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Zivilrecht Basics: Teil I – Die Willenserklärung

18 Nov

Kaum ein anderes Element ist in der Zivilrechtslehre von ähnlicher Bedeutung wie die Willenserklärung. Umso wichtiger erscheint es daher, sich bereits frühzeitig mit den Basics dieser Materie zu befassen, um den Grundpfeiler für eine erfolgreiche Zivilrechtsklausur zu setzen. Der folgende Beitrag befasst sich folglich mit einer kurzen Darstellung der wesentlichen Merkmale und Problemkreise dieses Bereichs.

I. Definition

Bei einer Willenserklärung handelt es sich um eine nach außen gerichtete Willensäußerung, die auf die Erzielung einer bestimmten Rechtsfolge gerichtet ist, deren Erreichung in der Regel nach dem Parteiwillen auch erstrebt wird. Abzugrenzen hiervon sind geschäftsähnliche Handlungen und Realakte. Bei diesen tritt die Rechtsfolge nicht aufgrund des Parteiwillens, sondern kraft Gesetzes ein. Die Mahnung im Rahmen des § 286 I BGB stellt beispielsweise nach h.M. eine geschäftsähnliche Handlung dar, da der Verzug qua Gesetz begründet wird.

II. Bedeutung

Willenserklärungen erfolgen wie erörtert in der Regel, weil eine bestimmte Rechtsfolge erstrebt wird. Im besonderen Teil des Schuldrechts finden sich Regelungen zu einer Vielzahl unterschiedlichster Vertragstypen. Ein Vertragsabschluss basiert häufig auf zwei inhaltlich kongruenten Willenserklärungen – Angebot und Annahme §§ 145 ff BGB.

III. Angebot

Bei einem Angebot iSd § 145 BGB handelt es sich um eine wirksame Willenserklärung, die auf den Abschluss eines Vertrages – hier Kaufvertrag – gerichtet ist. Es empfiehlt sich, nach folgendem Prüfungsschema das Vorliegen eines wirksamen Angebots zu ergründen.

1. Vorliegen einer Willenserklärung

2. Wirksamkeit der Willenserklärung

1. Vorliegen einer Willenserklärung

Ob einer Willenserklärung überhaupt vorliegt, hängt von einem Zusammenspiel objektiver Gegebenheiten und subjektiver Elemente ab:

a. Objektiv:

aa. Setzen eines Erklärungszeichens
bb. Rechtsbindungswille erkennbar

b. Subjektiv:

aa. Handlungswille
bb. Erklärungsbewusstsein
cc. Geschäftswille

Voraussetzung ist zunächst, dass der Antragende objektiv ein Erklärungszeichen gesetzt hat. Dies wird in der Regel bei einer Äußerung oder einem bestimmten Zeichen (z.B. Handzeichen bei einer Versteigerung) der Fall sein. Zudem muss dieses Erklärungszeichen auf den Willen hindeuten, sich rechtlich binden zu wollen. Der Erklärungsempfänger muss objektiv davon ausgehen dürfen, dass der Erklärende eine Verbindlichkeit eingehen will. Der Erklärende selbst bedarf demgegenüber zunächst des Willens, eine Handlung vorzunehmen. Dies wird nur in Ausnahmefällen – man denke an Hypnose oder auch möglicherweise Reflexhandlungen – abzulehnen sein. Fraglich ist, welche Voraussetzungen an das Erklärungsbewusstsein des Antragenden zu stellen sind. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob dem Erklärenden tatsächlich bewusst sein muss, eine rechtserhebliche Handlung vorzunehmen. Die herrschende Meinung plädiert dafür, lediglich ein potentielles Erklärungsbewusstsein zu verlangen. Demnach liegt das Erklärungsbewusstsein bereits dann vor, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass sein Verhalten als rechtserhebliche Handlung gedeutet wird und werden kann. Der Verkehr ist vorrangig zu schützen, sofern dem Erklärenden ein „Vorwurf“ zu machen ist. Dieser steht zudem nicht schutzlos dar, da er sich jederzeit die Anfechtung der Willenserklärung (§ 119 I 2.Alt BGB analog) in Betracht ziehen kann. Schließlich muss der Erklärende den Willen haben, das konkrete Geschäft vorzunehmen. Gegeben dem Fall, dass der Geschäftswille nicht vorliegt, steht dies der Bejahung einer Willenserklärung jedoch nicht entgegen.

2. Wirksamkeit der Willenserklärung

Das bloße Vorliegen einer Willenserklärung kann jedoch keinen Vertragsabschluss begründen, sofern diese nicht wirksam ist. Wirksamkeit erlangt die Willenserklärung, wenn sie abgegeben und dem Empfänger zugegangen ist und keine Wirksamkeitshindernisse bestehen. Zu differenzieren ist hier zwischen verkörperten und nicht verkörperten Willenseklärungen und zwischen der Abgabe der Willenserklärung gegenüber An- oder Abwesenden. Die Willenserklärung ist grundsätzlich abgegeben, wenn sie willentlich so in den Rechtsverkehr in Richtung des Empfängers entäußert wurde, sodass unter gewöhnlichen Umständen mit dem Zugang gerechnet werden kann. Zugegangen ist die Willenserklärung demgegenüber dann, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen Kenntnis vom Hinhalt erlangen kann, § 130 I 1 BGB. Der Wirksamkeit könnte ein Widerruf des Angebots gemäß § 130 I 2 BGB entgegenstehen. Zu beachten ist jedoch, dass dieser vor oder zeitgleich mit dem Angebot eingehen muss. Es kommt insofern nicht auf die Kenntnisnahme, sondern auf den tatsächlichen Zugang an. Insofern liegt auch kein Widerruf vor, wenn dieser zwar vor dem eigentlichen Angebot zur Kenntnis genommen wird, aber grundsätzlich erst später zugegangen ist. Bezüglich der Wirksamkeit der Willenserklärung ist ferner § 131 BGB zu beachten, der sich mit der Problematik befasst, dass der eigentliche Erklärungsempfänger ein beschränkt Geschäftsfähiger im Sinne der §§ 2, 106 BGB ist. Das Versterben des Erklärenden beziehungsweise das Eintreten der Geschäftsunfähigkeit nach Abgabe des Angebots steht dessen Wirksamkeit gemäß § 130 II BGB nicht entgegen.

