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Der Beuys’sche „Fetteckenfall“ lässt grüßen

7 Nov

Seit einigen Tagen berichten die Medien ausgiebig von der Zerstörung einer Installation des renommierten Künstlers Martin Kippenberger. Eine Putzfrau im Dortmunder Museum Ostwall schrubbte bei der Installation „Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen“ einen weißlichen Kalkfleck (Patina), der sich am Boden eines Gummitroges befand weg, weil sie diesen irrtümlich für eine Verschmutzung hielt. Tatsächlich war dieser Fleck ein wesentlicher Bestandteil der Installation und diese damit unwiederbringlich zerstört. Das Museum hatte die Installation erst Anfang des Jahres von einem Sammler als Leihgabe erhalten. Indes ist ein solcher Vorfall kein Einzelfall in der neueren Deutschen Kunstgeschichte, wobei es Kunstwerke von Joseph Beuys besonders hart traf. Im Jahre 1973 „reinigten“ zwei Frauen bei einer Feier eines SPD-Ortsvereins aus Leverkusen, eine von Beuys mit Mullbinden und Heftpflastern versehenen Babybadewanne, um darin Gläser zu spülen. Das Land NRW zahlte damals 40.000 DM Schadenersatz.

Aufsehenerregender war hingegen der „Fetteckenfall“. Beuys hatte in seinem Atelier in der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf im Rahmen einer künstlerischen Aktion eine „Fettecke“ angebracht. Dabei handelte es sich um eine 25 cm hohe Ecke aus Fett, die er in einer Höhe von 5 m in einer Ecke des Raumes unmittelbar und ohne weitere Verbindung auf den Putz aufbrachte, wobei Fett in den Putz eindrang. Im Jahre 1986, kurz nach dem Tod von Beuys, wurde das Atelier gereinigt und dabei von einem Arbeiter die „Fettecke“, die er versehentlich für Schmutz hielt, entfernt. Ein enger Mitarbeiter und Meisterschüler von Beuys, Johannes Stüttgen, verklagte damals das Land NRW vor dem LG Düsseldorf auf Schadenersatz in Höhe von 50.000 DM, mit der Behauptung Beuys habe ihm die „Fettecke“ bei der Aktion mit den Worten „Johannes, jetzt mache ich Dir endlich Deine Fettecke“ geschenkt und und zu Eigentum übertragen. Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen. In späteren Vergleichsverhandlungen erhielt J. S. indes 40.000 DM.

Was hat dies mit dem Examen zu tun? Antwort: Viel! Der neue Fall bietet sich wie damals der „Fetteckenfall“ sowohl als Teil einer Klausur für einen Klausurenkurs als auch als Fall für die mündliche Prüfung an, wobei gerade auch daran zu denken ist, dass der „Fetteckenfall“ in seinem 25järigen Jubiläum eine Renaissance in Klausuren und Prüfungen erleben kann.

Der neue „Installationsfall“ eignet sich um zivilrechtliche Schadenersatzansprüche durchzuprüfen. Hier ist zunächst einmal an Ansprüche aus dem Leihvertrag (§§ 589, 604 i. V. m. §§ 280 ff. BGB) zu denken und dann aus Delikt (§§ 823 ff. BGB) wobei bei den deliktischen Ansprüchen, insbesondere die Ansprüche aus § 831 i. V. m § 823 BGB und § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG zu beachten sind, da es sich um ein städtisches Museum handelt. Diese sind insofern etwas problematisch, weil hier abzugrenzen ist, ob die Reinigung des Museums privatrechtlicher Natur ist, dann richtet sich die Haftung nach § 831 BGB, oder ob das Reinigungspersonal hoheitlich tätig geworden ist, dann § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG. Hinsichtlich des Verschuldens (§ 276 BGB) bei der Zerstörung des Kunstwerks ist darauf zu achten, ob ein Verschulden von Organen der Stadt vorliegt, z.B. durch falsche Einweisung des Reinigungspersonals durch die Museumsdirektion, dann erfolgt die Zurechnung des Verschuldens an die Stadt über §§ 31, 89 BGB. Liegt hingegen ein Verschulden von Hilfspersonen vor, erfolgt die Zurechnung über § 278 Satz 1 BGB.

