Das einzige noch lebende mutmaßliche Mitglied der Zwickauer Zelle – Beate Z. – sitzt zur Zeit in Köln Ossendorf in Untersuchungshaft. Diskutiert wird – vgl. nur hier – die Möglichkeit einer Aussage als Kronzeugin. Der 2009 in Kraft getretene § 46b StGB regelt die „Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten“ und ist die zentrale Norm in der Diskussion.
Aber was bedeutet die sog. Kronzeugenregelung in § 46b StGB?
§ 46b StGB regelt zwei Konstellationen: In den Genuss von § 46b StGB können zunächst alle Täter (darüber hinaus auch Teilnehmer) kommen, die eine Straftat begangen haben, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist.
1. Aufklärungsvariante: Die Kronzeugenangaben tragen wesentlich zur Aufklärung einer Straftat nach § 100a Abs. 2 StPO (Katalogtaten: Aufklärung/Verhinderung durch Kronzeugenwissen nach Willen des Gesetzgebers besonders zu honorieren) bei.
2. Präventionsvariante: Die Kronzeugenangaben tragen dazu bei, dass eine solche Straftat verhindert wird. Die Wissensoffenbarung muss sich auf eine bereits geplante Katalogtat beziehen.
§ 46b Abs. 3 StGB enthält eine Präklusionsvorschrift: In den Genuss der Strafrahmenverschiebung kommt nur, wer seine Aussage vor Eröffnung des Hauptverfahrens macht (ansonsten kommt nur eine Milderung nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht: zB strafmilderne Wirkung des Geständnisses). Zwar ist es nicht erforderlich, dass gegen den Täter bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, wenn er sein Wissen mitteilt (auch der „Aussteiger“ ist erfasst). Die Präklusionsvorschrift des § 46b Abs. 3 StGB bietet den Strafverfolgungsbehörden einen erweiterten Überprüfungszeitrau, schließlich soll eine Strafmilderung nur bei hilfreichen Kronzeugenangaben zur Anwendung kommen (zudem wird so eine Kollision mit der Verständigung nach § 257c StPO vermieden; diese kann erst in der Hauptverhandlung erfolgen). Das Zeitfenster für Kronzeugenangeben ist deshalb streng begrenzt. Eine Verständigung kann erst nach Gebrauch der Kronzeugenregelung erfolgen. Zudem garantiert der Verweis auf § 207 StPO dem Kronzeugen die Möglichkeit, mit seiner Aussage so lange zu warten, bis sein Verteidiger Akteneinsicht hatte (vgl. § 147 Abs. 1 und Abs. 2 StPO). Dies eröffnet die Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit seiner Verurteilung selbst abschätzen zu können.
Rechtsfolge
Rechtsfolge ist eine fakultative Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB (mit Sonderregelung für die lebenslange Freiheitsstrafe) bzw. auch ein Absehen von Strafe.
Bei lebenslanger Freiheitsstrafe tritt an die Stelle der dort vorgesehenen Untergrenze von 3 Jahren eine Mindeststrafe von 10 Jahren tritt. Hat der Täter eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als 3 Jahren zu erwarten, so kann auch gänzlich von Strafe abgesehen werden (ggf. Einstellung des Verfahrens nach § 153b StPO).
Bedenken gegen die Kronzeugenregelung:
1. Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG)
Täter schwerer Straftaten und in organisierter Kriminalität verstrickte Personen kommen in den Genuss einer Strafrahmenverschiebung (oder gar eines Absehens von Strafe), andere Täter nicht.
Aber: Sachlicher Grund durch den Bezug auf die Katalogtaten, § 100a Abs. 2 StPO.
2. Nemo tenetur
Unzulässiger Druck zur frühzeitigen Selbstbelastung des Beschuldigten durch die Präklusionsklausel, schließlich droht im Falle des Schweigens der Verlust einer Vergünstigung?
Aber: Frühzeitiges Handeln (z.B. Geständnis, Täter-Opfer-Ausgleich) wird im Rahmen der Strafzumessung stärker honoriert, als späteres Handeln. § 46b StGB erweitert in diesem Zusammenhang den Handlungsspielraum.
Fazit:
Die BILD-Zeitung titelt: „Nazi-Terroristin Beate Z. – Kommt sie mit zehn Jahren davon?“
Darunter: „Wie BILD am SONNTAG aus Ermittlerkreisen erfuhr, will Beate Z. dazu aber nur aussagen, wenn ihr zuvor als Kronzeugin Strafmilderung zugesichert wird!“
Schweigen steht ihr als Beschuldigte grundsätzlich zu; nicht der Täter droht mit der Verweigerung der Aussage, sondern das Gesetz bietet die Möglichkeit, eine – geeignete – Aussage zu honorieren.
„Möglich, dass sich ein Richter auf den Deal einlässt. Denn die Fahnder brauchen die Hilfe der Frau, um das ganze Ausmaß der Taten rekonstruieren zu können. Und, noch dringender, um mögliche weitere Mitglieder der braunen Terrorzelle zu finden.“
Ist mit dem Begriff „Deal“ die Verständigung nach § 257c StPO gemeint, so wurde bereits dargestellt, dass Kronzeugenregelung und Verständigung zwei unterschiedliche Phasen des Verfahrens betreffen.
Bei Interesse sei die Lektüre von Leipold, NJW-Spezial, 2009, 776 (mit dem bezeichnenden Titel: „Es soll ihr Schaden nicht sein!“ – Die neue Kronzeugenregelung) empfohlen.
Die Frage ist ja, ob „Frau Z.“ überhaupt noch zur Aufklärung von Straftaten, die zu einer Verurteilung führen können oder zur Verhinderung zukünftiger Taten aussagen kann, denn die Täter der bisherigen Anschläge sind nach offizieller Lesart bereits tot. Viel eher wird sie schweigen, weil sie sich erhofft, dass ihre Tätigkeiten als mögliche Informantin ins rechte Licht gerückt werden und es daher zu einer Unterdrückung von Teilen einer Anklage kommt (Staatsanwälte sind ja weisungsgebunden). Die Musik spielt daher wohl eher auf dem Gebiet der Opportunitätsregelungen des StGB, Strafverfolgung zu unterdrücken, wo sie einem Land oder dem Bund zum Schaden gereichen könnte.