Die Kündigungsschutzklage gemäß § 4 S.1 KSchG und das Fristversäumnis des Anwalts – AG Berlin (28 Ca 9265/11)

16 Nov

Wer sich gerne mit dem Arbeitsrecht befasst, dem dürfte http://www.hensche.de nicht unbekannt sein. Hier wurde über ein aktuelles Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (28 Ca 9265/11) berichtet, dass sich mit der Frage zu befassen hatte, inwiefern ein Fristversäumnis durch den vertretungsberechtigten Anwalt – vgl. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG iVm § 78 ZPO (beachte aber auch § 11 ArbGG) – bei der Erhebung einer Kündigungsschutzklage im Sinne des § 4 S. 1 KSchG dem Arbeitnehmer zuzurechnen ist, vgl. auch § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG. Bei dem hier diskutierten Problem handelt es sich um ein solches, dass eigentlich jedem in der Examensvorbereitung im Bereich des Arbeitsrecht früher oder später begegnet. Daher bietet es sich aufgrund der Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin an, den Meinungsstand kurz darzustellen. Interessant an der Entscheidung ist, dass sich das Arbeitsgericht nicht der durch das Bundesarbeitsgericht vertretenen Auffassung anschließt.

Sofern der Arbeitnehmer die Frist des § 4 S. 1 KSchG nicht einhält (Rechtsnatur der Frist ist umstritten), ist die Klage gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG dennoch zuzulassen, sofern der Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben. Dies wäre dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer sich das Verschulden des bevollmächtigten Anwalts nicht zurechnen lassen müsste. § 85 Abs. 2 ZPO sieht jedoch vor, dass das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichgestellt ist.

I. eA.: § 85 Abs. 2 ZPO (+) -> § 5 Abs. 1 S.1 KSchG (-)

Insbesondere das Bundesarbeitsgericht vertritt die Ansicht, § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, der sich mit dem Urteilsverfahren vor den Arbeitsgerichten befasst, zu denen auch die Kündigungsschutzklage gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG zählt, enthalte einen Verweis auf die Vorschrift des § 85 Abs. 2 ZPO, sodass letztere Norm bereits nach dem Wortlaut des § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG zur Anwendung gelangen müsste. Bei § 4 S. 1 KSchG handele es sich um eine prozessuale Klageerhebungsfrist, sodass § 85 Abs. 2 ZPO auch unproblematisch Anwendung finden könne. § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG stehe der Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Um dem Interesse des Arbeitnehmers als vertretene Partei gerecht zu werden, wird in einer Vielzahl von Fällen ein Regressanspruch gegen den bevollmächtigten Anwalt bestehen.

II. aA: § 85 Abs. 2 ZPO (-) -> § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG (+)

Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Berlin, dass sich damit Teilen der Literatur anschließt, findet § 85 Abs. 2 ZPO demgegenüber keine Anwendung. Bei § 4 S.1 KschG handele es sich nicht um eine prozessuale Klageerhebungsfrist, sondern um eine materiell-rechtliche Frist, die auf Seiten der Begründetheit zu beachten wäre. Folglich könne die prozessuale Vorschrift des § 85 Abs. 2 ZPO bereits nicht einschlägig sein. Überdies sei zu berücksichtigen, dass § 85 Abs. 2 ZPO bereits seinem Wortlaut nach ein bestehendes Prozessverhältnis voraussetze, sodass der vorliegende Fall nicht in den Anwendungsbereich fiele, da erst durch die Klageerhebung ein solches Prozessverhältnis entstehe. Dem Arbeitnehmer dürfe nicht der Zugang zu den Arbeitsgerichten verwehrt werden, da von dem Verlust seines Arbeitsplatzes oftmals die wirtschaftliche Existenz abhänge.

III. Fazit

Im ersten Staatsexamen ist grundsätzlich jede Meinung vertretbar, soweit sie schlüssig begründet wird. Vorliegend sprechen für beide Ansichten gute Argumente. Empfehlenswert erscheint es auch , sich einmal mit dem Meinungsstand zur Rechtsnatur der Frist des § 4 Abs. 1 KSchG zu befassen.

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