Für die Prüfung sachenrechtlicher Probleme bietet sich der „Fetteckenfall“ geradezu an. Im Mittelpunkt steht hier insbesondere die Frage, ob J.S., der damalige Kläger, ein Schadenersatzanspruch aus einem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis nach §§ 989, 990 BGB zusteht. Dabei geht es u. a. auch um das Problem, ob die Akademie und damit das Land Eigentum an der „Fettecke“ erworben hat, was das LG verneinte, da es zu recht annahm, dass die Fettecke nicht wesentlicher Bestandteil des Akademiegebäudes i. S. d. § 94 BGB geworden sei. Zu prüfen ist in diesem Zusammenhang ferner ein völliger Besitzverlust von Beuys und ein damit einhergehender möglicher Eigentumserwerb des J.S. nach § 929 Satz 1 BGB oder nach § 929 Satz 2 BGB sowie ein Eigentumserwerb durch ein die Besitzübergabe ersetzendes Besitzmittlungsverhältnis (§ 930 BGB) oder ein Eigentumserwerb durch §§ 929, 931 BGB. Zu denken ist auch an an einen Eigentumserwerb des J.S nach § 950 BGB. Bejaht man entgegen der Ansicht des LG Düsseldorf einen Eigentumserwerb des J.S – was vertretbar ist – sind auch hier die deiktischen Ansprüche gem. § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG und gem. § 831 BGB einschlägig, wobei hier dann zu diskutieren ist, ob diese Ansprüche nicht bereits durch – so die h.M. – die §§ 989, 990 BGB ausgeschlossen sind. In diesem Fall wird auch wieder die Frage relevant, ob die Zurechnung des Verschuldens an das Land NRW nach §§ 31, 89 BGB oder nach § 278 Satz 1 BGB zu erfolgen hat.

Beide Fälle bieten aber auch einen guten Anlass für einen Prüfer im Bereich des Öffentlichen Rechts zu einer Grundrechtsprüfung, um die unterschiedlichen Ansätze bezüglich des Kunstbegriffs aus Art. 5 Abs. 3 GG zu erörtern, so dass eine Auseinandersetzung mit dem von der h.M vertretenen offenen Kunstbegriff sowie dem materiellen und formellen Kunstbegriff erfolgen muss.

Betrachtet man beide Fälle haben sie durchaus einen Schwierigkeitsgrad, der zumindest für die mündliche Prüfung geeignet ist.

Literatur: LG Düsseldorf, NJW 1988, 345 ff.; Richard/Junker, Die zerstörte Fettecke – LG Düsseldorf, NJW 1988, 345, in: Jus 1988, 686 ff. mit gut vertretbarer abweichender Lösung zu der des LG Düsseldorf, sowie möglichen (vor)vertraglichen Ansprüchen.

Amnesty: Verletzte in Syrien müssen behandelt werden

2 Nov

Seit Beginn der Proteste herrscht in staatlichen Krankenhäusern in Syrien ein Klima der Angst. Verletzte Protestierende wurden in vielen Fällen von Krankenhauspersonal und syrischen Sicherheitskräften beschimpft, körperlich angegriffen und sogar gefoltert. In einigen Fällen wurden den Verletzten die medizinische Behandlung sowie die notwendigen Medikamente verweigert.

Weiterlesen und den Verantwortlichen schreiben auf Amnesty.de…

Zum Befangenheitsantrag gegen Richter am BVerfG Prof. Dr. Dr. Di Fabio

23 Okt

„Während ihrer (der Richter, Anm. d. Verf.) gesamten Sozialisation – vom ersten Semester bis zum „dritten Staatsexamen“ – haben sie gelernt, dass Objektivität ein Wert an sich, der Maßstab aller Dinge, ja das höchste Berufsziel sei: Kein Wunder, dass bei manchem aus dem Ideal eine fixe Idee geworden ist. Objektivität gilt als Tugend, Subjektivität als Makel. Solche Verdrängungen führen zu inneren Blockaden. Befangenheit ist nur eine Variante der Subjektivität. Das erklärt, warum Richter eine erfolgreiche Ablehnung als ehrenrührig empfinden, – quasi als Malus im ungeschriebenen Teil der Personalakte.“ Lamprecht, NJW 1993, 2222; Kritik dazu bei: De Wall, NJW 1994, 843.