IV. Annahme

Da es sich bei der Annahme gemäß § 147 BGB ebenfalls um eine Willenserklärung handelt, können vorstehende Erörterungen hierauf übertragen werden. Lediglich kleine Ergänzungen sind zu beachten:

1. Vorliegen einer Willenserklärung

a. Objektiv:

aa. Setzen eines Erklärungszeichens
bb. Rechtsbindungswille erkennbar

b. Subjektiv:

aa. Handlungswille
bb. Erklärungsbewusstsein
cc. Geschäftswille

2. Wirksamkeit der Willenserklärung

a. Abgabe
b. Zugang § 130 I 1 BGB
c. kein Widerruf § 130 I 2 BGB

3. Annahmefähigkeit §153 BGB

4. rechtzeitige Annahme § 147 ff BGB

5. inhaltliche Kongruenz der Willenserklärungen (Übereinstimmung)

1. Annahmefähigkeit

§ 153 BGB stellt klar, dass das Versterben des Antragenden bzw dessen zwischenzeitige Geschäftsunfähigkeit der Annahme des Angebots in der Regel nicht entgegensteht, sofern nicht ausnahmsweise der Wille des Antragenden hierfür spricht.

2. Rechtzeitigkeit der Annahme

Grundsätzlich hat die Annahme des Angebots gemäß § 147 I BGB gegenüber Anwesenden sofort zu erfolgen, gemäß § 147 II BGB gegenüber Abwesenden nach einer bestimmten Frist, in der die Annahme zu erwarten ist. Was man unter „regelmäßig“ versteht, orientiert sich nicht zuletzt an dem eingeschlagenen Kommunikationsweg (Korrespondenz der Erklärungsmittel).

3. Inhaltliche Kongruenz

Schließlich ist Voraussetzung für das Zustandekommen des Vertrages, dass Angebot und Annahme inhaltlich übereinstimmen. In diesem Zusammenhang sind auch die Vorschriften der §§ 154, 155 BGB (Dissens) zu beachten. Wie eine empfangsbedürftige Willenserklärung zu verstehen ist – vorliegend das Angebot durch den Annehmenden-, ist gemäß §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln.

4. weitere Aspekte

Zu beachten ist auch die Vorschrift des § 151 BGB, nach der ein Zugang der Willenserklärung unter bestimmten Umständen entbehrlich sein kann. § 151 BGB bezieht sich hierbei nur auf den Zugang, nicht jedoch auf die Abgabe der Willenserklärung. Auch § 150 BGB ist im Zusammenhang mit Willenserklärungen zu berücksichtigen. Hiernach stellt eine verspätete bzw eine inhaltlich vom Angebot abweichende Annahmeerklärung ein neues Angebot dar.

V. Schweigen

Im Zusammenhang mit dem Zustandekommen von Verträgen ist auch der Gegensatz zur Willenserklärung – das Schweigen – zu beachten. Grundsätzlich geht die h.M. davon aus, dass ein Schweigen nicht zu einem Vertragsabschluss führt. Wie in nahezu jedem Bereich des Zivilrechts gibt es jedoch auch hier Ausnahmen. Zu erwähnen sind das Schweigen auf ein Kaufmännisches Bestätigungsschreiben, das Schweigen im Rahmen einer Parteivereinbarung (beredtes Schweigen oder auch Schweigen als Erklärungshandlung), normiertes Schweigen (Rechtswirkungen des Schweigens kraft Gesetzes, vgl. zB § 108 II BGB), teilweise aber auch das Schweigen im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen.

„Zivilrecht Basics“ stellt eine Betragsreihe dar, die regelmäßig einen Überblick zu grundlegenden Themen des Zivilrechts verschaffen soll.

Die Kündigungsschutzklage gemäß § 4 S.1 KSchG und das Fristversäumnis des Anwalts – AG Berlin (28 Ca 9265/11)

16 Nov

Wer sich gerne mit dem Arbeitsrecht befasst, dem dürfte http://www.hensche.de nicht unbekannt sein. Hier wurde über ein aktuelles Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (28 Ca 9265/11) berichtet, dass sich mit der Frage zu befassen hatte, inwiefern ein Fristversäumnis durch den vertretungsberechtigten Anwalt – vgl. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG iVm § 78 ZPO (beachte aber auch § 11 ArbGG) – bei der Erhebung einer Kündigungsschutzklage im Sinne des § 4 S. 1 KSchG dem Arbeitnehmer zuzurechnen ist, vgl. auch § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG. Bei dem hier diskutierten Problem handelt es sich um ein solches, dass eigentlich jedem in der Examensvorbereitung im Bereich des Arbeitsrecht früher oder später begegnet. Daher bietet es sich aufgrund der Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin an, den Meinungsstand kurz darzustellen. Interessant an der Entscheidung ist, dass sich das Arbeitsgericht nicht der durch das Bundesarbeitsgericht vertretenen Auffassung anschließt.

Sofern der Arbeitnehmer die Frist des § 4 S. 1 KSchG nicht einhält (Rechtsnatur der Frist ist umstritten), ist die Klage gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG dennoch zuzulassen, sofern der Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben. Dies wäre dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer sich das Verschulden des bevollmächtigten Anwalts nicht zurechnen lassen müsste. § 85 Abs. 2 ZPO sieht jedoch vor, dass das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichgestellt ist.

