Kein Unfallversicherungsschutz bei Ermordung auf einem Arbeitsweg durch Familienangehörigen aus familiären Gründen, LSG Baden-Württemberg Beschl. v. 22.11.2011, L 2 U 5633/10 – Adventskalender (19)
„Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach der Ermordung ihres Ehemannes durch den gemeinsamen Sohn.
Die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann Salvatore C. haben 2 Pizzerien betrieben. In der Pizzeria C. war S. seit 01.02.1999 als Koch und Bürokraft geringfügig beschäftigt und bei der Beklagten als Arbeitnehmer gemeldet. Er arbeitete wöchentlich 54 Stunden und erhielt einen Bruttolohn von 360,00 EUR, netto 286,11 Euro.
Am 22.07.2009 fuhr S. entsprechend der vorherigen Absprache gemeinsam mit seinem Sohn, Maurizio C. in dessen Wagen gegen 10:00 Uhr zum Steuerberatungsbüro des Beschäftigungsbetriebs. Auf der Rückfahrt fuhr der Sohn zunächst auf dem Heimweg Richtung St., bog dann aber in das Industriegebiet Rot-M. ab, fuhr die Industriestraße lang und bog dann von dieser nach rechts in die G. Straße, eine Sackgasse, ab. Dort brachte er das Fahrzeug unter Vortäuschung einer Fahrzeugpanne zum Stehen. Er stieg aus dem Fahrzeug aus und lockte seinen Vater unter einem Vorwand nach hinten zum Kofferraum. In diesem Moment ergriff M. entsprechend seinem am Vortag gefassten Plan einen mitgebrachten Zimmermannshammer und schlug mit der Spitze mindestens achtmal auf den Kopf seines Vaters ein, um ihn zu töten. Dieser trug schwere, jedoch nicht tödliche Verletzungen davon und versuchte zu fliehen. M. holte daraufhin aus dem Kofferraum einen planmäßig mitgebrachten Benzinkanister, übergoss seinen Vater mit dem Kraftstoff und zündete ihn schließlich an. Er beobachtete zunächst seinen brennenden Vater und verließ ruhig den Schauplatz der Tat, nachdem Zeugen auf das Geschehen aufmerksam wurden. Später stellte er sich auf dem Polizeirevier W.. Der Vater erlag am selben Tag seinen schwersten Verbrennungen. M. wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 12.03.2010 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Klägerin bezieht deswegen Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz. Sie hat die Pizzeria C. am 04.08.2009 abgemeldet.
Wegen dieses Vorfalls beantragte die Klägerin am 06.08.2009 zunächst telefonisch und am 10.08.2009 schriftlich die Gewährung einer Witwenrente. Die Beklagte zog die staatsanwaltlichen Ermittlungsakten bei und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 06.10.2009 ab. Das Ereignis vom 22.07.2009 stelle keinen Arbeitsunfall dar. Versicherungsschutz sei nicht gegeben, weil der Überfall auf dem Betriebsweg nach den Unterlagen der Staatsanwaltschaft ausschließlich auf einer persönlichen Feindschaft der Beteiligten beruhe. Der ursächliche Zusammenhang mit dem Betrieb sei damit entfallen. Daher habe sich der Versicherte zum Ereigniszeitpunkt nicht mehr bei einer versicherten Tätigkeit befunden.
(…)
Das SG hat im angefochtenen Urteil die rechtlichen Voraussetzungen, unter denen ein Überfall als Arbeitsunfall anzusehen ist, zutreffend benannt und ausgeführt, dass es hierfür wesentlich auf die Beweggründe des Angreifers bei der Tat ankommt und sich der innere Zusammenhang zwischen dem Überfall als Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit verliert, wenn die Beweggründe des Angreifers dem persönlichen Bereich der Beteiligten zuzurechnen sind. Sodann hat es ausführlich, schlüssig und überzeugend anhand der Angaben des M., der Aussagen der Zeugen sowie der strafrechtlichen Ermittlungen anhand der staatsanwaltlichen Ermittlungsakten und der Strafakten herausgearbeitet, dass dies bei dem am Vortag vorbereiteten Mord des Sohnes an seinem Vater der Fall gewesen ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung an, sieht deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen der Klägerin in der Berufungsinstanz nicht Neues enthält. Dazu, dass besondere Verhältnisse bei Zurücklegen des Weges eine gewichtige Rolle gespielt haben sollen, hat bereits das SG ausgeführt, dass der Sohn des Versicherten als naher Verwandter zu jedem Zeitpunkt und bei jeder Gelegenheit die Möglichkeit gehabt hätte, seinen Vater zu töten. Ergänzend ist hierzu nochmals darauf hinzuweisen, dass der 38-jährige Sohn nach dem Scheitern seiner Ehe zur Tatzeit seit ca. einem halben Jahr wieder in der Wohnung seiner Eltern wohnte und schon auf Grund der räumlichen Nähe sich viele andere Gelegenheiten zur Ermordung des Vaters ergeben hätten. Dass er die Fahrt zum Steuerberater hierzu genutzt hat, vermag keinen inneren Zusammenhang mit der Tätigkeit als (eventuell formal) angestellter Koch und Bürokraft zu begründen, sondern geschah nur gelegentlich.“
In den nächsten Wochen werden wir jeden Tag im Stile eines Adventskalenders kuriose und witzige Urteile veröffentlichen. Bekannte Klassiker und Exoten, Mietrecht und Reiserecht können Türchen für Türchen entdeckt werden.
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