Am 21. Oktober erging eine Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Beschluss 2 BvR 1010/10 vom 11. Oktober. Dieser Beschluss eignet sich gut zur Diskussion in der mündlichen Examensprüfung und soll deshalb hier im Überblick aufbereitet werden.

Was war passiert?
Ein Befangenheitsantrag gegen den Richter am BVerfG Prof. Dr. Dr. Di Fabio wurde abgelehnt. Dieser erging im Rahmen von Verfassungsbeschwerden, die im Zusammenhang von Griechenland-Hilfe und Euro-Rettungsschirm eingelegt wurden.

Richter am BVerfG Di Fabio hatte an mehreren Veranstaltungen mit Bezug zum streitgegenständlichen Themenkomplex teilgenommen und sich dort jeweils einschlägig geäußert. Zudem veröffentlichte er schriftliche Äußerungen in diversen Nachrichtenmagazinen und sonstigen Publikationen. Insgesamt sei dieses Verhalten nicht mehr mit der gebotenen richterlichen Zurückhaltung vereinbar und geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters zu begründen, so der Ablehnugsantrag Die 2. Kammer des Zweiten Senats hat das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen, weil die vorgetragenen Umstände bei vernünftiger Würdigung keinen Anlass bieten, an der Unvoreingenommenheit des Richters Di Fabio zu zweifeln. (Daneben wurde die Ablehnung auch auf prozessuales Verhalten des Richters im konkreten Verfahren gestützt, dieser Aspekt soll hier allerdings außer acht bleiben.)

Grundlagen:
Die §§ 18, 19 BVerfGG sichern ein prozessuales Grundrecht, nämlich das Recht auf den gesetlichen Richter, Art. 101 Abs. 1 GG. Ein Befangener (§ 19 BVerfGG) oder ein Ausgeschlossener (§ 18 BVerfGG) kann nicht zugleich „gesetzlicher Richter“ sein. Zudem kann dieser auch kein rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, gewähren.
Beide Normen wirken allerdings unterschiedlich – hier bietet sich eine gute Gelegenheit, mit der Gesetzestechnik zu arbeiten:
§ 18 Abs. 1 BVerfGG (lesen!) bestimmt einen Ausschluss kraft Gesetzes (vgl. Wortlaut „ist (…) ausgeschlossen“). Das Gericht stellt dies im Streitfall also nur deklaratorisch fest. Dabei liegen dem Ausgeschlossensein objektivierbare Tatsachen und Vorgänge, die jederzeit eindeutig nachprüfbar sind, zugrunde. Die Abs. 2 und 3 konkretisieren Ausnahmen. Die Vorschrift entspricht – trotz abweichendem Wortlaut – nach Sinn und Zweck der Regelung in § 41 ZPO.
§ 19 Abs. 1 BVerfGG (lesen!) hingegen regelt die Prüfung der Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit. Diese kann durch den Antragssteller erfolgen; darüber hinaus gibt es die sog. Selbstablehnung durch den Richter. Sie führt nicht automatisch zum Ausschluss des Richters, sondern wird vom Gericht in gleicher Weise behandelt, wie eine Ablehnung durch den Prozessbeteiligten (vgl. § 19 Abs. 3 BVerfGG). Sonst könnte sich der jeweilige Richter durch Selbstablehnung von der Mitwirkung bei einer konkreten Entscheidung entziehen.
Die Entscheidung des Gerichts ist hier konstitutiv. Die zu berücksichtigenden Faktoren sind hier abhängig von vielfältigen Wertungen und ist damit subjektiv geprägt.

Zusammenwirken der §§ 18, 19 BVerfGG
Die beiden Normen stehen mit ihrer unterschiedlichen Wirkungsweise nicht völlig unabhängig nebeneinander; es ist vielmehr eine technische Verzahnung erkennbar: Eine Ablehnung nach § 19 Abs. 1 BVerfGG kann sich zum Beispiel nicht auf Gründe stützen, die nach § 18 Abs. 2, 3 BVerfGG nicht zu einem Ausschluss führen würden (Argument: Wertungswiderspruch). Vielmehr muss über diese Tatsachen, beispielsweise eine wissenschaftliche Äußerung, hinaus ein Zusatzmoment (etwa Art und Weise der Äußerung oder Stellungsnahme) genannt werden, das eine Ablehnung stützt.