I. eA.: § 85 Abs. 2 ZPO (+) -> § 5 Abs. 1 S.1 KSchG (-)

Insbesondere das Bundesarbeitsgericht vertritt die Ansicht, § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, der sich mit dem Urteilsverfahren vor den Arbeitsgerichten befasst, zu denen auch die Kündigungsschutzklage gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG zählt, enthalte einen Verweis auf die Vorschrift des § 85 Abs. 2 ZPO, sodass letztere Norm bereits nach dem Wortlaut des § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG zur Anwendung gelangen müsste. Bei § 4 S. 1 KSchG handele es sich um eine prozessuale Klageerhebungsfrist, sodass § 85 Abs. 2 ZPO auch unproblematisch Anwendung finden könne. § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG stehe der Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Um dem Interesse des Arbeitnehmers als vertretene Partei gerecht zu werden, wird in einer Vielzahl von Fällen ein Regressanspruch gegen den bevollmächtigten Anwalt bestehen.

II. aA: § 85 Abs. 2 ZPO (-) -> § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG (+)

Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Berlin, dass sich damit Teilen der Literatur anschließt, findet § 85 Abs. 2 ZPO demgegenüber keine Anwendung. Bei § 4 S.1 KschG handele es sich nicht um eine prozessuale Klageerhebungsfrist, sondern um eine materiell-rechtliche Frist, die auf Seiten der Begründetheit zu beachten wäre. Folglich könne die prozessuale Vorschrift des § 85 Abs. 2 ZPO bereits nicht einschlägig sein. Überdies sei zu berücksichtigen, dass § 85 Abs. 2 ZPO bereits seinem Wortlaut nach ein bestehendes Prozessverhältnis voraussetze, sodass der vorliegende Fall nicht in den Anwendungsbereich fiele, da erst durch die Klageerhebung ein solches Prozessverhältnis entstehe. Dem Arbeitnehmer dürfe nicht der Zugang zu den Arbeitsgerichten verwehrt werden, da von dem Verlust seines Arbeitsplatzes oftmals die wirtschaftliche Existenz abhänge.

III. Fazit

Im ersten Staatsexamen ist grundsätzlich jede Meinung vertretbar, soweit sie schlüssig begründet wird. Vorliegend sprechen für beide Ansichten gute Argumente. Empfehlenswert erscheint es auch , sich einmal mit dem Meinungsstand zur Rechtsnatur der Frist des § 4 Abs. 1 KSchG zu befassen.

Auskunftsrecht des „Scheinvaters“ gegen die Mutter hinsichtlich des echten Vaters – BGH XII ZR 136/09

15 Nov

Der Bundesgerichtshof hatte sich vor kurzem mit der Frage zu befassen, inwieweit ein „Scheinvater“ von der Mutter (§ 1591 BGB) des Kindes Auskunft hinsichtlich des wirklichen Vaters (vgl. § 1592 BGB) verlangen kann, um etwaige Ansprüche gegen diesen wegen geleisteten Unterhalts geltend zu machen.

I. Anspruch des Kindes auf Auskunft 

Schon seit längerem ist anerkannt, dass dem Kind ein Anspruch gegen die Mutter auf Auskunft hinsichtlich des echten Vaters zusteht. Das Recht auf Kenntnis der Abstammung entspringt dabei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dass aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG abgeleitet wird. Der Anspruch auf Inkenntnissetzung durch die Mutter wird zudem auf § 1618a BGB (analog) in Verbindung mit § 242 BGB gestützt.

II. Anspruch des „Scheinvaters“ auf Auskunft

Durch das Urteil des Bundesgerichtshofes werden die Rechte der Mutter, insbesondere das aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG resultierende Recht auf Privat- und Intimssphäre erheblich eingeschränkt. Dennoch scheint das Gericht bei der Entscheidungsfindung von dem Gedanken der Schutzbedürftigkeit des „Scheinvaters“ geleitet worden zu sein. „Die Beklagte schulde dem Kläger nach Treu und Glauben Auskunft über die Person, die ihr während der Empfängniszeit beigewohnt hat.“ Im vorliegenden Fall „wiegt das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter regelmäßig nicht stärker als der ebenfalls geschützte Anspruch des Mannes auf effektiven Rechtsschutz zur Durchsetzung seines Unterhaltsregresses nach erfolgter Vaterschaftsanfechtung, vgl Art. 19 Abs. 4 GG.“

Die Anspruchsgrundlage auf Unterhaltsregress ergibt sich aus §§ 1607 Abs. 3 S. 2, 1601 ff BGB, wobei der Unterhalt auch rückwirkend für die Vergangenheit gefordert werden kann, § 1613 Abs. 2 Nr. 2a BGB. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Vaterschaft des echten Vaters gemäß § 1600 d Abs. 1 BGB festgestellt wurde oder von dessen Seite ein Anerkenntnis im Sinne des § 1594 BGB vorliegt, vgl. § 1600 d Abs. 4 BGB. In diesem Zusammenhang ist umstritten, ob die Feststellung in einem gesonderten Verfahren zu erfolgen hat oder ob eine inzidente Feststellung der Vaterschaft möglich ist, was von der herrschenden Meinung mittlerweile bejaht wird. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass in nächster Zeit nicht mit einer Feststellung der Vaterschaft in einem gesonderten Verfahren gerechnet werden kann und die Interessen der betroffenen Parteien, insbesondere die der Mutter und des Kindes einer inzidenten Feststellung nicht entgegenstehen.

Fünf Gebote für die Klausurbearbeitung (Gastbeitrag Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb)

11 Nov

Barbara Dauner-Lieb

Die Hitliste meiner Klausurentipps als Lehrerin und Prüferin im Zivilrecht? Ich mache da kaum Unterschiede zwischen dem Erstsemesterabschlusstest, der Falllösung in der großen Übung und der Examensklausur:

1. Lesen Sie den Sachverhalt sorgfältig! Lesen Sie ihn noch einmal! Beachten Sie wirklich alle Besonderheiten des konkreten Falles. Von einem Juristen wird erwartet, dass er konkrete zwischenmenschliche Konflikte mit rechtlichen Mitteln wissenschaftlich tragfähig und praktisch überzeugend lösen kann. Über nichts ärgert sich der Prüfer mehr, als wenn der Sachverhalt missverstanden oder nicht ausreichend ausgeschöpft wird.

