Am vergangenen Sonntag kam es an der Kölner U-Bahn-Haltestelle Friesenplatz zu einer brutalen Gewalttat. Zwei Männer verprügelten in den frühen Morgenstunden einen 19-Jährigen. Ein Passant filmte den Übergriff, die Schläger stellten sich wenige Tage später der Polizei.
Im Kölner Express flammt nun jene Diskussion wieder auf, die solche Taten automatisch nach sich zu ziehen scheint: Das Opfer muss den schmerzhaften Heilungsprozess überstehen, während die Täter „frei herumlaufen“.
Der Express fragt: „Warum sind die Täter noch frei?“ Die Antwort ist einfach: Weil sie (noch) nicht verurteilt sind.
In dem Express-Artikel klingt an, dass zumindest Untersuchungshaft als Reaktion auf die Tat angebracht wäre. Diese Forderung ist allerdings nicht mit der Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK vereinbar. Sanktionen sind staatliche Reaktion auf die Tat; Untersuchungshaft, § 112 StPO, hingegen sichert das Verfahren. Deshalb muss zum dringenden Tatversacht ein Haftgrund nach § 112 Abs. 2 StPO vorliegen (und die Anordnung muss verhältnismäßig sein). Fluchtgefahr konnte die StA offenbar ausschließen, Wiederholungsgefahr ebenso.
Letzteres sieht zumindest der Express anders: „Keine Wiederholungsgefahr? Nach EXPRESS-Informationen hat sich inzwischen ein weiterer Zeuge bei der Polizei gemeldet. Er wurde offenbar kurz nach der Tat vom Friesenplatz von dem Haupttäter in der Bahn am Ebertplatz „dumm angemacht“.“
Die Wahrscheinlichkeitsprognose bezieht sich bei der Wiederholungsgefahr ausschließlich auf die künftige Begehung von Straftaten und nicht auf die Durchführung künftiger Verfahren wegen bereits begangener Taten. Ein belästigendes Anpöbeln reicht dafür als Indiz allerdings nicht aus. Schließlich muss eine „rechtsethische und psychologische Gleichheit des strafbaren Verhaltens“ vorliegen.
Schließlich kennt auch § 112 StPO in Abs. 3 einen systemfremden Haftgrund. Systemfremd deshalb, weil damit originär keine Verfahrenssicherung verbunden ist. Bei bestimmten Kapitaldelikten kann Untersuchungshaft auch gegen einen Beschuldigten angeordnet werden, wenn kein Haftgrund i.S.d. Abs. 2 vorliegt. Nach Maßgabe des BVerfG darf allerdings ein solcher zumindest nicht ausgeschlossen sein. Damit werde die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft gewahrt. Faktisch werden demnach über Abs. 3 schlicht die Anforderungen an die Begründung eines Haftgrundes gelockert. Die kochende Volksseele. Jetzt im Express.
Eine Antwort zu “Aus aktuellem Anlass: Gebetsmühle U-Haft und U-Bahn-Schläger”