Frau S., das Bundesverfassungsgericht und die Zentrifuge

6 Dez

Die Zentrifuge, BVerfG NVwZ 2010, 702 – Adventskalender (6)

Frau S. zur Einschätzung der Bundesregierung bzgl. Versuchsreihen des CERN zur experimentellen Elementarteilchenerzeugung.

„Die Beschwerdeführerin hält diese Sicherheitsanalyse für unzutreffend. Vielmehr hält sie eine Zerstörung der Erde durch die geplante Versuchsreihe nicht für ausgeschlossen. Schlimmstenfalls sei von einer Restlebenszeit des Planeten von weniger als fünf Jahren auszugehen. Sie beantragte daher vor dem VG Köln den Erlass einer einstweiligen Anordnung, verbunden mit dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Sie begehrte, die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, mit den Mitteln, die dieser völkerrechtlich zur Verfügung stehen, eine Beschränkung der bei den Versuchen eingesetzten Energie auf ein Maß zu erreichen, das bereits in andernorts betriebenen Teilchenbeschleunigern älterer Bauart verwendet wurde und daher unbedenklich sei. Die Anträge blieben erfolglos, ebenso die gegen die Ablehnung eingelegten Beschwerden zum OVG für das Land NRW. Zur Begründung verweisen die angegriffenen Entscheidungen im Wesentlichen darauf, dass eine Gefahr für die Rechtsgüter der Beschwerdeführerin nicht hinreichend wahrscheinlich sei. Angesichts des wissenschaftlich äußerst komplexen Sachverhalts habe die Bundesregierung durch Risikoermittlung und -bewertung alles ihrerseits Erforderliche getan und sich schließlich innerhalb des ihr eröffneten Beurteilungsspielraums gegen ein Einschreiten entschieden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass bei der vorgenommenen Risikoabschätzung relevante Risiko- oder Schadensszenarien von vornherein unberücksichtigt geblieben wären, seien weder dargetan worden noch sonst ersichtlich.“

Dagegen das BVerfG (neben anderen Argumenten):

„Auch das vermeintliche Ausmaß des von der Beschwerdeführerin für möglich gehaltenen Schadensereignisses rechtfertigt keinen Verzicht auf die Schlüssigkeit der Warnung. Auch die (vermeintliche) Größe eines Schadens – hier die Vernichtung der Erde – erlaubt keinen Verzicht auf diese Mindestsubstantiierung, ob ein wenigstens hypothetisch denkbarer Zusammenhang zwischen der Versuchsreihe und dem Schadensereignis besteht. Das Ausmaß möglicher Schäden zwingt staatliche Stellen lediglich zum Einschreiten, falls substantiierte Warnungen vorliegen. Dieser Aspekt unterscheidet die vorliegende Konstellation von den beiden atomrechtlichen Senatsentscheidungen, die jeweils mit der Einhegung von Gefahrenpotentialen befasst waren, über deren Existenz weder tatsächlich noch theoretisch Dissens herrschte (…). Während jene Entscheidungen die Frage betrafen, ob unstreitig vorhandene, tödliche Radioaktivität technologisch hinreichend beherrschbar war, ist der Vortrag der Beschwerdeführerin anders gelagert. Begehrt sie doch die Beseitigung eines von ihr nicht schlüssig dargelegten Gefahrenpotentials, von dessen Nichtexistenz die Bundesregierung nach Feststellung der Fachgerichte ausgeht.“

Eine ernsthafte Besprechung der Entscheidung: Jaeckel, DVBl 2011, 13.

In den nächsten Wochen werden wir jeden Tag im Stile eines Adventskalenders kuriose und witzige Urteile veröffentlichen. Bekannte Klassiker und Exoten, Mietrecht und Reiserecht können Türchen für Türchen entdeckt werden.

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