2. Die Kernkompetenz des Juristen liegt nicht darin, bekannte Fälle zu reproduzieren, sondern unbekannte Fälle überzeugend zu lösen. Kramen Sie daher nicht in Ihrem Gedächtnis, ziehen Sie nicht voreilig die Schlussfolgerung, dass ein bestimmtes Problem im Fall vorkommt. Arbeiten Sie sich ganz behutsam und demütig an die Fragestellungen des konkreten Falls heran. Sehr häufig liegen die Dinge anders, als sie bei erster Annäherung aussehen. Lösen Sie vor allem nicht Probleme, die der Fall gar nicht aufgeworfen hat.

3. Vermeiden Sie ein schematisches Abklappern von Aufbauschemata. Gehen Sie vom Gesetz aus. Verwenden Sie den genauen Gesetzeswortlaut. Beginnen Sie mit der Rechtsfolge einer Norm und zwar genau so wie sie im Gesetz formuliert ist. Arbeiten Sie sich dann allmählich zu den Problemen des konkreten Falles vor. Es ist wie in der Matheklausur im Abi, es zählt nicht das Ergebnis, sondern der Rechenweg. Die Rechtsfolge des § 142 BGB ist eben die Nichtigkeit und nichts anderes!

4. Breiten Sie nicht breit aus, was offensichtlich unproblematisch ist. Haken Sie nicht ausführlich eine Fülle von Punkten ab, die in dem Fall keine Rolle spielen. Der Handlungswille spielt in Klausuren so gut wie nie eine Rolle, das Erklärungsbewusstsein nur selten und dann bildet es auch einen Schwerpunkt des Falles. Sparen Sie Ihre Energie für die wirklichen Probleme des Falles! Überschätzen Sie nicht die Bedeutung von Meinungsstreitigkeiten!

5. Vertiefen Sie die wirklichen Probleme des Falles. Vermeiden Sie ein Verharren in formaler oder begrifflicher Argumentation. Fragen Sie nach teleologischen Gesichtspunkten! Versuchen Sie Argumente pro und kontra. Versuchen Sie – so schließt sich der Kreis – wieder auch ganz pragmatisch die Besonderheiten des Falles in die Argumentation einzubringen.

Mit herzlichen Grüßen
Ihre
 
Barbara Dauner-Lieb
 

Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht und Europäische Privatrechtsentwicklung (Universität zu Köln) und Richterin am Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen.

Private Nutzung eines Diensthandys: Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB? – Anm. zu LAG Hessen, Urt. v. 25.07.2011 – 17 Sa 1739/10

9 Nov

Das hessische Landesarbeitsgericht hatte sich mit der Frage zu befassen, inwieweit die Nutzung eines Diensthandys zu privaten Zwecken eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. (LAG Hessen vom 25.07.2011 – 17 Sa 1739/10). Der folgende Beitrag befasst sich zunächst mit den Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB und erläutert im Anschluss die aktuelle Entscheidung.

I. Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung iSd § 626 Abs. 1 BGB

Der Gesetzgeber hat in § 626 Abs. 1 BGB die Möglichkeit vorgesehen, das Arbeitsverhältnis auch ohne Rücksicht auf eine etwaige Kündigungsfrist einseitig zu beenden (§ 626 Abs. 2 BGB stellt eine Ausschlussfrist dar). Voraussetzung hiernach ist, dass Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Prüfung des Vorliegens eines wichtigen Grundes in zwei Schritten erfolgt. Zunächst ist zu hinterfragen, ob es sich um einen „an sich“ wichtigen Grund handelt, der eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Grundsätzlich kommen hierbei Störungen im Leistungs-, Vertrauens-, oder im Betriebsbereich in Betracht. Im Sinne des  Prognoseprinzips ist dabei zu erörtern, ob ein Grund vorliegt, der sich – vom Zeitpunkt des Kündigungszugangs aus betrachtet – künftig konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken wird.

In einem zweiten Schritt sind nun die Interessen des Arbeitgebers und die des Arbeitnehmers gegenüberzustellen und gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass die außerordentliche Kündigung grundsätzlich nur als ultima ratio zu erwägen ist und vorher unter Umständen eine Abmahnung das probate Mittel darstellt, sofern hierdurch eine dauerhafte Beseitigung des Kündigungsgrundes (ebenfalls prognostisch einzuschätzen) erzielt werden kann. Kriterien, die im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind, stellen beispielsweise die Dauer der Betriebszughörigkeit, das Alter, etwaige Unterhaltspflichten oder ein etwaiges Verschulden dar.

 II. Die private Nutzung eines Diensthandys

Im konkreten Fall stellte die Lufthansa-Tochter LSG Sky in einer Überprüfung des Nutzungszeitraums April 2008 bis Januar 2010 fest, dass circa 60 Angestellte in erheblicher Weise ihr Mobiltelefon zu privaten Zwecken nutzten. Obwohl das Unternehmen monatlich aufgrund der anfallenden Abrechnungen die Möglichkeit besaß, die Sachverhalte zu überprüfen, erfolgten keine Abmahnungen. Stattdessen reagierte LSG Sky unmittelbar mit fristlosen Kündigungen.

Im vorliegenden Fall gab das Landesarbeitsgericht Hessen der Berufung des Arbeitnehmers statt,  da dieser das Gericht davon überzeugen konnte, dass er unter anderem auch wegen der langjährigen Duldung durch den Arbeitgeber irrtümlich davon ausging, das Mobiltelefon zu privaten Zwecken nutzen zu dürfen. Das Gericht verweist zurecht darauf, dass der Arbeitgeber durchaus hätte zunächst eine Mahnung aussprechen können (ultima ratio – Prinzip der außerordentlichen Kündigung; s.o.)

