Zur Rettung eines Wellensittichs ist die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 54 km/h nicht gerechtfertigt, OLG Düsseldorf NStZ 1990, 396 – Adventskalender (18)
„Der Betroffene hat auf der Autobahn die zulässige Geschwindigkeit überschritten. Er hat dies eingeräumt, sich jedoch dahin eingelassen, daß sie gerechtfertigt gewesen sei, weil er eine Frau mit ihrem im Koma liegenden Wellensittich möglichst schnell zu einem Tierarzt habe fahren wollen.
Das AG hat gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 450 DM festgesetzt. Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.„
Dazu das OLG:
„Die tatrichterlichen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gem. §§ 41 II Nr. 7, 49 III Nr. 4 StVO, 24 StVG. Das Urteil enthält zwar keine Feststellungen zur Durchführung der Radarmessung. Dies ist hier jedoch entbehrlich, da der Betroffene glaubhaft geständig ist, die Geschwindigkeit in der von der Polizei gemessenen Höhe überschritten zu haben; ein glaubhaftes Geständnis bedarf keiner weiteren Überprüfung (Lit.).
Der Betroffene wollte zwar nach seiner unwiderlegten Einlassung einen im Koma liegenden Wellensittich retten. Die Geschwindigkeitsüberschreitung war deshalb jedoch nicht wegen Notstands gem. § 16 OWiG gerechtfertigt. Diese Vorschrift setzt voraus, daß bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das geschützt Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. In diese Erwägungen sind auch die Rangordnungen der betroffenen Rechtsgüter einzubeziehen. Steht z.B. – wie hier – die Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit die Gefahr für Leib und Leben von Menschen auf dem Spiel, so tritt demgegenüber die Rettung eines Tieres grundsätzlich zurück. Der Beweggrund, ein erkranktes Tier möglichst rasch zu behandeln zu lassen, rechtfertigt daher die Verletzung von Sicherheitsvorschriften im Straßenverkehr, zu denen auch Geschwindigkeitsbeschränkungen gehören, regelmäßig nicht (Lit.). Ein Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 54 km/h war nicht wegen Rettung eines Wellensittischs gerechtfertigt.
Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, daß der Betroffene schon zur Tatzeit der Auffassung war, in Fällen vorliegender Art sei eine Geschwindigkeitsüberschreitung gerechtfertigt. Dieser Verbotsirrtum führt jedoch zu keiner anderen Beurteilung seiner Schuld. Die Fahrlässigkeitsschuld setzt zwar, wie die Schuld bei der Vorsatztat, das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit oder potentielles Unrechtsbewußtsein voraus (Lit.). Der Fahrlässigkeitstäter darf auch, was sein potentielles Unrechtsbewußtsein anbelangt, nicht dadurch schlechter gestellt werden, daß er nur fahrlässig handelt; was ihm bei vorsätzlichem Verhalten in der Form eines vermeidbaren oder unvermeidbaren Verbotsirrtums zugute käme, muß auch im Falle bloß fahrlässigen Verhaltens entlastend wirken, so da unvermeidbarer Verbotsirrtum die Ahndung bewußt oder unbewußt, fahrlässiges Handeln ausschließt (Lit.). Hier liegt jedoch kein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor, weil der Betroffene bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte wissen können, daß die möglichst rasche Behandlung eines erkrankten Tieres Geschwindigkeitsüberschreitungen regelmäßig nicht rechtfertigt.“
Wie auch im letzten Jahr veröffentlichen wir im Stile eines Adventskalenders kuriose und witzige Urteile. Bekannte Klassiker und Exoten, Mietrecht und Reiserecht können – Türchen für Türchen – entdeckt werden.
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