Herr Jäger und der Blutalkohol

18 Jul

Nach einem Bericht von Spiegel-Online fordert der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) eine Absenkung der absoluten Fahruntüchtigkeit für Fahrradfahrer von derzeit 1,6 Promille auf 1,1 Promille. Dabei offenbart Jäger beträchtliche Wissenslücken, was § 316 StGB angeht.

Bei der Trunkenheitsfahrt wird zwischen der relativen und der absoluten Fahruntüchtigkeit unterschieden. Die relative beginnt bei 0,3 Promille Blutalkoholkonzentration (BAK) und die absolute beim Auto bei 1,1 Promille BAK und beim Fahrrad bei 1,6 Promille BAK. Herr Jäger stellt es sich nun so vor, dass man diesen letzteren Wert einfach absenken kann – aber so einfach ist das nicht. Das zeigen die medizinischen Erkenntnisse, die hinter den beiden Begriffen stehen. Danach wird nämlich davon ausgegangen, dass ab 0,3 Promille BAK eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit möglich ist. Das bedeutet aber (natürlich) nicht, dass derjenige, der 0,3 Promille Alkohol im Blut hat, tatsächlich fahruntüchtig und damit strafbar ist, sondern man muss nachweisen, dass er tatsächlich nicht im Stande ist, ein entsprechendes Gefährt zu führen. Wie macht man das? Indem man prüft, ob er Ausfallerscheinungen zeigt – etwa die berühmten Schlangenlinien. § 316 StGB ist also erfüllt, wenn man ein bisschen Alkohol (0,3 Promille BAK) getrunken hat und das Gefährt nicht mehr sicher steuern kann (Ausfallerscheinungen). Neben dieser relativen Fahruntüchtigkeit gibt es aber auch noch die absolute. Dabei ist der Fahrer nicht „fahruntüchtiger“ als bei der relativen, sondern es werden nur andere Anforderungen an den Nachweis gestellt. Hier kommt wieder die Medizin ins Spiel: Es ist wissenschaftlich gesichert, dass ab 1,1 Promille BAK niemand, aber wirklich niemand mehr ein Auto auf Dauer sicher führen kann – beim Fahrrad ist das ab 1,6 Promille BAK der Fall. Wenn dieser Wert erreicht ist, ist völlig egal, ob der Fahrer in der konkreten Situation Fehler gemacht hat oder nicht, weil es ihm aus medizinischer Sicht unmöglich ist, sicher zu fahren.

Weil diese absolute Fahruntüchtigkeit bei Radfahrern aber erst bei 1,6 Promille BAK erreicht ist, kann Herr Jäger den Grenzwert nicht einfach absenken. Dafür bräuchte man vielmehr neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Erkenntnisse des Innenministers stützen. Der andere Weg wäre, § 316 StGB zu ändern und dort starre Grenzen einzuführen. Aber dafür sind erstens nicht die Länder zuständig, und zweitens mag der Gesetzgeber im Strafrecht keine konkreten Zahlen und belässt es lieber bei abstrakten Formulierungen. Alles in allem: Schön, dass Herr Jäger darüber geredet hat.

4 Antworten to “Herr Jäger und der Blutalkohol”

  1. RA JM 18. Juli 2012 um 09:40 #

    Dem Ganzen liegt wohl die weit verbreitete Fehlvorstellung zu Grunde, bei den Werten von 1,1 bzw. 1,6 Promille handele es sich um gesetzlich geregelte Grenzen. Dem ist eben nicht so. Keiner dieser Werte steht im StGB, es handelt sich um Richterrecht.

    Allerdings ist allerdings in der Tat schwer einsehbar, dass die Grenze für Radfahrer so deutlich höher liegt. So daneben liegt der Herr Jäger also nicht.

  2. Statistiker 20. Juli 2012 um 13:50 #

    Die Promillegrenze für Radfahrer mit der Grenze für Kraftfahrer gleichzusetzen, ist absoluter Blödsinn. Wenn ich bei 1,1 Promille den Lappen los bin, egal ob ich mit dem Pkw oder dem Fahrrad gefahren bin, setze ich mich doch lieber ins Auto. Das ist a) bequemer und b) bin ich schneller zuhause, die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, sinkt also.

    Das die Wahrscheinlichkeit, einen anderen Menschen zu töten, mit dem Auto größer ist, während der Radfahrer schwerpunktmäßig sich selbst gefährdet…. ach, ist doch egal….

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