Zu beachten ist jedoch, dass dieses Urteil keinen Freifahrtschein für Arbeitnehmer darstellt, Internetzugänge oder Mobiltelefone unter Berufung auf die irrige Annahme einer Gestattung zu privaten Zwecken zu nutzen. Entwickelt die private Nutzung ein solches Ausmaß, dass von einer gezielten Schädigung des Arbeitnehmers gesprochen werden kann, erscheint eine fristlose Kündigung gerechtfertigt (vgl. hierzu LAG Hessen vom 25.07.2011 – 17 Sa 153/11).

Wenn der Anwalt „schwänzt“ – Versäumnisurteil in der ZPO

8 Nov

Wer regelmäßig die Nachrichten auf http://www.n-tv.de verfolgt, stieß gestern auf einen Bericht zum Thema „Patentstreit zwischen Motorola und Apple“ . In dem gegebenen Rechtsstreit untersagte das Landgericht Mannheim die Einfuhr von mobilen Geräten seitens Apple, wobei hiervon wohl nur der Apple – Mutterkonzern, nicht jedoch die Apple Deutschland GmbH betroffen sei (LG Mannheim vom 04.11.2011 – Az. 7 O169/11)

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich weder mit der rechtlichen Würdigung des Urteils noch mit etwaigen patentrechtlichen Fragen, da diese Problemstellungen nicht zum Gegenstand des ersten Staatsexamens zuzuordnen sind. Interessant hingegen ist die Tatsache, dass es sich bei dem Urteil des Landgerichts Mannheim um ein Versäumnisurteil im Sinne der §§ 330 ff ZPO handelt. Was hierunter zu verstehen ist und welche Kenntnisse von einem Studenten der Rechtswissenschaften im ersten Staatsexamen hierzu erwartet werden können, soll im folgenden erörtert werden.

I. Problemkreise

Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass der Rechtsstudent im ersten Staatsexamen – zumindest im mündlichen Prüfungsabschnitt – mit Fragestellungen zum Versäumnisurteil konfrontiert wird. Dabei kann es sowohl um die Voraussetzungen des Erlasses eines solchen Urteils als auch um die Frage nach etwaigen Rechtsbehelfen gehen.

1. Voraussetzungen des Erlasses eines ersten Versäumnisurteils

Das Gericht wird ein Versäumnisurteil erlassen, wenn die hierfür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind, vgl §§ 330 ff ZPO (beachte auch zur Urteilsform § 313b ZPO). Es empfiehlt sich, anhand folgender Prüfungspunkte vorzugehen:

1. Säumnis einer Partei

2. Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils seitens der anderen Partei

3. keine entgegenstehenden Vorschriften, vgl §§ 335, 337 ZPO

4. sonstige prozessuale Voraussetzungen (Parteifähigkeit § 50 ZPO, Prozessfähigkeit § 51 ZPO, Postulationsfähigkeit § 78 ZPO, …)

5. bei Säumnis des Beklagten: Begründetheit („Schlüssigkeit“) gemäß § 331 I ZPO

Von der Säumnis einer Partei ist auszugehen, sofern die Partei beziehungsweise der vertretungsberechtigte Anwalt (vgl. §§ 78 ff ZPO) am Verhandlungstag in der Verhandlung nicht erscheint, vgl. § 333 ZPO; ferner aber auch, falls die Partei trotz Erscheinens nicht verhandelt oder die Verteidigungsbereitschaft im schriftlichen Vorverfahren nicht rechtzeitig angezeigt hat, § 331 Abs. 3 ZPO. Der im Zivilprozessrecht vorherrschenden Dispositionsmaxime gemäß § 308 Abs. 1 BGB entsprechend muss darüber hinaus ein Antrag der anwesenden Partei auf Erlass eines Versäumnisurteils erfolgen. Außerdem dürfen dem Erlass des Versäumnisurteils keine rechtlichen Einwände entgegenstehen, die vor allem den §§ 335 und 337 ZPO zu entnehmen sind. Schließlich – und wie bei Anträgen auf Erlass eines Urteils regelmäßig üblich – muss die anwesende Partei auch die sonstigen prozessualen Voraussetzungen erfüllen, also insbesondere partei-, prozess- und postulationsfähig sein, vgl §§ 50, 51, 78 ff ZPO.

Zu beachten ist im weiteren die Unterscheidung zwischen Säumnis des Klägers gemäß § 330 ZPO und der Säumnis des Beklagten gemäß § 331 ZPO. Während bei Säumnis des Klägers keine weiteren Voraussetzungen zu prüfen sind, erfordert der Erlass eines Versäumnisurteils gegen den Beklagten die Begründetheit der Klage, wobei gemäß § 331 Abs. 1 ZPO das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers als zugestanden gewertet wird, vgl. auch § 138 Abs. 3 ZPO. Daher bietet sich insbesondere dieser Fall als idealer Aufhänger für eine Examensklausur an, da hier inzident die materiell-rechtliche Prüfung zu erfolgen hat.

II. Rechtsbehelf

Fraglich ist, wie sich die säumige Partei gegen das Säumnisurteil zur Wehr setzen kann. Zunächst könnte man an eine Berufung gemäß §§ 511 ff BGB denken. Hierbei handelt es sich um ein Rechtmittel. Kennzeichnend für ein Rechtsmittel sind der sogenannte Devolutiv- (bringt die Sache in die nächsthöhere Instanz) und der Suspensiveffekt (aufschiebende Wirkung, keine Rechtskraft vor Entscheidung in der Sache). Gemäß § 340 Abs. 1 ZPO ist jedoch das Gericht zuständig, dessen Versäumnisurteil „angefochten“ werden soll, sodass ein Devolutiveffekt nicht vorliegt. Zudem ergibt sich auch aus § 514 Abs. 1 ZPO, dass die Berufung gegen das erste Versäumnisurteil nicht statthaft ist.

