Lebenslanger Freitrunk für ehemaligen Arbeitnehmer

5 Dez

Gewährung des brauereitypischen Freitrunks nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, LAG Hamm, Urt. v. 28.04.1999 – 14 (6) Sa 43/99 – Adventskalender (5)

„Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem in den vorzeitigen Ruhestand getretenen Kläger weiterhin den brauereitypischen Freitrunk zu gewähren.

Der am 01.05.1938 geborene Kläger war bis zum 01.04.1995 bei der Beklagten im Außendienst beschäftigt. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgte durch einen Auflösungsvertrag, welcher seinerseits die Konzernbetriebsvereinbarung vom 14.06.1993 über die „Auflösung von Arbeitsverhältnissen im Alter vor 60“ zum Gegenstand hat. Ziffer 7 dieser Betriebsvereinbarung regelt, daß die ausgeschiedenen Arbeitnehmer bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres monatlich den Freitrunk nach dem einschlägigen Manteltarifvertrag beanspruchen können. Danach, so die Betriebsvereinbarung, stehen den ehemaligen Mitarbeitern 20 Liter Bier monatlich als Freitrunk zu.

 Tatsächlich erhielt der Kläger nach seinem Ausscheiden von der Beklagten den in der Konzernbetriebsvereinbarung zugesagten Freitrunk. Dabei konnte er zwischen den in der K. im Rahmen eines gemeinsamen Betriebes produzierten Biersorten und -marken (u.a. Kronen Pilsener. Kronen Export. Hövels, Stifts Pils und Thier Pils) wählen. Auch konnte ein Malztrunk als alkoholfreies Getränk bezogen werden.

Die Beklagte geriet im Laufe des Jahres 1996 in erhebliche Liquiditätsschwierigkeiten. Sie verkaufte sämtliche Gesellschaftsanteile an die Dortmunder Aktienbrauerei AG mit Wirkung zum 01.10.1996. Die neuen Anteilseigner entschieden, die traditionelle Braustätte der Beklagten aufzugeben und das nach wie vor unter dem Namen der Beklagten vertriebene Bier von einer externen Brauerei herstellen zu lassen. Hierüber wurde mit der Dortmunder Aktienbrauerei AG ein Lohnbrau- und Abfüllvertrag geschlossen. Die eigene Brautätigkeit stellte die Beklagte mit Ablauf des Jahres 1996 ein. (…)

 Bereits durch eine Vereinbarung vom 04.12.1996 hatte der Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) in Köln die Erfüllung der laufenden Renten aus dem betrieblichen Versorgungssystem der Beklagten übernommen. Hierauf wurde der Kläger, der zum 01.05.1998 das 60. Lebensjahr vollendete, mit Schreiben der Beklagten vom 06.01.1998 hingewiesen und ihm zugleich angekündigt, daß sie zum vorgenannten Datum die bisherige Freitrunkgewährung einstellen werde. Für die Belieferung des Freitrunks im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung sei sie nicht mehr zuständig. (…)

Mit seiner am 15.05.1998 vor dem Arbeitsgericht Dortmund erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Weitergewährung des Freitrunks, nunmehr in Höhe von 20 Liter monatlich, in Anspruch genommen.

Dabei hat er betont, daß die Beklagte ihm gegenüber eine vertragliche Verpflichtung auf Gewährung von Freitrunk eingegangen sei. Dem könne die Beklagte sich nicht einfach unter Hinweis auf ihre schwierige wirtschaftliche Lage entziehen. Auch lägen nicht die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage vor. Denn nach wie vor vertreibe die Beklagte Bier, welches als Hersteller die … in Dortmund ausweise. Der Umstand, daß die Beklagte nunmehr offenbar einen Subunternehmer mit der Herstellung beauftragt habe, ändere an ihrer Produzentenstellung nichts.

Dazu das LAG:

„Anders als das Arbeitsgericht ist die Berufungskammer zu dem Ergebnis gelangt, daß die Beklagte die für die Betriebsrentner maßgebliche Freitrunkregelung auch nach der Stilllegung des Braubetriebes einzuhalten hat. (…)

Nach Auffassung der Berufungskammer handelte es sich bei dem traditionellen im Braugewerbe üblichen Frei- oder Haustrunk um ein Deputat ähnlich wie den im Steinkohlenbergbau üblichen Hausbrand (vgl. BAG, Urteil vom 02.12.1986 in AP Nr. 9 zu § 611 BGB Deputat). Dabei geht es um eine am persönlichen Bedarf des Arbeitnehmers ausgerichtete Teilhabe am Produktionsergebnis. Der Zweck der Teilhabe am Produktionsergebnis ist aber ebenso wie im Steinkohlenbergbau auch im Brauereigewerbe weitgehend durch den Gedanken der Vor- und Fürsorge abgelöst worden. Dies ergibt sich schon daraus, daß der Freitrunk keineswegs nur denjenigen Mitarbeitern zusteht, welche unmittelbar mit der Bierproduktion befasst sind. So hatte auch der Kläger als Außendienstmitarbeiter keinen unmittelbaren Bezug zur Produktion der Beklagten und der übrigen im Verbund stehenden Brauereien.

(…) Jeder Mitarbeiter im Brauereiwesen, unabhängig davon, ob und in welchem Umfang er mit der Bierproduktion zu tun hat, hat Anspruch auf den tariflichen Freitrunk. So stellte auch die Beklagte nicht in Frage, daß ihre aktiven Mitarbeiter, die gar nicht mehr mit der Herstellung von Bier befasst sind, nach wie vor den tariflichen Freitrunkanspruch haben. Sie selbst bezeichnet sich immer noch als Brauerei und tritt als Herstellerin der Marke „…“ am Markt auf, obwohl sie gar nicht mehr in der Lage ist, selbst Bier zu brauen.“

Wie auch im letzten Jahr veröffentlichen wir im Stile eines Adventskalenders kuriose und witzige Urteile. Bekannte Klassiker und Exoten, Mietrecht und Reiserecht können – Türchen für Türchen – entdeckt werden.

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