Zwangsheirat und symbolisches Strafrecht – Lektüreempfehlung Valerius, JR 2011, 430-434

8 Nov

„Gedanken zum Straftatbestand der Zwangsheirat (§ 237 StGB)“ macht sich PD Dr. Brian Valerius im Oktober-Heft der JR (S. 430-434) und äußert sich kritisch zur Einführung des Tatbestands. Kritisch einerseites deshalb weil der Tatbestand unklar formuliert ist und andererseits da zur Eindämmung des Problems in erster Linie auf andere rechtliche Instrumente als das Strafrecht zurückgegriffen werden solle.

Zunächst sei unklar, was überhaupt unter einer „Ehe“ im Sinne der Vorschrift zu verstehen sei, ob etwa auch bloß kirchliche oder Eheschließungen im Ausland, die in Deutschland nicht anerkannt werden den Tatbestand erfüllen. Daneben sei auch nicht klar, ob der Tatbestand auch dann erfüllt sei, wenn das in Aussicht gestellte Übel bloß die Trennung vom Partner ist oder wenn der Familienpatriarch die Eheschließung „anordnet“.

Auf die dort erörterten Probleme des neu eingeführten Tatbestands möchte ich hier überhaupt nicht eingehen, sondern vielmehr nur einen Aspekt des Aufsatzes herausgreifen, nämlich die pointiert dargestellte Tendenz des Gesetzgebers, das Strafrecht vermehrt nicht zum Rechtsgüterschutz, sondern als Symbol einzusetzen. Über die Normierung eines besonderen Tatbestands der Zwangsheirat − die auch bislang schon einen besonders schweren Fall der Nötigung darstellte! − hinaus zeigt Valerius etwa das Beispiel der Genitalverstümmelung auf, die natürlich auch de lege lata von den §§ 223 ff. StGB erfasst wird, für die aber auch ein eigener Tatbestand im Gespräch ist, während die Bundesregierung aber einen speziellen Tatbestand gegen das sog. Phishing ablehnt, da ein ausreichender Schutz hiervor auch nach geltendem Recht bestehe. Vor diesem Hintergrund macht Valerius darauf aufmerksam, dass es „nicht nur integrationspolitisch bedenklich“ wäre „eine Symbolfunktion von Strafnormen bevorzugt bei strafwürdigen Verhaltensweisen heranzuziehen, die vornehmlich in anderen Kulturkreisen verbreitet sind und auf welche die Öffentlichkeit im hierzulande nunmehr im Zuge der kulturellen Pluralisierung aufmerksam wird.“ Vielmehr sollte das Strafrecht generell nicht zum Symbol degradiert, sondern entsprechend seinem eigentlichen Zweck, nämlich „ein friedliches Zusammenleben zu gewährleisten“ eingesetzt werden.

Passenderweise schreibt heute Bundesfamilienministerin Schröder in der FAZ  (S. 10) über das Problem: „Zwangsverheiratungen sind in Deutschland seit diesem Jahr endlich ein eigener Straftatbestand mit besseren Opferschutzrechten.“ Den Hauptangriffspunkt, um das Problem zu lösen, sieht aber auch sie nicht im Strafrecht, sondern in Beratungsangeboten, wie insbesondere einem neuen „Hilfstelefon“, an das Betroffene sich wenden können und das eine „Fluchttür aus der familiären Gefangenschaft“ sein solle.

Die Lektüre des Aufsatzes sei aufgrund der rechtspolitischen Dimension jedem ans Herz gelegt. Insbesondere scheint sich mir die Thematik aber für mündliche Prüfungen zu eignen, weil sich prüfen lässt, ob die Kandidaten mit unbekannten Normen umgehen und mithilfe der üblichen Auslegungsregeln eine eigene Lösung finden können. Aus dem Netzwerk der Universität zu Köln ist der Aufsatz hier im Volltext abrufbar.

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