In Betracht kommt vielmehr ein Rechtsbehelf, der beim Prozessgericht einzulegen ist. Statthaft ist daher der Einspruch gemäß § 338 ZPO, in dessen Rahmen die weiteren Voraussetzungen der §§ 339, 340 ZPO zu beachten sind. Sollte der Einspruch zulässig sein, wird der Prozess, soweit der Einspruch reicht, in die Lage versetzt, in die er sich vor Eintritt der Versäumnis befand.

III. Erlass eines zweiten Versäumnisurteils

Gemäß § 345 ZPO erfolgt der Erlass eines zweiten Versäumnisurteils auf Antrag der anwesenden Partei, sofern die säumige Partei Einspruch gemäß § 338 ZPO eingelegt hat, in der zur mündlichen Verhandlung bestimmten Sitzung oder in derjenigen Sitzung, auf welche die Verhandlung vertagt ist, jedoch nicht erscheint oder nicht verhandelt. Voraussetzungen für den Erlass eines zweiten Versäumnisurteils sind daher:

1. Antrag auf Erlass eines zweiten Versäumnisurteils (vgl § 308 Abs. 1 ZPO)

2. Erlass eines ersten Versäumnisurteils §§ 330, 331 ZPO

3. Einspruch seitens der säumigen Partei § 338

4. erneute (unmittelbare) Säumnis der säumigen Partei

5. str.: erstes Versäumnisurteils „zu recht“ ergangen?

In Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, ob bei Erlass des zweiten Versäumnisurteils die Frage aufgeworfen werden muss, ob das erste Versäumnisurteil „zu recht“ ergangen ist.

Zum Teil wird die Ansicht vertreten, im Rahmen des Erlasses eines zweiten Versäumnisurteils sei die Rechtmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils nicht mehr zu hinterfragen. Begründet wird diese Ansicht damit, dass § 345 ZPO nicht auf § 331 ZPO verweise. Auch dem Wortlaut des § 345 ZPO lasse sich nicht entnehmen, dass eine erneute Prüfung zu erfolgen hat. Zudem ergebe sich dieses Ergebnis auch aus einem Umkehrschluss zu § 700 Abs. 6 ZPO, der explizit im Rahmen des Mahnverfahrens eine Prüfung des ersten Versäumnisurteils als Voraussetzung für ein zweites Versäumnisurteil vorsieht (§ 700 Abs. 1 ZPO stellt den Vollstreckungsbescheid einem ersten Versäumnisurteil gleich).

Vorzugswürdig erscheint hingegen die Ansicht, dass eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils auch im Rahmen der Voraussetzungen eines zweiten Versäumnisurteils zu erfolgen hat. Der Erlass eines Versäumnisurteils verkürzt ohnehin den aus Art. 103 Abs. 1 GG resultierenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Zudem ergibt sich aus § 342 ZPO, dass der Prozess bei Zulässigkeit des Einspruchs in die Lage zurückversetzt wird, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befand. Der Gedanke des § 700 Abs. 6 ZPO ist zugunsten des Säumigen auch außerhalb des Mahnverfahrens zu beachten.

Daher ist im Ergebnis auch bei Erlass des zweiten Versäumnisurteils die Rechtmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils zu prüfen. Möchte die säumige Partei nunmehr gegen ein zulässig ergangenes zweites Versäumnisurteil vorgehen, kommt gemäß § 514 Abs. 2 ZPO grundsätzlich die Berufung in Betracht.

IV. Zum Artikel auf n-tv.de

Was der Artikel nun mit der Äußerung „Apple-Anwalt schwänzt absichtlich“ umschreibt, nennt sich „Flucht in die Säumnis“. Hierbei handelt es sich um ein prozesstaktisches Vorgehen. Sofern die Sachargumente einer Partei nicht fristgerecht bis zum Ende der mündlichen Verhandlung – vgl. § 296 ZPO – vorgebracht werden (können), besteht die Möglichkeit, ein Versäumnisurteil abzuwarten, um im Anschluss im Rahmen des Einspruchs gegen das erste Versäumnisurteil das Vorbringen der Sachargumente zu ermöglichen (ergibt sich aus der Wirkung des § 342 ZPO). Eine „Flucht in die Säumnis“ kommt dabei jedoch grundsätzlich nur bei Erlass eines ersten Versäumnisurteils in Betracht, sofern die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Aktenlage nicht vorliegen, vgl. §§ 331a, 251a ZPO.

Der Beuys’sche „Fetteckenfall“ lässt grüßen

7 Nov

Seit einigen Tagen berichten die Medien ausgiebig von der Zerstörung einer Installation des renommierten Künstlers Martin Kippenberger. Eine Putzfrau im Dortmunder Museum Ostwall schrubbte bei der Installation „Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen“ einen weißlichen Kalkfleck (Patina), der sich am Boden eines Gummitroges befand weg, weil sie diesen irrtümlich für eine Verschmutzung hielt. Tatsächlich war dieser Fleck ein wesentlicher Bestandteil der Installation und diese damit unwiederbringlich zerstört. Das Museum hatte die Installation erst Anfang des Jahres von einem Sammler als Leihgabe erhalten. Indes ist ein solcher Vorfall kein Einzelfall in der neueren Deutschen Kunstgeschichte, wobei es Kunstwerke von Joseph Beuys besonders hart traf. Im Jahre 1973 „reinigten“ zwei Frauen bei einer Feier eines SPD-Ortsvereins aus Leverkusen, eine von Beuys mit Mullbinden und Heftpflastern versehenen Babybadewanne, um darin Gläser zu spülen. Das Land NRW zahlte damals 40.000 DM Schadenersatz.

