man weiß es nicht…
Stiefmutter vergiftet Mädchen – Bewährung
„Eine Frau (23) aus Süddeutschland mischte ihrer kleinen Stieftochter Angelina (†4) zwei Esslöffel Salz in den Schokopudding, vergiftete sie damit! Das Kind starb – trotzdem schloss das Schwurgericht des Landgerichts Frankentahl (korrekt wohl: Frankenthal, Anm. d. Verf.) einen Mord aus, verurteilte die Frau nur wegen vorsätzlicher Körperverletzung: 14 Monate auf Bewährung.“
Fazit: Hier handelt es sich um das tragische Geschehen aus BGHSt 51, 18 (Kochsalzintoxikation). Allerdings ist schon der Sachverhalt falsch wiedergegeben: Die Stiefmutter mischte das Salz keinesfalls in den Pudding, vielmehr trug sich die Geschichte so zu: Am Nachmittag des Tattages befand sich die Angeklagte allein mit ihrem Baby und der später verstorbenen Angelina in ihrer Wohnung. Während sie im Wohnzimmer damit beschäftigt war, den Säugling zu füttern, begab sich Angelina in die Küche und holte sich einen 200-Gramm-Becher Schokoladenpudding mit Sahne aus dem Kühlschrank. Ersichtlich um den Pudding zusätzlich zu süßen, wie sie es zuvor bei Erwachsenen im Umgang mit Joghurt beobachtet hatte, wollte sie Zucker darüber streuen, nahm stattdessen aber irrtümlich eine Salzpackung und rührte ca. 32 Gramm Kochsalz in die Süßspeise. Gleich beim ersten Kosten bemerkte sie, dass der Pudding ungenießbar war, und ließ ihn stehen. Als nunmehr die Angeklagte in die Küche kam und die auf dem Boden liegende Salzpackung sowie den ungegessenen Pudding sah, stellte sie Angelina zur Rede, die ihr bedeutete, dass der Pudding „widerwärtig“ schmecke und sie ihn nicht essen wolle. Die Angeklagte wurde zornig. Obgleich sie richtig folgerte, dass das Mädchen versehentlich Salz in die Süßspeise eingerührt hatte, veranlasste sie das sich sträubende Kind zu dessen Erziehung und Bestrafung, die Schokoladencreme vollständig auszulöffeln. Sie nahm dabei zumindest billigend in Kauf, dass der Konsum dieser Speise bei dem Mädchen zu Magenverstimmungen, Bauchschmerzen oder Unwohlsein führen würde. Jedoch wusste sie weder, wie viel Salz genau die Süßspeise enthielt, noch war ihr bekannt, dass die Aufnahme von 0,5 bis 1 g Kochsalz pro Kilogramm Körpergewicht (Angelina wog 15 kg) in aller Regel zum Tode führt. Wenig später klagte Angelina über Übelkeit und musste erbrechen; auch setzte bei ihr alsbald starker Durchfall ein. Als sich der Zustand des Kindes im Verlauf der nächsten halben Stunde zusehends verschlechterte und es schließlich kaum mehr Reaktionen zeigte, brachte die Angeklagte das Mädchen ins Krankenhaus, wo es um 17.30 Uhr bereits im komatösen Zustand eintraf. Dort wurde sogleich eine extreme Hypernatriämie (Kochsalzintoxikation) festgestellt. Trotz Notfallbehandlung verstarb das Mädchen 34 Stunden nach seiner Aufnahme.
Fazit: Tatsächlich verurteilt wurde die Täterin wegen gefährlicher Körperverletzung (Salz – in derartiger Überdosierung – als gesundheitsschädlicher Stoff). Tötungsvorsatz hatte die Täterin nicht. Eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge kommt mangels Fahrlässigkeit (Element der Vorhersehbarkeit) hinsichtlich der Todesfolge nicht in Betracht („zwar sei der Tod kausal auf die der Angeklagten anzulastende Körperverletzung zurückzuführen, jedoch habe nur eine in Gesundheitsfragen überdurchschnittlich sachkundige Person die Todesfolge vorauszusehen vermocht; dass bereits verhältnismäßig geringe Mengen Kochsalz im Körper letale Folgen haben können, gehöre weder zum vorauszusetzenden Allgemeinwissen noch sei der Angeklagten eine solche Voraussehbarkeit nach ihren persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten anzulasten.“) Die 14 Monate Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, sind über der Mindeststrafandrohung (sechs Monate) des § 224 StGB angesetzt. Nach § 56 Abs. 1 StGB wird zur Bewährung ausgesetzt, wenn die Freiheitsstrafe unter einem Jahr bleibt und eine positive Prognose (keine Straftaten mehr zu begehen) erfolgt. Hier (14 Monate) greift Abs. 2 nach welchem eine Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit besondere Umstände vorliegen. Hier: Die Täterin war selbst Mutter eines Säuglings. Diesen für gerade in der Kleinkindphase von der Mutter zu trennen dient wohl nicht dem Kindeswohl. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Täterin fortan damit leben muss, den Tod des Kindes ihres Lebensgefährten verursacht zu haben (vgl. Rechtsgedanke des § 60 StGB). Man könnte also zusammenfassend sagen: Mit den Geschehnissen und der moralischen Verantwortung ohnehin bis ans Lebensende bestraft.
Taxifahrer tötet Frau – Richter zeigt Verständnis
„Taxifahrer Joachim G. (56) aus Berlin war 26 Jahre lang mit Ehefrau Christina (†55) verheiratet – im Juli 2010 gestand er ihr eine Affäre, sie rastete aus. Da drückte er ihr ein Kissen aufs Gesicht, erstickte sie. Urteil des Gerichts: fünf Jahre wegen Totschlags. Der Richter zeigte Verständnis für den Angeklagten, gewährte ihm Haftverschonung – und sagte: „Er wollte doch nur seine Ruhe haben …“
Fazit: Das macht den Eindruck, als könne eine Haftstrafe „einfach so“ umgangen werden. Die StPO kennt im Abschnitt zur Strafvollstreckung Regeln zur Haftverschonung. Diese ist allerdings stets an Voraussetzungen geknüpft und wird nicht gewährt, weil „jemand einfach seine Ruhe haben wollte“.
Entschädigung für Kindermörder
„Auch er sorgt immer wieder für Empörung: Seit 2003 brummt der eiskalte Kindermörder Magnus Gäfgen (36) im Knast. Er hatte den Bankierssohn Jakob von Metzler entführt, erwürgt, in einem Weiher versenkt. Im Verhör glaubten die Ermittler, der Junge lebe noch, drohten dem Entführer in ihrer Verzweiflung mit körperlichen Schmerzen. Dafür bekam Gäfgen im August 3000 Euro Entschädigung zugesprochen.“
Fazit: Hierzu brauche ich wohl nicht mehr viel sagen. Ich verweise gerne auf die Darstellung von bildblog.de mit dem treffenden Titel „Die Perversion des Rechtstaats“.