In ständiger Rechtsprechung zieht das BVerfG für de Bestimmung der Besorgnis der Befangenheit folgenden Maßstab heran: „Für die Beurteilung der Besorgnis zur Befangenheit eines Richters des BVerfG kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.“ Zudem „sei zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass Richter des BVerfG über jene Unabhängigkeit und Distanz verfügten, die sie befähigten in Unvoreingenommenheit und Objektivität zu entscheiden. Allerdings gehe es auch darum, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden.“

Auswahl bisheriger Richterablehnungen am BVerfG:

  • Kirchhof (BVerfGE 101, 46) 1999 im Verfahren um den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern

Kirchhof hatte 1980 ein Gutachten über ein zukünftiges Finanzausgleichsgesetz erstellt und 1983 hatte eine Prozessvertretung für das Land BaWü vor dem BVerfG übernommen.
-> Ablehnung unbegründet: Die Besorgnis der Befangenheit bestehe nicht, wenn ein Richter des BVerfG lediglich seine wissenschaftliche Meinung zu einer Frage geäußert habe zumindest dann, wenn mit der Erstellung eines Gutachtens kein spezifischer Erwartungshorizont verbunden ist (vgl. Selbstablehnung des Richters Söllner (1992) war begründet, weil dieser ein gewerkschaftsnahes Gutachten erstellt hatte mit dem ein derartiger Erwartungshorizont verknüpft war)

  • Limbach (Selbstablehnung) 2000 im Verfahren um die strafrechtliche Verurteilung von DDR Grenzschützen

Die damalige Präsidentin des BVerfG hatte sich während ihrer Tätigkeit als Berliner Justizsenatorin wiederholt in der Öffentlichkeit über die Strafbarkeit des Missbrauchs staatlicher Gewalt in der DDR in Interviews und Zeitschriften geäußert. Diese Auffassung prägte in hohem Maße ihr Bild in der politisch interessierten Öffentlichkeit
-> Ablehnung begründet

  • Jentsch (Selbstablehnung, BVerfGE 108, 122) 2003 im Verfahren „staatliche Parteienfinanzierung“

Die CDU verfolgte mit ihrer Verfassungsbeschwerde Ansprüche aus der staatlichen Parteienfinanzierung, die der Bundestagspräsident wegen Unvollständigkeiten bei der Rechenschaftslegung verweigerte. Diese sollen auf den Transfer der Gelder durch Manfred Kanther, damals hessischer Generalsekretär, zurückgehen. Dieser arbeitete als Rechtsanwalt in der von Jentsch – dessen Zulassungen derweil nach § 104 BVerfGG ruhten – begründeten Anwaltskanzlei.
Zunächst wurde überprüft, ob nicht die Regelung zur des § 18 Abs. 2 BVerfGG greift, der eine „Beteiligung“ verneint, wenn jemand aus beruflichen gründen am Ausgang der Verfahrens beteiligt ist. Allerdings geht die Zusammenarbeit in einer gemeinsamen Anwaltskanzlei über das berufliche Interesse hinaus, schließlich könnte bei Begründetheit der Verfassungsbeschwerde Kanther der Sache nach als rehabilitiert erscheinen, was das Ansehen und den wirtschaftlichen Wert der gemeinsamen Kanzlei steigern würde.
-> Ablehnung begründet (anders noch im Verfahren „Hessische Wahlprüfung“ (2000), BVerfGE 102, 192: Hier nur mittelbare Folgewirkung der Entscheidung für eigene Kanzlei)