Aufsehenerregender war hingegen der „Fetteckenfall“. Beuys hatte in seinem Atelier in der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf im Rahmen einer künstlerischen Aktion eine „Fettecke“ angebracht. Dabei handelte es sich um eine 25 cm hohe Ecke aus Fett, die er in einer Höhe von 5 m in einer Ecke des Raumes unmittelbar und ohne weitere Verbindung auf den Putz aufbrachte, wobei Fett in den Putz eindrang. Im Jahre 1986, kurz nach dem Tod von Beuys, wurde das Atelier gereinigt und dabei von einem Arbeiter die „Fettecke“, die er versehentlich für Schmutz hielt, entfernt. Ein enger Mitarbeiter und Meisterschüler von Beuys, Johannes Stüttgen, verklagte damals das Land NRW vor dem LG Düsseldorf auf Schadenersatz in Höhe von 50.000 DM, mit der Behauptung Beuys habe ihm die „Fettecke“ bei der Aktion mit den Worten „Johannes, jetzt mache ich Dir endlich Deine Fettecke“ geschenkt und und zu Eigentum übertragen. Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen. In späteren Vergleichsverhandlungen erhielt J. S. indes 40.000 DM.

Was hat dies mit dem Examen zu tun? Antwort: Viel! Der neue Fall bietet sich wie damals der „Fetteckenfall“ sowohl als Teil einer Klausur für einen Klausurenkurs als auch als Fall für die mündliche Prüfung an, wobei gerade auch daran zu denken ist, dass der „Fetteckenfall“ in seinem 25järigen Jubiläum eine Renaissance in Klausuren und Prüfungen erleben kann.

Der neue „Installationsfall“ eignet sich um zivilrechtliche Schadenersatzansprüche durchzuprüfen. Hier ist zunächst einmal an Ansprüche aus dem Leihvertrag (§§ 589, 604 i. V. m. §§ 280 ff. BGB) zu denken und dann aus Delikt (§§ 823 ff. BGB) wobei bei den deliktischen Ansprüchen, insbesondere die Ansprüche aus § 831 i. V. m § 823 BGB und § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG zu beachten sind, da es sich um ein städtisches Museum handelt. Diese sind insofern etwas problematisch, weil hier abzugrenzen ist, ob die Reinigung des Museums privatrechtlicher Natur ist, dann richtet sich die Haftung nach § 831 BGB, oder ob das Reinigungspersonal hoheitlich tätig geworden ist, dann § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG. Hinsichtlich des Verschuldens (§ 276 BGB) bei der Zerstörung des Kunstwerks ist darauf zu achten, ob ein Verschulden von Organen der Stadt vorliegt, z.B. durch falsche Einweisung des Reinigungspersonals durch die Museumsdirektion, dann erfolgt die Zurechnung des Verschuldens an die Stadt über §§ 31, 89 BGB. Liegt hingegen ein Verschulden von Hilfspersonen vor, erfolgt die Zurechnung über § 278 Satz 1 BGB.

Für die Prüfung sachenrechtlicher Probleme bietet sich der „Fetteckenfall“ geradezu an. Im Mittelpunkt steht hier insbesondere die Frage, ob J.S., der damalige Kläger, ein Schadenersatzanspruch aus einem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis nach §§ 989, 990 BGB zusteht. Dabei geht es u. a. auch um das Problem, ob die Akademie und damit das Land Eigentum an der „Fettecke“ erworben hat, was das LG verneinte, da es zu recht annahm, dass die Fettecke nicht wesentlicher Bestandteil des Akademiegebäudes i. S. d. § 94 BGB geworden sei. Zu prüfen ist in diesem Zusammenhang ferner ein völliger Besitzverlust von Beuys und ein damit einhergehender möglicher Eigentumserwerb des J.S. nach § 929 Satz 1 BGB oder nach § 929 Satz 2 BGB sowie ein Eigentumserwerb durch ein die Besitzübergabe ersetzendes Besitzmittlungsverhältnis (§ 930 BGB) oder ein Eigentumserwerb durch §§ 929, 931 BGB. Zu denken ist auch an an einen Eigentumserwerb des J.S nach § 950 BGB. Bejaht man entgegen der Ansicht des LG Düsseldorf einen Eigentumserwerb des J.S – was vertretbar ist – sind auch hier die deiktischen Ansprüche gem. § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG und gem. § 831 BGB einschlägig, wobei hier dann zu diskutieren ist, ob diese Ansprüche nicht bereits durch – so die h.M. – die §§ 989, 990 BGB ausgeschlossen sind. In diesem Fall wird auch wieder die Frage relevant, ob die Zurechnung des Verschuldens an das Land NRW nach §§ 31, 89 BGB oder nach § 278 Satz 1 BGB zu erfolgen hat.

Beide Fälle bieten aber auch einen guten Anlass für einen Prüfer im Bereich des Öffentlichen Rechts zu einer Grundrechtsprüfung, um die unterschiedlichen Ansätze bezüglich des Kunstbegriffs aus Art. 5 Abs. 3 GG zu erörtern, so dass eine Auseinandersetzung mit dem von der h.M vertretenen offenen Kunstbegriff sowie dem materiellen und formellen Kunstbegriff erfolgen muss.

Betrachtet man beide Fälle haben sie durchaus einen Schwierigkeitsgrad, der zumindest für die mündliche Prüfung geeignet ist.

Literatur: LG Düsseldorf, NJW 1988, 345 ff.; Richard/Junker, Die zerstörte Fettecke – LG Düsseldorf, NJW 1988, 345, in: Jus 1988, 686 ff. mit gut vertretbarer abweichender Lösung zu der des LG Düsseldorf, sowie möglichen (vor)vertraglichen Ansprüchen.

Betriebsübergang ins Ausland und § 613a BGB – Anm. zu BAG ZIP 2011, 2023

6 Nov

In der Regel wird der Rechtsstudent in den schriftlichen Prüfungen des ersten Staatsexamens eher selten mit Fragestellungen des internationalen Privatrechts behelligt. Häufiger dagegen kann eine arbeitsrechtliche Thematik Bestandteil einer Examensklausur sein. Der Sachverhalt, mit dem sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu befassen hatte (BAG vom 26.05.2011 – 8 AZR 37/10, ZIP 2011, 2023), vereint beide Rechtsgebiete miteinander und stellt daher einen zwar exotischen, nicht aber minderinteressanten Fall dar,  dessen Kernproblem hier in Kürze dargestellt werden soll.

