Unterlassungsansprüche gegen nachbarliche Frustzwerge. AG Hamburg-Mitte, 49 C 474/05 (NJW 1995, 889) – Adventskalender (2)
„Die beiden Häuser (der Parteien) liegen aneinandergebaut in einem Innenhof mit gemeinsamen Zugang zur Straße, wobei das Haus des Bekl. an die Straße angrenzt und das Haus des Kl. dahinter liegt. Gegenüber dem Wohnhaus des Bekl. befindet sich ein ebenfalls diesem gehörendes Nebengebäude mit Terrasse sowie ein daran angrenzender, dem Anwesen des Kl. (Eingangsbereich) gegenüberliegender Garten. Das nachbarliche Verhältnis zwischen den Parteien ist seit einiger Zeit auf das Äußerste angespannt. So ist beispielsweise ein weiterer Rechtsstreit wegen angeblicher Lärmbelästigung durch Musik aus dem Haus des Bekl. beim LG Frankenthal anhängig. Kurz nachdem vom LG Frankenthal ein Beweisbeschluß hinsichtlich der Einholung eines Sachverständigengutachtens in dieser Angelegenheit ergangen war, stellte der Bekl. erstmals von ihm selbst hergestellte Tonfiguren in seinem zum Hof des Kl. gelegenen Garten auf. (…) Diese Figuren werden vom Bekl. als sog. Frustzwerge bezeichnet. Es handelt sich um ca. 30 bis 35 cm große gartenzwergartige Gebilde. Im Gegensatz zu den üblicherweise bieder und brav wirkenden allgemein bekannten Gartenzwergen, handelt es sich bei den vom Kl. aufgestellten “Frustzwergen” um solche, die verschiedene, für einen Gartenzwerg untypische Posen und Gesten einnehmen. So zeigt einer der Zwerge dem Beobachter mit herausgestreckter Zunge den erhobenen Mittelfinger (sog. Fuck-you-Zeichen), ein anderer beugt sich mit heruntergelassenen Hosen nach vorne und zeigt sein entblößtes Hinterteil, ein weiterer hält sich die Nase zu und schließt dabei die Augen. Weitere Zwerge strecken ebenfalls die Zunge heraus, zeigen einen “Vogel”, bilden mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. Ein weiterer Zwerg trägt eine Kapuzeund verkörpert einen auf ein Beil gestützten Scharfrichter. Ein anderer Zwerg wurde an einem Baum im Garten des Bekl. “erhängt”. Einige Zwerge halten bzw. hielten vorprozessual Schilder mit Parolen wie “Pfälzer in die Pfalz, Wuppertaler in die Wupper” (der Kl. stammt aus Wuppertal), “Zieht endlich aus, wir wollen Frieden im Hof!“. Das erstgenannte Schild wurde am 24. 9. 1993 entfernt, das letztere wurde durch ein Schild mit der Aufschrift “Musik ist Trumpf” ersetzt. Der Bekl. hat die Zwergenkollektion während des vorliegenden Rechtsstreites durch Neuaufstellung bzw. Umstellung der Zwerge verändert, andere Zwerge wurden entfernt.
(…) Im Ortstermin vom 11. 1. 1994 hat der Bekl. die Auffassung vertreten, es müsse ihm gestattet sein, seinen Frust gegenüber dem Kl. auf diese Weise loszuwerden. Dieses Argument ist der geltenden Rechtsordnung fremd. Es ist zweifellos so, daß viele Menschen in vergleichbaren Situationen ihrem Frust durch Beleidigungen ein Ventil schaffen könnten und dieses wohl auch wünschen. Allerdings stößt dies in zivilisierten Gesellschaften üblicherweise auf die Auffassung der Mehrheit der Bevölkerung, daß dies nicht durch Ehrverletzungen oder Beleidigungen des Gegenüber geschehen darf. Dieser weit verbreiteten Auffassung hat sich auch die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland angeschlossen, wonach dergleichen Verhaltensweisen nicht nur strafrechtlich als Beleidigung i.S. des § 185 StGB zu werten sind, sondern auch als rechtswidrige Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, was dem Verletzten das Recht gibt, diese Beeinträchtigung zu beseitigen bzw. abzuwehren.
Der Vortrag des Bekl., “keiner der anderen Nachbarn, welche die Zwege ebenfalls sehen können, fühle sich gestört”, hat wohl eher zynischen Charakter, jedenfalls keine rechtliche Bedeutung, da die anderen Nachbarn ganz offensichtlich nicht Ziel des Frustrationsabbaus des Bekl. sind. (…) Die zu beanstandenden Zwerge sind isoliert, d.h. ihrer Zweckbestimmung entkleidet, zweifellos witzig, in ihrer Verwendungsart aber eher das Gegenteil…“
Aus dem Tenor:
„Der Beklagte wird verurteilt, die auf der Grundstücksfläche sichtbar aufgestellten oder in den Fenstern seines Hausanwesens … einsehbaren und nachfolgend näher beschriebenen Zwergenfiguren zu beseitigen:
1. den Zwerg, der an die Nase zeigt und die Zunge herausstreckt,
2. den Zwerg, der den „Vogel“ zeigt und die Zunge herausstreckt,
(…)
11. den sitzenden Zwerg, der sich zwei Finger in den Mund steckt und sich beim Ortstermin am 11. 1. 1994 in einem zur Straßenseite hin gelegenen Fenster befand.“
Vertiefend zur Problematik: Würdinger, NJW 2009, 732, 733. Zum exhibitionistischen Gartenzwerg auf dem Garagendach siehe AG Essen- Borbeck NJW-RR 2000, 461.
In den nächsten Wochen werden wir jeden Tag im Stile eines Adventskalenders kuriose und witzige Urteile veröffentlichen. Bekannte Klassiker und Exoten, Mietrecht und Reiserecht können Türchen für Türchen entdeckt werden.
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