Nice to know (Vgl. dazu sehr lehreich BVerfGE 46, 34):
In einem Prüfungsgespräch wäre es an dieser Stelle durchaus möglich, die Konstellation einer Normenkontrolle abzufragen. Da das Gericht grundsätzlich jede entscheidungserhebliche Inzidentfrage entscheiden muss (hier: „gesetzlicher Richter“) ist zu prüfen, wie das Gericht zu verfahren hat, wenn die Mitwirkung eines Richters zweifelhaft ist. Besteht die Möglichkeit einer Ausschließung nach § 18 BVerfGG, so stellt das Gericht – ohne Mitwirkung des betroffenen Richters – beschlussmäßig die richtige Besetzung fest.
Interessant ist darüber hinaus die Frage, ob eine Ablehnung nach § 19 BVerfGG möglich ist. Mangels Verfahrensbeteiligter im „objektiven Verfahren“ der Normenkontrolle, gibt es jedenfalls keine Prozessbeteiligten, der einen entsprechenden Antrag stellen könnte. Wie bereits oben gezeigt, kennt das Gesetz eine Ablehnungsbefugnis nur für den Richter selbst oder für einen Streit-/Verfahrensbeteiligten. Erfolgt keine Selbstablehnung, ist kein Raum für eine Prüfung des § 19 BVerfGG, der eine Ablehnung voraussetzt.
Würde das Gericht nun von Amts wegen eine Besorgnis der Befangenheit prüfen, käme das einem zusätzlichen Ausschlussgrund i.S.d. § 18 BVerfGG gleich. Diese sind allerdings abschließend aufgezählt.

Fazit: Es ist also mindestens eine Selbstanlehnung eines Richters nötig, um den Senat in die Lage zu versetzen, über die Befangenheit dieses Richters zu entscheiden.

Zusatzfrage: Was passiert in der Praxis, wenn Mitglieder des erkennenden Senats – ohne dass ein Ablehnungsantrag ergangen wäre – einen Richter für befangen halten?
Zunächst werden kollegiale Gespräche gesucht. Wenn der Konflikt nicht beigelegt werden kann, entsteht in der Konsequenz für die Kollegen mindestens der böse Schein, sie selbst könnten nicht mehr unbefangen sein.
Zudem lehrt uns BVerfGE 46, 34ff: Das BVerfGG zeigt deutlich, wie hoch es die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsrichters hält und wie sehr es vertraut, dass der Verfassungsrichter von sich selbst dieser Entscheidung des Gesetzgebers gerecht werden wird. Es hat jede Disziplinierung außerhalb des Verfahrens nach § 105 BVerfGG ausgeschlossen. (Selbst dieses Verfahren kann nur durch die Entscheidung des Plenums des BVerfG eingeleitet werden. Dabei bedarf es einer Zweidrittelmehrheit, also 11 von 16 Stimmen.)
Eine Weigerung sich für befangen zu erklären, obwohl ein solcher Fall eindeutig vorliegt, wäre eine grobe Pflichtverletzung im Amt und würde – notfalls – im Verfahren des § 105 BVerfGG geprüft und geahndet.

Um den Bogen zurück zum Befangenheitsantrag gegen Richter am BVerfG Di Fabio zu schlagen: Wegen ihrer besonderen fachlichen Qualifikation sind Verfassungsrichter zwangsläufig in der Lage, über Rechtsfragen entscheiden zu müssen, mit denen sie sich zuvor wissenschaftliche auseinandergesetzt haben (Vgl. BVerfGE 88, 1). Kommt allerdings zu den Bemühungen um wissenschaftliche Erkenntnis ein außerhalb der Wissenschaft liegendes Ziel, ist zu berücksichtigen, wie stark sich der Richter mit der wissenschaftlichen Meinung, der eine Gewährfunktion zukommt, identifiziert (Vg. BVerfGE 101, 46).
Abschließend möchte ich die schönen Worte des BVerfG zitieren: Die allgemeine Erwartung der richterlichen Unvoreingenommenheit trotz früherer Meinungsbildung zu einer Rechtsfrage gelte im Hinblick auf die stets für bessere Gründe offene Eigenart des wissenschaftlichen Diskurses.

EuGH-Urteil zu wettbewerbswidrigen Exklusivlizenzen für Sport im Pay-TV

23 Okt

Diese EuGH-Entscheidung (C-403/08 und C-429/08) wurde in den Medien in den letzten Wochen rauf und runter diskutiert. Das macht das Thema zu einem wahrscheinlichen Kandidaten in der mündlichen Examensprüfung. Was ist aber wirklich examensrelevant bei dieser Entscheidung? Auf juraexamen.info findet Ihr eine gelungene Zusammenfassung von Sebastian Diehl zu den Problemen rund um diesen Fall.

lebensmittelwarnung.de – rechtmäßiges staatliches Informationshandeln? (Gastbeitrag M. Kratz)

22 Okt

Ein Gastbeitrag von cand. iur. Martina Kratz (Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht)

Liebe WG-Kollegen: Bitte entsorgt die Wurstkonserve der Firma Oma Hilde!

