Wer den Richter nicht weckt, hat die Revision nicht verdient, BVerwG NJW 2001, 2898 – Adventskalender (17)
Welche Konsequenzen es geben kann, wenn der Anwalt schläft, hat uns der BGH in Türchen Nr. 5 erklärt. Bei einem Richter scheint die Rechtsprechung in der Bewertung großzügiger zu sein…
„Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung muss derjenige, der sich darauf beruft, das Gericht sei wegen eines in der mündlichen Verhandlung eingeschlafenen Richters nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, konkrete Tatsachen vortragen, welche eine Konzentration des Richters auf die wesentlichen Vorgänge in der Verhandlung ausschließen. Dabei sind der Zeitpunkt, die Dauer und die Einzelheiten des Verhaltens des Richters genau anzugeben. Weiterhin hat die Besetzungsrüge darzulegen, was während dieser Zeit in der mündlichen Verhandlung geschehen ist, welche für die Entscheidung wichtigen Vorgänge der Richter während seines „Einnickens” nicht habe erfassen können.
Die Darlegungen der Beschwerde genügen den vorgenannten Anforderungen nicht. Die Beklagtenvertreterin trägt insoweit vor: „Der ehrenamtliche Richter H. war unfähig der Verhandlung zu folgen, weil er über einen längeren Zeitraum ununterbrochen die Augen geschlossen hatte und – wie durch seine Körperhaltung, nämlich Senken des Kopfes auf die Brust und ruhiges tiefes Atmen sowie ‚Hochschrecken‘ – zum Ausdruck kam, offensichtlich geschlafen hat.” Zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags hat sie auf einen Vermerk des ihr zur Ausbildung zugewiesenen Rechtsreferendars Bezug genommen, der an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hatte und in seinem Vermerk anmerkt, „dass während nahezu der gesamten Verhandlung der ehrenamtliche Richter einnickte. Er schien der Verhandlung nicht zu folgen”.
Aus diesen mitgeteilten Beobachtungen, die weder hinsichtlich der Dauer des behaupteten Einnickens bestimmt sind noch sich inhaltlich decken und die vom Klägervertreter, der ebenfalls an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, nicht bestätigt werden, lässt sich aber, selbst wenn sie zuträfen, noch nicht sicher darauf schließen, dass der bezeichnete Richter tatsächlich über einen längeren Zeitraum geschlafen hat und der mündlichen Verhandlung nicht folgen konnte. Das Schließen der Augen über weite Strecken der Verhandlung und das Senken des Kopfes auf die Brust beweist allein nicht, dass der Richter schläft. Denn diese Haltung kann auch zur geistigen Entspannung oder zwecks besonderer Konzentration eingenommen werden. Deshalb kann erst dann davon ausgegangen werden, dass ein Richter schläft oder in anderer Weise „abwesend” ist, wenn andere sichere Anzeichen hinzukommen, wie beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder ruckartiges Aufrichten mit Anzeichen von fehlender Orientierung. Derartige Beweisanzeichen hat die Beschwerde nicht in ausreichendem Maße vorgetragen. Ruhiges tiefes Atmen kann ebenfalls ein Anzeichen geistiger Entspannung oder Konzentration sein, insbesondere dann, wenn es für andere nicht hörbar erfolgt, denn gerade dies kann da-rauf schließen lassen, dass der Richter den Atmungsvorgang bewusst kontrolliert und nicht schläft. Auch das „Hochschrecken” des Richters hat die Beschwerde nicht näher geschildert, vor allem nicht dargelegt, dass er nach dem „Hochschrecken” einen geistig desorientierten Eindruck gemacht habe. „Hochschrecken” allein kann auch darauf schließen lassen, dass es sich lediglich um einen die geistige Aufnahme des wesentlichen Inhalts der mündlichen Verhandlung nicht beeinträchtigenden Sekundenschlaf gehandelt hat.