In dem zitierten Urteil wurde die Frage aufgeworfen, ob im Falle eines Betriebsübergangs ins Ausland § 613a BGB Anwendung findet. Dabei soll zunächst kurz erörtert werden, was unter einen Betriebsübergang zu verstehen ist. In einem zweiten Schritt folgt hieran anknüpfend die Darstellung des Meinungsstands zur Anwendbarkeit des § 613a BGB bei Betriebsverlagerungen ins Ausland.

 I. Allgemeines zum Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB

Um eine Vorstellung davon zu entwickeln, was unter einem Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB zu verstehen ist, muss zunächst der Begriff des „Betriebs“ oder „Betriebsteils“ erörtert werden. Bei einem Betrieb handelt es sich nach der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts um eine organisatorische Einheit, in der Personen mit Hilfe persönlicher, sächlicher oder immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgen. Die Richtlinie 2001/23/EG beschreibt den Begriff des Betriebs in Art. 1 I lit. b als eine ihre Identität bewahrende wirtschaftliche Einheit im Sinne einer organisatorischen Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- und Nebentätigkeit. Ein Betriebsteil stellt eine auf den Zweck des Hauptbetriebs ausgerichtete und in dessen Organisation eingegliederte, aber organisatorisch abgrenzbare und verselbständige Einheit dar, bei der zumindest eine Person existiert, die das Weisungsrecht des Arbeitgebers ausübt.

Ausgehend von diesen Begriffsbestimmungen gelangte der Europäische Gerichtshof in mehreren Urteilen zu der Erkenntnis, ein Betriebsübergang sei dann anzunehmen, wenn der Betrieb im Rahmen der Übertragung seine wirtschaftliche Identität bewahre. Offensichtlich ist dem Rechtsanwender allein mit dieser Aussage wenig geholfen. Daher entwickelte der Europäische Gerichtshof hieran anknüpfend einen 7-Punkte-Katalog, der die wesentlichen Elemente eines Betriebsübergangs aufschlüsselt:

1. die Art des Betriebs oder Unternehmens
2. die Übernahme der immateriellen betriebsmittel und deren Wert sowie die vorhandene Organisation
3. die Übernahme der Kundschaft und der Lieferantenbeziehungen
4. der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter sowie deren Wert und Bedeutung
5. die Weiterbeschäftigung der Hauptbelegschaft
6. die Dauer der Unterbrechung der Tätigkeit
7. der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit
 

Anhand dieser Kriterien lässt sich in der Regel feststellen, ob ein Betriebsübergang vorliegt. Dabei ist zu beachten, dass die Indizwirkung der Merkmale 2 – 7 je nach Art des Betriebs oder Unternehmens variieren kann. Abzugrenzen hiervon ist darüber hinaus die Betriebsstilllegung, die gerade nicht auf die Wahrung der wirtschaftlichen Identität ausgerichtet ist. Vielmehr geht es hierbei um die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktorganisation. Die Einstellung muss hierbei in der ernstlichen Absicht erfolgen, die Verfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauerhaft oder zumindest für eine längere Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen.

II. Der aktuelle Fall – § 613a BGB bei Betriebsübergängen ins Ausland

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit der Frage zu befassen, ob bei einer Betriebsverlagerung ins Ausland § 613a BGB Anwendung findet. Zu beachten ist, dass sich diese Frage nur stellt, sofern die räumliche Verlagerung des Betriebs und der Betriebsübergang zeitgleich erfolgen beziehungsweise die räumliche Verlagerung vor dem eigentlichen Betriebsübergang.

Während man zum Teil davon ausgeht, dass es sich bei § 613a BGB um eine territoriale Vorschrift handle, deren Geltungsbereich an den deutschen Grenzen ende, tendieren Stimmen in der Literatur dazu, dass Recht desjenigen Staates anzuwenden, in dem der Betriebsort angesiedelt ist (widerspricht jedoch bereits in der Regel Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO).

Richtigerweise erkennt das Bundesarbeitsgericht, dass sich die Anwendbarkeit des § 613a BGB nach dem Arbeitsvertragsstatut richtet. Anzuwenden ist das internationale Privatrecht; im vorliegenden Sachverhalt die Rom I-Verordnung (im Urteil bezieht sich das Gericht noch auf das EGBGB, da der zeitliche Anwendungsbereich der Rom I-VO noch nicht eröffnet war). Das Gericht führt hierzu aus, dass Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO das Recht desjenigen Staates für einschlägig erkläre, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung seines Arbeitsvertrags die Arbeitsleistung erbringt. Dies werde auch dem Vertrauensschutz des Arbeitnehmers gerecht, der bisher in Deutschland gearbeitet und seinen Arbeitsvertrag in der Regel nach deutschem Recht abgeschlossen hat. Zwar liegt nach Betriebsübergang eine engere Verbindung des Vertrags zum ausländischen Staat vor, sodass insofern ein Statutenwechsel in Betracht kommt und ausländisches Recht Anwendung finden kann. Dieser Umstand tritt jedoch erst nach Betriebsübergang ein und steht der Anwendbarkeit des § 613a BGB nicht entgegen.

III. Vertiefendes

Das Bundesarbeitsgericht hat mit diesem Urteil eine bereits seit langem diskutierte Frage entschieden, an die einige Folgeprobleme anknüpfen. Insbesondere hinsichtlich der Fortgeltung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen sind Entwicklungen der aktuellen Rechtsprechung zu verzeichnen (BAG v. 22.04.2009 – 4 AZR 100/08), die auch im Hinblick auf Betriebsübergänge mit Auslandsbezug von Interesse sein dürften. Zur weitergehenden Lektüre sei auf den aktuellen Aufsatz von Gaul/Mückl aus der Zeitschrift „Der Betrieb“ verwiesen, der insofern einen strukturierten Überblick enthält (Gaul/Mückl in DB 2011, 2318).