So vieles ganz falsch! (Gastbeitrag Prof. Dr. Cornelius Nestler)

26 Okt
Kommentar von Prof. Dr. Nestler zu einem Interview in der Zeit vom 1. September 2011 mit dem Strafverteidiger und bekannten Buchautor Ferdinand von Schirach

Cornelius Nestler

In diesem Interview versucht die Redaktion der ZEIT eine Brücke zwischen dem neuen Roman von von Schirach und der Reaktion der Justiz der BRD auf die NS-Verbrechen zu schlagen. Dabei ist einiges erstaunlich daneben geraten:

„Warum kamen die meisten NS-Verbrecher straffrei davon?“ Auf diese Frage wollte die ZEIT mit Hilfe des Strafverteidigers und Bestsellerautors Ferdinand von Schirach eine Antwort finden. Das sog. Dreher-Gesetz, nach dem langjährigen Autor des über Jahrzehnte am meisten genutzten Kommentars zum StGB genannt (Nachfolger ist der „Fischer“), das mit kräftiger Unterstützung einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 22, 375) ab 1969 zur Straflosigkeit vieler NS-Täter wegen Verjährung führte, ist Gegenstand seines neuen Romans. Leider gerät die Antwort ziemlich daneben.

So heißt es in dem Infokasten, den die Redaktion dem Interview beigefügt hat: Mit dem Gesetz gelang es, „sämtliche Nazi-Verbrechen verjähren zu lassen, indem sie als Mittäterschaft eingestuft werden konnten.“ Ich denke, dass die aufmerksamen Leser sich gewundert haben, selbst die ohne juristische Vorkenntnisse: Verjährung für „sämtliche“ Naziverbrechen? – es gab doch auch nach 1969 noch Strafverfahren gegen NS-Täter. Und wie hat denn bitte ein Gesetz, dass alle Nazi-Verbrecher auf eine Ebene MIT den Tätern Hitler und Himmler stellt, ausgerechnet zur Straflosigkeit führen können? Es war natürlich ganz anders: In den 60ger Jahren hatte sich eine Rechtsprechung etabliert, die nahezu alle NS-Täter nur als Helfer der eigentlichen Täter Hitler und Himmler definierte und bei den Helfern dann auch nur  Gehorsam sah, aber keinen eigenen Rassenhass. Das Dreher-Gesetz führte für diese Beschuldigten zur Verjährung der Beihilfe zum Mord und damit zur Straflosigkeit.

Von Schirach sagt dann im Interview, auch der Prozeß gegen Täter wie Demjanuk sei noch wegen dieses Gesetzes „enorm schwierig. Man muss beweisen, dass sie keine Gehilfen waren, sondern Mörder.“ Hat der erfahrene Strafverteidiger das wirklich so gesagt? Demjanjuk wurde als Hilfswilliger der SS angeklagt und verurteilt, wegen Beihilfe zum Massenmord in Sobibor. Den Nachweis, er sei Täter = Mörder gewesen, wollte, konnte und musste die Staatsanwaltschaft niemals führen. Und die Verurteilung von Demjanjuk wegen Beihilfe war möglich, weil der Massenmord in Sobibor auf grausame Weise oder heimtückisch durchgeführt wurde. Auf diese Mordmerkmale ist das Dreher-Gesetz gerade nicht anwendbar.

Prof. Dr. Cornelius Nester, Universität zu Köln, hat 12 Nebenkläger im Strafverfahren gegen Demjanjuk vor dem LG München vertreten.

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