So banal der Aufruf klingt, die neue Homepage der Bundesländer warnt tatsächlich in dieser Form vor verunreinigten Lebensmitteln. § 40 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch macht’s möglich. Was einst in der Glykolwein-Entscheidung vom BVerfG zum Eingriffsbegriff dargelegt wurde, gilt auch noch heute (BVerfG, Beschluß vom 26. 6. 2002 – 1 BvR 558/91).

Wenn der Staat Informationen zu verunreinigten Lebensmitteln herausgibt, ist regelmäßig ein Absatzrückgang in dem gesamten Segment zu verzeichnen. Verbraucher fürchten nicht nur die Mettwurst von Oma Hilde, sondern auch sämtliche andere Wurstkonserven. Sämtliche Wursthersteller büßen einen Umsatzrückgang ein und rügen eine Verletzung von Art. 12 I GG.

Art. 12 I GG gewährleistet das einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit. Darunter fällt jede auf Dauer ausgeübte Tätigkeit, die der Schaffung oder Erhaltung einer Existenzgrundlage dient. Wenn nun Verbraucher aus Sorge um Lebensmittelverunreinigungen gewisse Lebensmittel meiden, so könnte der Hersteller nicht kontaminierter Kost in Art. 12 I GG betroffen sein. Das BVerfG hat die Frage des Schutzbereiches eingriffsbezogen definiert. Es ging davon aus, dass nicht zwischen Schutzbereich und Eingriff getrennt werden könne. (Lehre vom funktionalen Schutzbereich). Es stellt sich daher die Frage, ob bei der Informationstätigkeit der vorliegenden Art überhaupt ein Eingriff vorliegt.
Nach dem klassischen Eingriffsbegriff, liegt ein Eingriff vor, wenn durch rechtsförmiges Handeln unmittelbar, gezielt und imperativ das grundrechtlich Gewährte beschränkt wird. Dieses Verständnis greift zu eng. Nach dem modernen Eingriffsbegriff genügt jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein grundrechtlich geschütztes Verhalten, erheblich erschwert oder unmöglich macht. Hierunter fallen auch mittelbare Eingriffe, die sich als Nebenfolge des staatlichen Handelns darstellen. Dies gilt einerseits, weil solche mittelbare Grundrechtsverkürzungen ebenso intensiv wirken können, wie die unmittelbaren Eingriffe. Andererseits muss der Staat auch dann die Grundrechte achten, wenn die Folgen des Handelns vorhersehbar sind. Etwas anderes gilt aber bei Art. 12 I GG. Hier müssen Eingriffe zusätzlich berufsregelnde Tendenz aufweisen. Dies ist erst dann gegeben, wenn eine Maßnahme (ausschließlich) die Berufsfreiheit betrifft. Da die Informationstätigkeit das Marktverhalten der Bürger betrifft, besteht keine berufsregelnde Tendenz. Damit greift die Informationstätigkeit der Länder nicht in Art. 12 I GG ein.

Bei dem im Titel angegeben Aufschnitt von „Oma Hilde“ befanden sich übrigens Glasstückchen im Produkt. (http://www.lebensmittelwarnung.de) Wohl bekomm’s!

Zur weitergehenden Problematik bezüglich der Kompetenz der Bundesregierung aus Art. 65 GG empfiehlt sich die Jugendsekten-Entscheidung (BVerfG, Beschluß vom 26. 6. 2002 – 1 BvR 670/91). Weitere Probleme bieten auch etwaige Haftungsfragen bei fälschlichen Warnungen. Als Überblick empfiehlt sich Murswiek NVwZ 2003, 1 und Schoch NVwZ 2011, 193.

Lektüreempfehlung: Pieroth, Historische Etappen des Rechtsstaats in Deutschland

11 Okt

Vom Rechtsstaat hat sicher jeder eine zumindest diffuse Vorstellung. Aber was verbirgt sich dahinter eigentlich genau? Zur Klärung dieser Frage sei Pieroths Aufsatz „Historische Etappen des Rechtsstaats in Deutschland“ (JURA 2011, 729-735; Heft 10) empfohlen.