Desweiteren lässt es die Beschwerde an jeglichen Darlegungen dazu fehlen, was konkret in der Phase, in der der ehrenamtliche Richter geschlafen haben soll, in der mündlichen Verhandlung geschehen ist. Wie aus dem Vermerk des Referendars ersichtlich, war die mündliche Verhandlung in mehrere Abschnitte gegliedert, nämlich Vortrag des Sach- und Streitstandes durch den Berichterstatter, Vergleichsgespräch des Vorsitzenden mit den Parteien und schließlich Verhandlung der Beteiligten zur Sache. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Sitzungsprotokoll, dass die von 12.48 Uhr bis 14.21 Uhr dauernde Verhandlung um 13.35 Uhr durch eine elfminütige Pause unterbrochen wurde, in der sich der Senat zu einer kurzen Zwischenberatung zurückzog. Auf welche dieser Abschnitte der mündlichen Verhandlung sich das behauptete Einnicken des ehrenamtlichen Richters bezogen haben soll, wird von der Beschwerde nicht dargelegt. Ihre Angabe, dies habe sich auf einen längeren Zeitraum bezogen, ist demnach bei weitem zu unbestimmt, um aus ihr ableiten zu können, der ehrenamtliche Richter sei bei wesentlichen Vorgängen in der mündlichen Verhandlung geistig abwesend gewesen.
Ganz offensichtlich hatte die Beklagtenvertreterin – wie sich daraus ergibt, dass sie das angebliche Schlafen des ehrenamtlichen Richters während der fast zweistündigen Verhandlung nicht zur Sprache gebracht oder beanstandet hat – auch selbst während der mündlichen Verhandlung nicht den sicheren Eindruck einer ins Gewicht fallenden geistigen Abwesenheit des ehrenamtlichen Richters. Denn es kann ihr nicht unterstellt werden, dass sie unter Verstoß gegen ihre dienstlichen Pflichten gegenüber ihrem Dienstherrn und unter Verletzung der gebotenen Verfahrensfairness einen solchen Eindruck, wenn sie sich ihrer Sache sicher gewesen wäre, nicht sogleich dem Vorsitzenden Richter mitgeteilt und um Abhilfe gebeten hätte, um sich mit diesem treu- und pflichtwidrigen Verhalten einen absoluten Revisionsgrund für den Fall des Unterliegens zu sichern.“
Es handelt sich dabei um die ständige Rechtsprechung des BVerwG zum potentiell schlafendem Richter: NVwZ-RR 2004, 325, NJW 2006, 2648, Beschl. v. 19.7.2007, 5 B 84/06.
Zuletzt hatte der BFH mit ähnlichem Fall zu tun (Beschl. v. 16.6.2009, X B 202/08):
„Der Kläger rügt, das FG sei nicht vorschriftsmäßig i.S. von § 119 Abs. 1 Nr. 1 FGO besetzt gewesen, weil davon auszugehen sei, dass ein ehrenamtlicher Richter von der gesamten Verhandlung nichts mitbekommen habe. Bereits zu Beginn der Verhandlung sei dieser Richter in tiefen Schlaf gefallen gewesen. Er habe bereits zu Anfang der mündlichen Verhandlung während des gesamten Sachvortrags geschlafen, sei allerdings erwacht, als der Prozessbevollmächtigte mit etwas lauterer Stimme dazu Stellung genommen und sich ein Gespräch entwickelt habe, um bereits nach wenigen Minuten erneut zu „ent“schlafen. Der Vorgang des Einschlafens habe sich laufend jeweils für die Dauer von ca. fünf bis zehn Minuten wiederholt, während der Zustand des Wachseins jeweils weniger als fünf Minuten angedauert habe. Dem Richter sei der Kopf auf die Brust gefallen, er sei körperlich auch zusammengesackt, habe sich nach dem Aufwachen ruckartig aufgerichtet, schamhaft mit ausdruckslosem verschlafenen Gesicht geradeaus geblickt, ohne sich mit dem Kopf dem Geschehen zuzuwenden.“
Nicht genug für den BFH, u.A. haben „der Vertreter des Finanzamts und eine im Sitzungssaal anwesende Finanzbeamtin (…) nicht bemerkt, dass einer der ehrenamtlichen Richter geschlafen habe.“
In den nächsten Wochen werden wir jeden Tag im Stile eines Adventskalenders kuriose und witzige Urteile veröffentlichen. Bekannte Klassiker und Exoten, Mietrecht und Reiserecht können Türchen für Türchen entdeckt werden.
Kommentar hinterlassen