Ist die Bezeichnung eines anderen als homosexuell eine strafbare Beleidigung? Mit dieser Frage hatte sich das Landgericht Tübingen zu beschäftigen. Währen einer Blutentnahme hatte ein unter Alkohol- und Drogeneinfluss stehender 24-Jähriger nämlich Polizisten als „Homosexuelle“ bezeichnet. Die außerdem geäußerten Bezeichnungen als „dreckige Schwanzlutscher“ und „Schwuchteln“ wertete das Landgericht ohne weiteres als Beleidigung. Mit dem Begriff „Homosexueller“ hatte es dagegen Probleme.
Dieser Bezeichnung komme nämlich, „keine wertmindernde Bedeutung – mehr – zu.“ Schließlich seien gemäß § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), der eine einfachgesetzliche Konkretisierung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Grundgesetz (GG) ist, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“. Daher dürfe auch niemand wegen seiner sexuellen Identität diskriminiert werden.
Entscheidend sei, so das LG, „dass sich das Strafrecht in einen Widerspruch zu dem verfassungsrechtlich begründeten Antidiskriminierungsansatz begeben würde, wenn die Bezeichnung als ‚homosexuell‘ als ehrmindernd und herabsetzend bewertet würde. Darin käme gerade die Diskriminierung zum Ausdruck, die von Rechts wegen nicht mehr sein soll.“
Das Motiv des Landgerichts, nämlich der Kampf gegen die Diskriminierung homosexueller Menschen, ist ohne Frage begrüßenswert. Jedoch sind das Ergebnis und die Begründung nicht überzeugend. Art. 3 GG und § 1 AGG besagen, dass eine Diskriminierung aufgrund der genannten Merkmale unzulässig ist. Hieraus lässt sich folgern, dass auch andere Gesetze so anzuwenden sind, dass sie nicht in Widerspruch zu dem Verbot stehen.
Das verbietet allerdings nicht, die Bezeichnung als homosexuell als Beleidigung zu qualifizieren. Schließlich diskriminiert derjenige, der andere so bezeichnet und dies als Beleidigung verstanden wissen will selbst homosexuelle Menschen. Denn er gibt deutlich zu erkennen, dass er Homosexualität für ehrenrührig hält. Einer solchen Äußerung mit dem Ziel des Schutzes vor Diskriminierung die Qualität als Beleidigung abzusprechen, ist widersprüchlich – geradezu absurd.
Eine weitere Ungereimtheit tritt auf, wenn man die Argumentation des LG weiterdenkt: Nach ihr wäre auch die Bezeichnung als „behinderte Polizisten“ nicht als Beleidigung zu qualifizieren, denn nach dem AGG dürfen auch behinderte Menschen nicht diskriminiert werden. So sehr man sich eine Gesellschaft ohne die Benachteiligung von Menschen mit Behinderung wünscht – die Bezeichnung als „behindert“ gilt als ehrenrührig, zumal hier auch die Reduzierung der Person auf nur diese Eigenschaft mitschwingt. Letzteres ist also als Beleidigung zu qualifizieren. Nach der Argumentation des LG ständen dem aber Art. 3 GG und das AGG entgegen.
Die Lösung des Falls ergibt sich aus der Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, die bei der Auslegung des Beleidigungstatbestands stets notwendig ist: In der Situation, in der der Täter auch die oben genannten härteren und eindeutig beleidigenden Begriffe verwendet, stellt auch die Bezeichnung als homosexuell eine Beleidigung dar – ansonsten jedoch nicht. Das folgt aber nicht aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, sondern aus einer erfreulichen Entwicklung: Für weite Teile der Gesellschaft ist Homosexualität heute weder etwas Ungewöhnliches noch etwas ehrenrühriges, und die bloße Bezeichnung als homosexuell ist deshalb keine Beleidigung mehr.
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